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Amanda im Schmalztopf

 
     
 
Manchmal sonnte sich eine Kröte vor unserem Haus, einem alten, strohgedeckten Bauernhaus. Ich nannte sie Amanda. Sie hatte ihre Wohnung unter einem der großen Feldsteine des Fundaments unseres Hauses. Und es schien so, als lebe sie dort allein. Nie sah man sie in Gesellschaft ihrer Artgenossen. Sie war auch nicht ängstlich. Sie blieb seelenruhig sitzen, wenn jemand von uns in ihre Nähe kam, als wisse sie, daß keiner etwas gegen ihre Anwesenheit hatte.

Kröten galten als Glücksbringer, deshalb freuten wir uns, daß Amanda bei uns wohnte. Einmal aber hatte ich eine Begegnung mit ihr, bei der ich vor Schreck fast erstarrte.

Ich hatte ganz plötzlich sehr starken Hautausschlag bekommen. Auf Anraten des Doktors sollte ich kein Schmalz essen. Aber Schmalzbrot schmeckte mir besonders gut! Spirgel und Spirgelschmalz bereicherten bei uns fast jede Mahlzeit. Sie gehörten zu Mittagsgerichten wie auch zu Frühstück und Abende
ssen. Meistens jedenfalls. Ein Teller mit Spirgeln und Spirgelschmalz stand immer griffbereit im Küchenschrank.

Seit meinem Besuch beim Doktor war er aber von dort verschwunden. Ich sah ihn jetzt nur zu den Mahlzeiten, wenn man mich unter Kontrolle hatte.

Eines Nachmittags plagte mich jedoch ein kaum zu überwindender Heißhunger auf ein Schmalzbrot. Allerdings schien mir von vornherein aussichtslos, den Teller mit dem Spirgelschmalz aufzufinden. Doch wußte ich, daß in der Speisekammer ein Topf mit dem nach dem Schlachten ausgelassenen frischen Schmalz stand, den Großmutter sich holte, wenn sie Schmalz zum Braten, Kochen oder Backen benötigte. Es war ein flachrandiger, ziemlich breiter Steintopf. In einem günstigen Moment schlich ich mit einer Scheibe Brot und einem Messer in die Speisekammer, wo ich ihn trotz der dort herrschenden Dunkelheit auch bald entdeckte. Schnell hob ich den daraufliegenden Teller ab, und schwupp war mein Schmalzbrot fertig.

In Windeseile verdrückte ich mich damit hinter den Stall, wo es im hohen Gestrüpp ein bequemes Plätzchen gab, das ich für absolut geheim hielt. Dort ließ ich es mir schmecken. Auch noch an zwei weiteren Tagen gelang es mir, heimlich zu einem solchen Gaumenschmaus zu kommen. Mein vierter Versuch scheiterte jedoch.

Die Zeit, zu der ich unbeobachtet sein würde, hatte ich auch an diesem Tag richtig abgeschätzt. Niemand war im Haus, als ich, wie an den vorigen Tagen, mit einer Brotschnitte und einem Messer in die Speisekammer schlich. Die Scheibe Brot in der linken, das Messer in der rechten Hand.

Wie sonst auch, legte ich erst einmal die Schnitte hin, um mit der linken Hand den Teller vom Steintopf zu heben. Dann aber bemerkte ich, trotz der Dunkelheit, daß dort kein Schmalz drin war. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um genauer in den Topf hinein zu sehen, und da - o Schreck - sprang aus dem leeren Gefäß ein Frosch heraus! Er sprang direkt auf mich zu und plumpste dann zu Boden. Kreischend rannte ich hinaus. Irgendwann fiel mir das Messer aus der Hand und die Tür zur Speisekammer vergaß ich auch zuzumachen. Dann fand ich mich in meinem Versteck hinter dem Stall wieder. Diesmal ohne ein Schmalzbrot. Aber ich hätte bei der Erregung auch keinen Bissen hinunterbekommen. Zu sehr saß mir der Schreck in den Gliedern.

Ein Frosch im Schmalztopf! Das war wohl noch bei keiner Familie vorgekommen! Und ausgedacht hatte sich das ganz bestimmt Mutti! Daß sie so gemein sein konnte, hätte ich nie von ihr gedacht! So beleidigt gefühlt wie an diesem Tag hatte ich mich noch in meinem ganzen Leben nicht. Und plötzlich kam mir in den Sinn, daß es vielleicht Amanda gewesen sein könnte, die für diese Untat eingesetzt worden war. Der Gedanke ließ mich nicht länger in meinem Versteck verharren. Ich mußte sofort herausfinden, ob es so war. Begegnen wollte ich aber noch niemandem. Deshalb schlich ich geduckt die kleine Böschung des am Gehöft vorbeiführenden Zufahrtsweges lang, eilte am Hoftor vorbei zum Fliederbusch, von dort zum Blumengarten, dann hinter das Haus und nun zum Küchenfenster. Vorsichtig lugte ich durch die untere Scheibe. In der Küche war immer noch niemand zu sehen. Ich reckte mich nun ein bißchen höher. Und da entdeckte ich, nicht weit vom Herd, eine Kröte auf dem Fußboden. Es war zweifellos Amanda, die inzwischen wohl aus der dunklen Speisekammer herausgehüpft war.

Jetzt war mir alles egal; ich lief zur Hofseite und stürmte in die Küche. Mit flinkem Griff fing ich Amanda ein und trug sie in meiner Schürze zu dem Platz, wo sie sich immer aufhielt. Und kaum hatte ich sie abgesetzt, war sie schon dorthin verschwunden, wo sie "wohnte", wie ich immer sagte.

Um ihren Unterschlupf beneidete ich sie heute; denn dorthin konnte ihr niemand folgen. Wohin ich mich jetzt begeben sollte, wußte ich indes nicht. Ich war innerlich äußerst aufgewühlt, dazu verärgert und auch peinlich berührt. Und trotzdem hätte ich mich nur allzugern auf Muttis Schoß gesetzt! Deshalb blieb ich einfach auf der Schwelle sitzen. Da wollte ich warten, bis die kam. Aber es kam niemand von der Familie. Sie waren wohl alle auf dem Feld.

Ich wartete und wartete und fühlte mich ganz verlassen. Dann sah ich auf einmal, daß Amanda unter dem großen Stein hervorschaute, unter dem sie wohnte. Wieder beneidete ich sie. Jetzt tat ich es, weil sie anscheinend schon alles vergessen hatte ...
 
     
     
 
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