|
Arbeitsteilung der Geschlechter. Die elementarste sozialanthropologische Differenzierung ist die Arbeitsteilung der Geschlechter; sie ergibt sich aus den verschiedenen Fortpflanzungsaufgaben, der unterschiedlichen Körperkraft und Mobilität von Mann und Frau. Am stärksten geschlechtsspezifische Beschäftigungen sind hei Naturvölkern auf der männlichen Seite Krieg führung, Metallbearbeitung und Großwildjagd, auf der weiblichen die häuslichen Tätigkeiten der Nahrungszubereitung, Textilarbeiten und Töpferei (M u r d o c k-Scheinfeld). Die beiden Pole der Geschlechtsspezifität sozialer Rollen, der Kraftpol und der Heimpol,, haben sich durch alle Kulturstufen hindurch bis in die moderne Industriegesellschaft hinein erhalten. Maschinenarbeit und soziale Umschichtung haben zwar die Geschlechtsspezifität vieler Berufe verwischt, jedoch nicht aufgehoben; so sind die metallbearbeitenden Berufe und. Insbesondere die Schwerindustrie überwiegend männlich, die Textilindustrie überwiegend weiblich besetzt. In dem nunmehr sehr viel reicheren Sozialgefüge haben sich zudem neue Geschlechtsunterschiede entwickelt; daß es sich dabei nicht nur um biologische Bedingtheit der Berufsbesetzung handelt, zeigen die erheblichen Schwankungen nach Zeit, Ort und Kultur; so wurde in den letzten beiden Jahrzehnten der Apotheker aus einem überwiegend männlichen zu einem überwiegend weiblichen Beruf. Allgemein hat jedoch der Mann einen höheren Anteil an genialen Spitzenleistungen, schöpferischer Produktivität und Führungspositionen jeder Art. Dies ist nicht durch soziale Hemmnisse auf seiten der Frau allein zu erklären, wie unter anderem das sowjetische Gesellschaftsgefüge zeigt, das auf vollständiger Gleichberechtigung der Geschlechter beruht; hier waren (um 194o) in den untersten politischen Gremien und Organisationen 3o v. H., in den obersten Sowjets 17 v. H., in den Regierungen der Volksrepubliken 5 v. H. und in der Führungsspitze 0 v. H. Frauen vertreten. Bei dieser geschlechtsdifferenten Verteilung der Führungsrollen trotz gleicher Intelligenz sprechen Unterschiede in der Willens- und Antriebssphäre mit, die verschieden benannt werden: männliche Aktivität und weibliche Passivität; männliche Sach- und weibliche Personeninteressen; männliche Fernwelt und weibliche Nahwelt (Konstitution, psychophysische Korrelationen). Frauen zeigen dementsprechend einen geringeren sozialen Auftrieb und eine weniger scharfe Sozial- und Berufssiebung als Männer (S c h w i d e t z k y, T e r n2 a n).
