|
Monster aus dem Gen-Labor: die Maus mit dem Menschenohr auf dem Rücken, ein Affe mit Schweineniere oder die Super-Paprika, ganz ohne Ge- schmack - das ist der Stoff, aus dem die Panik vor "Genmanipulation" ist. Wer hat daher kein mulmiges Gefühl, wenn er den Gen-Mais im Salat vermuten muß, wenn er zum Schlachter geht und daran denkt, daß die Gänseleber wohl in einem Tier mit sieben solchen Gewächsen heranreifte. Wird es demnächst Kühe geben, die außer Milch auch Hustensaft im Euter haben? Und hat die antike Vorstellung des Kreuzwesens aus Mensch und Stier - der Minotaurus - in deutschen Labors eine Zukunft?
Franken steins Höllenwesen war ein Märchen. Doch die Kreaturen aus den Genlabors der Zukunft sind Realitäten. Die Geschichte der Genforschung verläuft rasend. Im Jahr 6000 vor Christus wurde Hefe zur Reifung von Bier eingesetzt. Erst um 1700 stellten Forscher fest, daß sich auch Tiere und Pfanzen geschlechtlich fortpflanzen. Keine zweihundert Jahre später gab es das erste Patent für die genetisch veränderte Maus - "die Harvard-Krebs-Maus" von 1988. Und nur fünf Jahre darauf wurden erste geklonte Menschenembryonen mehrere Tage in einer Petri-Schale am Leben gehalten. Ist dies das Ziel medizinischer Forschung?
Für die politisch Verantwortlichen wie die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gibt es eine Menge Lobbyarbeit abzuwehren. Kritiker sehen in all dem einen verhängnisvollen Zusammenhang: Der Mensch wird in ihren Augen vollends zur Verfügungsmasse des Menschen. In Holland ist erst im Frühjahr ein Gesetz verabschiedet worden, das Sterbehilfe durch Mediziner erlaubt. Der alte und kranke Patient wird (womöglich gar aus Kostengründen?) durch eine Spritze billig entsorgt, und auch das ungeborene Leben wird erst einmal auf seine gesellschaftliche Verwendbarkeit hin geprüft: ist es gesund, kommt es ins Töpfchen, ist es krank, kommt s unverzüglich in den Mülleimer. Dies ist eine moderne Form der Euthanasie.
Druck gegen solche sich abzeichnenden gesellschaftlichen Normen wird nicht nur von den christlichen Kirchen und nahestehenden Organisationen geübt. Eine ganz populäre Organisation wie die Behindertenhilfe "Aktion Mensch" will die Debatte über die verschiedenen Seiten der Gentechnologie nun auf breiter Front in die Öffentlichkeit tragen. Die "Menschenschützer" stellen die Erlaubnis zum Import embryonaler Stammzellen nach Deutschland zu Zwecken der Forschung (die der Bundestag erst in der letzten Legislaturperiode verabschiedet hatte) heftig in Frage. Die Debatte sei noch lange nicht zu Ende, so der Tenor der jüngsten Offensive verschiedener Gruppen.
"Aktion Mensch" plant eine Kampagne zur Bioethik, in der öffentlich "tausend Fragen" zu den Problemfeldern gestellt werden sollen - und zwar von jedem, der solch eine Frage hat. Im Oktober geht mit der Internetadresse "www.1000fragen.de" eine Plattform ans Netz, in der interessierte und betroffene Bürger ihre Fragen formulieren sollen. In ausgewählten Fällen werden ihre Anliegen dann in Form von Plakaten, Anzeigen und Kinospots einem breiten Publikum bekannt gemacht und so unterstützt. Auf diese Weise wird der Öffentlichkeit die Möglichkeit gegeben, sich aktiv an der bioethischen Diskussion zu beteiligen. Vor allem soll auch die Debatte um den Import von embryonalen Stammzellen erneut eröffnet werden, denn die Entscheidung, diesen doch (unter Auflagen) zu genehmigen, stößt in weiten Kreisen des Volkes noch immer auf Ablehnung. Genforschung ist indessen aus der Sicht gerade von Kranken und Behinderten nicht nur eine Horrorvision, die Supertomaten und Mäuse mit Menschenohren pro- duziert. Sie ermöglicht auch Forschungsergebnisse, die dem einzelnen seine Behinderung erträglich machen und manchmal bislang ungeahnte Heilungsperspektiven eröffnen. Daher will "Aktion Mensch" die Diskussion nach eigenem Bekunden möglichst offenhalten, echten Hoffnungen und Sorgen ein Podium bieten, statt vorgefertigte Positionen zu verbreiten.
"Bevor man sich auf Antworten festlegt, gilt es zunächst herauszufinden, ob überhaupt die richtigen Fragen gestellt wurden, insbesondere dann, wenn Ant- worten gesucht werden, die in Zukunft für die Gesellschaft als verbindlich gelten sollen", so die Sprecherin der "Aktion Mensch", Heike Zirde. Hierzu soll das "1000fragen"-Projekt den entscheidenden Beitrag leisten. In einer zweiten Phase, die für das Frühjahr 2003 vorgesehen ist, sollen die gesammelten und veröffentlichten Fragen auch dem Bundestag übergeben werden. Die Entscheidungen, die hier getroffen werden, sind schon im Grundsatz zwiespältig. Es geht nicht etwa um eine zweifelsfrei ethisch verwerfliche Forschung, wie der an der Atombombe durch Oppenheimer oder an der Wasserstoffbombe durch Taylor. Es geht um eine in unserem wirtschaftlichen System angenommene Verfügbarkeit menschlichen "Materials", teils ungeboren, teils als Erbsubstanz für oder wider eine Maxime des Lebens. Die Dis-kussion um Gentechnologie wird so um des Menschen willen in dem Projekt "1000fragen" der "Aktion Mensch" offengehalten. Die Antworten sollen in Gesetze gefaßt werden, welche die Rechte des ungeborenen wie behinderten Menschen respektieren und zu schätzen wissen. K. P. Gerig |
|