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Bei der Stabübergabe sprach der neue SPD-Chef von "Kontinuität". Was immer er damit beschwören wollte - personelle Kontinuität kann es nicht sein. Denn die ist, wie die jüngere Parteigeschichte lehrt, in sozialdemokratischen Führungskreisen zum unverständlichen Fremdwort
geraten.

In den ersten vier Nachkriegsjahrzehnten zählte die SPD lediglich drei Parteivorsitzende. Kurt Schumacher, von Krankheit und Kriegsverwundungen schwer gezeichnet, führte die Partei sechs Jahre lang. Erich Ollenhauer präsidierte zwölf Jahre, dann folgte Übervater Willy Brandt, der erst nach 23 Jahren das Amt aufgab, weil ihm die Genossen in einer Personalfrage nicht mehr folgen wollten.

Danach war dann Schluß mit der Kontinuität; immer wieder hieß es: der nächste bitte! In den 19 Jahren nach Brandt ist Kurt Beck bereits Parteichef Nummer 9, nach Hans-Jochen Vogel, Björn Engholm, Johannes Rau, Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder, Franz Müntefering und Matthias Platzeck. Am kürzesten hielt es Johannes Rau auf dem Chefsessel: siebeneinhalb Wochen nach dem skandalbedingten Rücktritt Engholms machte er Platz für Scharping. Schröder brachte es immerhin auf fünf Jahre, ein Jahr mehr als Vogel.

Platzeck hat sich mit honorigen Worten verabschiedet; nicht nur Parteifreunde zeigten sich bewegt, als der 52jährige davon sprach, daß er anfangs den Fehler gemacht habe, ärztlichen Rat nicht zu befolgen.

Mancher dachte da vielleicht auch an den großen sozialdemokratischen Patrioten Kurt Schumacher. Der hatte im Krieg einen Arm verloren; 1948 mußte dem Oppositionsführer auch noch ein Bein amputiert werden. Dennoch dachte er nie daran, seine Ämter vorzeitig aufzugeben; er opferte sich bis zum letzten Atemzug.

Hätte Platzeck sich daran orientieren sollen? Hätte auch er sich für Deutschland opfern, keine Rücksicht auf seinen bedrohlichen Gesundheitszustand nehmen sollen? Darf man dem Ministerpräsidenten des alten preußischen Kernlandes Brandenburg abverlangen, im Sinne des großen Ostdeutschland Immanuel Kant Gemeinwohl über Eigenwohl, also den Dienst am Lande über die eigene Gesundheit, womöglich gar das eigene Leben zu stellen?

Man hüte sich vor derartigen "klugen Ratschlägen"! Erstens: Deutschland 2006 ist ein total anderes Land als das Deutschland vor 60 Jahren. Bei allem, was heute kritikwürdig und reformbedürftig ist: Mit der Lage eines Landes, das gerade einen Krieg total verloren hat, das völlig zerstört und zerstückelt ist und auch geistig und moralisch am Nullpunkt steht, ist unsere heutige Situation nicht vergleichbar. Was damals richtig und moralisch hochstehend war, kann heute falsch sein.

Platzeck hat sich - nach allem, was an Hintergründen des Rücktritts bislang bekannt ist - richtig entschieden. Der Befund, daß seine Kräfte nicht reichen, um in zwei wichtigen Ämtern das beste für Deutschland und Brandenburg zu leisten, kann nur zu der Konsequenz führen, wenigstens ein Amt aufzugeben. Und es ehrt Platzeck, daß er den Mut hatte, ehrlich und öffentlich einzuräumen, er habe anfangs seine Kräfte überschätzt.

Ob der neue Parteichef Beck der SPD wirklich die von ihm beschworene Kontinuität zurückbringen kann, bleibt abzuwarten. Platzeck jedenfalls ist zu wünschen, daß er nun wenigstens die Kraft hat, an der Seite seines Koalitionspartners Jörg Schönbohm das beste für Brandenburg zu leisten.
 
     
     
 
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