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bedeutet Lehre vom Menschen. Die Bezeichnung geht auf Aristoteles zurück und taucht dann 1655 bei einem Anonymus wieder auf, der darunter Anatomie und Physiologie verstand. Die als Wissenschaft noch junge Geschichte der Anthropologie hat bisher noch zu keiner einheitlichen Bestimmung ihres Gesamtinhaltes geführt. Aus neuerer Zeit liegen verschiedene Vorschläge vor, die Anthropologie als Wissenschaft zu definieren und inhaltlich zu umreißen (E. v. E i c k s t e d t 1937, E. Fischer 1953, K. S a 1 l e r 1957). Wir beziehen uns hier im wesentlichen auf Fischer (1953, 1955).
Am Anfang der modernen Definitionsversuche steht der Ausspruch von R. Martin in seinem klassischen Lehrbuch (1914), Anthropologie sei die »Naturgeschichte der Hominiden in ihrer zeitlichen und räumlichen Ausdehnung«. Diese Formulierung ist lange Zeit für den Begriff der Anthropologie außerhalb des englischen Sprachgebietes bestimmend gewesen. In diesem Gebiet werden dagegen zwei Sparten der Anthropologie unterschieden: 1. Naturgeschichte der Hominiden, als Physische Anthropologie bezeichnet, und 2. Ethnologie und Ethnographie (Soziologie und Ethnographie), womit bereits weite Bereiche der Kulturgeschichte mit einbezogen werden. Die moderne Entwicklung der anthropologischen Wissenschaft zeigt, daß die Martinsche Definition etwas zu eng gefaßt ist, wenn sie auch als Natur g e -s c h i c h t e Gegenwart und Zukunft mit umgreift. Als Naturwissenschaft umfaßt die Anthropologie alles, was mit naturwissenschaftlichen Methoden analysierbar ist (Methoden der Anthropologie), also die Morphologie (Beschreibung der somatischenFormen), und die Physiologie (Lehre von den Funktionen), einschließlich der Prägungen (Modifikabilität) und erblichen Abänderungen (Mutabilität), also der Variabilität, ferner die Erbgänge, die evolutiven Mechanismen (Auslese-Selektion, Gendriften u. a.), Gruppengenesen und die Abstammungsgeschichten der Hominiden (Rassen- und Artbildungen und geographische Verbreitung). Auch die nichthominiden Primaten, insbesondere die Pongiden (Menschenaffen), werden als die nächsten Verwandten der Hominiden berücksichtigt. Dieser unvollständig umrissene hochkomplexe Inhalt der Naturgeschichte der Hominiden ist jedoch nur ein Bruchteil dessen, was eine Wissenschaft vom Menschen außerdem zu erforschen hat. Es wird durch die Methoden der Naturwissenschaft nur eine Seite des Menschen erfaßt, nicht dagegen die Psyche und die Produkte ihrer Wirksamkeit. Doch wenn auch Zwillingsforschung, Genealogie, Ethnographie, Ethnologie und Rassenpsychologie in ihren Methoden wesentlich naturwissenschaftlich sind, so greifen sie auch auf geisteswissenschaftliche Bereiche über. Denn mit E. F i s c h e r sei betont, daß der Anthropologe nicht etwa da, wo seine Forschung aufhören muß, sich das Ende der Forschung überhaupt oder gar die Erschöpfung des Wesens Mensch denken könnte . Es gibt eine geisteswissenschaftliche Seite der Anthropologie, die damit nicht mehr Naturgeschichte der Hominiden allein bleibt. Diese Unvollständigkeit in der Martinschen Definition hat es ermöglicht, daß Wissenschaftssparten außerhalb der theoretischen Naturwissenschaft, die ebenfalls das Wesen des Menschen zu erfassen suchen, sich auch der alten Bezeichnung Anthropologie bedienen können: Philosophische Anthropologie (M. S c h a l er), Kulturanthropologie (E. Rothacker), Christliche Anthropologie (H. T h i e l i c k a), Medizinische Anthropologie (V. v. Weizsäcker), wobei die letztere übrigens schlagend demonstriert, daß sich diese Bereiche nicht scharf gegenüber der naturwissenschaftlichen Anthropologie abgrenzen lassen. Die Möglichkeit, die beiden Betrachtungsweisen des Menschen, die naturwissenschaftliche einerseits, die geisteswissenschaftliche andererseits, zu einer einheitlichen Anthropologie zu verschmelzen, beruht eben darauf, daß der Mensch eine geistig-physische Einheit ist, die von beiden Seiten methodisch angegangen werden kann. Das Ziel ist, ein Bild vom Wesen des Menschen zu bekommen. Man kann zweckmäßig dieses synthetische Verfahren als g e s a m t h e i t l i c h bezeichnen. Schon E. v. E i c k-s t e d t hatte neben der Biologie der Tiere und der Pflanzen die Anthropologie als dritte Biologie , als die Biologie des Menschen bezeichnet. E. Fischer schlägt vor, den Begriff A n t h r o p o -b i o l o g i e für diese naturwissenschaftliche Biologie des Menschen zu verwenden, da sie den konventionellen Begriff der Anthropologie als Naturgeschichte der Hominiden gesprengt habe, und möchte unter Anthropologie, entsprechend der wörtlichen Übersetzung, die Menschenkunde ganz im allgemeinen verstehen. Die Anthropologie würde dann zwei Forschungsrichtungen umfassen, eine naturwissenschaftliche und eine geisteswissenschaftliche (die bis zur Metaphysik und zur Theologie führte).