b) Sozialschichten und Berufe. Als allgemeine Regel gilt, daß eine Sozialgruppe eine um so größere durchschnittliche Körperhöhe, Intelligenz und Frühreife aufweist, je höher sie in der sozialen Rangordnung steht. Die überlegene Körpergröße der ranghöheren Gruppen, vor allem an Körperhöhe und Kopfgröße nachgewiesen, läßt sich auch für prähistorische Bevölkerungen belegen (Altgriechenland, vorspanische Bevölkerung der Kanarischen Inseln). Intellektuelle Oberschichten tendieren ferner im Vergleich mit dem Bevölkerungsdurchschnitt zu Leptosomie; innerhalb der ländlichen Sozialhierarchie ist die landbesitzende Schicht der Bauern häufiger breit- als schmalwüchsig und weist überwiegend mehr helle Augen auf (Untersuchungen nur an deutschen Bevölkerungsgruppen). An diesen Unterschieden sind sowohl Sozialsiebung wie Sozialmodifikation beteiligt. Auf Modifikation weisen die allgemein, auch experimentell erhärteten Tatsachen hin, daß 1. Reifungsablauf und Wachstumseffekt eine hohe Korrelation mit dem Lebensstandard, insbesondere dem Fett- und Eiweißgehalt der Nahrung aufweisen und daß Fett- und Eiweißverzehr ebenso sozial gestaffelt sind wie Größe und Reifungsbeginn (Wachstum) und daß 2. in die Testleistungen bei Intelligenzuntersuchungen nicht nur die Erbkomponenten der Begabung, sondern auch Faktoren der Bildungswelt eingehen, die wiederum in der gleichen Weise gestaffelt sind wie die Intelligenz. Auf die Beteiligung von Sie-bung, also auf Erbunterschiede weisen vor allem folgende Befunde hin: 1. Es besteht nicht nur eine Staffelung der Körperhöhe nach der sozialen Herkunft, sondern innerhalb gleicher Herkunftsgruppen auch nach dem sozialen Stand; sozial Auf- und Absteigende stehen der sozialen Zielgruppe häufig näher als der I-Ierkunftsgruppe. 2. Die soziale Variabilität von Körperhöhe und Intelligenz ist größer als die aus Zwillingsuntersuchungen bekannte modifikatorische Variabilität. 3. Die Intelligenz von unehelichen Heimkindern läuft dem sozialen Rang ihrer natürlichen Väter parallel (Just, Lawrence). 4. Die Helliiugigkeit der Bauern betrifft ein umweltstabiles Merkmal. Es ist wahrscheinlich, daß die Siebung auf Körperhöhe und die auf Intelligenz miteinander in Beziehung stehen (Konstitution, Psychophysische Korrelationen). Die primäre Rolle dürfte dabei der Intelligenz zukommen, während die Körperhöhe, mit der Intelligenz korreliert, nur mitgesiebt wurde. Die Leptosomie intellektueller Oberschichten entspricht der Begabungsüberlegenheit der Leptomorphen über die Pyknomorphen; bei den somatischen Kennzeichen der Bauern ist auf den athletischen Körperbau und auf die Korrelation zwischen Pigmentmangel und Desintegriertheit (Introvertiertheit) hinzuweisen. Neben der rangbezogenen Sozialsiebung ist auch eine solche für bestimmte Berufe bekannt. So ordnen sich innerhalb der gleichen Sozialschichten die einzelnen Berufsgruppen z. T. recht verschieden ein, je nach den speziellen Berufsanforderungen: Innerhalb des Handwerkertums zeigt das graphische Gewerbe den höchsten Anteil von Lehrlingen mit voller Schulreife, es folgen das Bekleidungsgewerbe und zum Schluß das Nahrungsgewerbe; die Siebung nach der Schulreife ist dabei stärker als die Beziehung zum väterlichen Beruf; innerhalb des Nahrungsgewerbes stehen die Konditoren an erster Stelle in der Rangordnung, Bäcker und Schlächter an letzter usw. (Ei e l m a n n). Bei Abiturienten rangieren in Prüfungsleistungen zukünftige Fachärzte über praktischen Ärzten, Zahn- und Tierärzten, an der Spitze der Leistungsskala stehen Schüler, die wissenschaftliche Arbeit als Berufsziel angeben (H a r t n a c k e -Wohl fahrt). Einzelne Berufsgruppen ordnen sich ferner nicht ihrem sozialen Rang entsprechend ein: Schuhmacher und Schneider stehen in der Körperhöhenskala hinter den ungelernten Arbeitern (Sachsen, Schlesien, Dänemark, Schweiz); Schuhmacher zeigen signifikant häufiger dunkle Haar- und Augenfarbe als der Durchschnitt der Bevölkerung, und zwar auch diejenigen Schuhmacher, deren Väter anderen Sozialgruppen angehören (Schwidetzky).