In diesem Lexikon ist allerdings die alteingeführte Bezeichnung Anthropologie im Sinne einer naturwissenschaftlichen Anthropologie beibehalten, wobei die Verzahnung mit geisteswissenschaftlichen Sparten durchaus auch ihre Berücksichtigung gefunden hat. Die Verwirrung innerhalb einer allerdings nicht sehr ausgedehnten Literatur ist zwar beträchtlich, hat aber, wie es scheint, bislang der eigentlichen Anthropologie noch keinen Abbruch getan. Der Laie wird in einem Anthropologischen Institut keine Philosophen oder Theologen und kaum klinische Mediziner suchen. Auch die Zoologie hat sich nicht in Zoobiologie umgetauft, auch wenn sie sich z. B. intensiv mit Verhaltensforschung (Tierpsychologie) beschäftigt, und damit alte Grenzen überschreitet. Natürlich hinkt dieses Beispiel, da für die Anthropologie als Menschenkunde bei der geistigen Sonderstellung des Menschen gegenüber den Tieren selbstverständlich besondere Verhältnisse vorliegen. Es wird von der Anthropologie durchaus nicht der Anspruch erhoben, die Möglichkeit zu bieten, ein erschöpfendes Bild vom Wesen des Menschen erarbeiten zu können.
Das Arbeits- bzw. Zuständigkeitsgebiet der Anthropologie, wie sie hier verstanden wird, kann in Anlehnung an E. Fischer wie folgt gegliedert werden:
1. A n t h r o p o m o r p h o l o g i e: Vergleichende allgemeine Gestaltungslehre des Körpers, der Organsysteme und Organe der Hominiden.
2. Rassenkunde: Rassenmorphologie, Rassensystematik, Rassengeschichte.
3. P a l ä a n t h r o p o l o g i e: Morphologie der fossilen Hominiden (im Rahmen der Primaten), Abstammungsgeschichte (Anthropogenese).
4. Hu mangenetikoderAnthropogeneHic(Menschliche Erblehre): Erbgänge, Variationslehre, Auslese, Populationsgenetik, Rassengesetze (siehe auch 3).
5. A n t h r o p o p h y s i o l o g i e: Vergleichende Funktionsuntersuchung.
6. A n t h r o p o p s y c h o l o g i e: Erforschung der Verhaltensunterschiede.
7. A n t h r o p o p a t h o l o g i e: Morphologische und physiologische Aberrationen, Beziehungen zur Humangenetik.
8. Sozialanthropologie: Gruppenauslese-Siebung, Gruppenanthropologie.
9. Angewandte Anthropologie: Eugenik Rassenhygiene.
Die Anthropologie bedient sich bei der Gewinnung ihrer Resultate der allgemeinen biologischen Untersuchungsmethodik, die sich an ihr Untersuchungsobjekt (den Menschen) anpaßt (-Methoden der Anthropologie).
Die Anthropologie maßt sich“ nicht an, den ganzen Menschen, d. h. auch seine seelische und naturwissenschaftlich unerforschliche Seite zu erfassen oder sogar diese zu leugnen (E. Fischer 1952). |
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