c) Stadt- und Landbevölkerung.. Städter, insbesondere Großstädter, sind im Vergleich mit der umgebenden Landbevölkerung häufiger größer als kleiner, sie weisen häufiger mehr dunkle Haare und Augen und häufiger einen niedrigeren als einen höheren Längenbreitenindex auf; die sexuelle Reifung und der puberale Wachstumsschub (- Wachstum) setzen in der Regel früher ein; in Intelligenztests bzw. Schulbegabung sind sie fast immer überlegen. Auch bei der Formung der Stadtbevölkerung wirken Sozialsiebung und Sozialmodifikation zusammen, und zwar zum Teil in gleicher Richtung, so daß sich die Effekte summieren. Modifikation in der städtischen Umwelt (u. a. durch geringere Ultraviolettstrahlung, häufigeren Aufenthalt in geschlossenen Räumen und geringere Belastung mit schwerer körperlicher Arbeit gekennzeichnet) ergibt sich u. a. aus folgenden Befunden: i. Stadtgeborene Kinder haben schmalere Köpfe als ihre landgeborenen Eltern (Berlin, Hannover). 2. Die Zugezogenen in der Stadt zeigen die metrischen Merkmale des Städtertypus um so ausgeprägter, in je jüngerem Alter sie zugezogen sind (Breslau). 3. Die Intelligenzunterschiede zwischen Land- und Stadtkindern sind im vorschulpflichtigen Alter geringer und vergrößern sich während der Schulzeit.. 4. Die Stadt-Land-Unterschiede von Reifung und Wachstum werden in Mangelzeiten (Krieg, Nachkriegszeit) umgekehrt, die besser ernährten Landkinder sind dann die früher reifen.
e) Verbrecher. Lombroso hatte den Verbrecher als Träger zahlreicher atavistischer Merkmale angesehen, und zwar sowohl im Körperbau wie in Intelligenz und Gefühlsleben, Verhalten und Lebensformen Rückschläge auf Wilde , Urvölker und sogar auf Tiere gefunden. Diese A t a v i s m u s t h e o r i e läßt sich im Lichte der modernen Verhaltensforschung, Kulturanthropologie und Psychiatrie nicht halten, doch haben spätere Untersuchungen eine relative Häufung somatischer und psychischer Anomalien bei Verbrechern, d. h. vor allem bei Schwer-und Gewohnheitsverbrechern, bestätigt. So zeigen sowohl italienische (Lombroso) wie amerikanische Verbrecher (Hooton) überdurchschnittlich häufig niedere, fliehende Stirnformen, dünnen Bartwuchs bei dichtem Haupthaar, Schädel- und Gesichtsasymmetrien. Sie sind Ausdruck einer allgemeinen körperlichen und geistigen Inferiorität (G o r i n g) der Schwerkriminellen, die sowohl in den Körpermaßen wie in der Intelligenz auch hinter ungünstig gestellten Sozialschichten zurückbleiben und höhere Anteile von Schwachsinn• und Psychopathien zeigen. Dabei bestehen erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen Verbrecherkategorien, sowohl im somatischen wie im psychischen Bereich; unter anderem sind Mörder körperlich größer, breiter und schwerer, Diebe dagegen leichter, schmaler und kleiner als der Durchschnitt der Kriminellen (Hooton); Betrüger sind intelligenter als Gewaltverbrecher.
Unter den psychopathischen Persönlichkeiten sind die Gemüt-losen und die Willenlosen kriminell besonders anfällig (E x n e r). Da die verschiedenen Formen der Psychopathien auch Beziehungen zum Körperbautypus zeigen (– Konstitution), weichen Verbrecher auch hierin vorn Bevölkerungsdurchschnitt ab, jedoch nicht durchgehend in gleicher Richtung. Der Pykniker die überdurchschnittlich wie die unterdurchschnittlich Begabten, zur Stadtwanderung tendieren, während eine Begabungsmittel- schicht stärker in der Landbevölkerung verbleibt. |
|