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Hamburg enthält ohnstreitig mehr Kunstsachen als man glaubt“, staunte der Danziger Daniel Chodowiecki 1782 im Vorwort zum Katalog der Sammlung Sillem nicht schlecht. „Man macht sich mehrenteils von einer Handelsstadt falsche Begriffe, man glaubt, daß da sich in einer solchen gemeinglich nur Gelehrte, Kaufleute und Handwerksleute aufhalten, man auch nach Kunstsachen gar nicht fragen müsse ... Es finden sich hier auserlesene Gemählde und Kupferstich- und (welches noch seltener ist) Handzeichnung-Sammlungen.“ Von dieser Aussage des vor allem selbst als Schöpfer auserlesener grafischer Blätter weithin bekannten Chodowiecki kann man sich derzeit in der Hamburger Kunsthalle überzeugen. Sogar ausgewiesene Kenner der Sammlung sind begeistert und können sich des leisen Ausrufs „Welch eine Fülle“ beim Anblick der ausgewählten Expo nate nicht erwehren. Wer weiß, wie empfindlich Handzeichnungen gegenüber Tageslicht reagieren, der weiß auch zu schätzen, daß das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle seine größten Schätze für mehr als zwei Monate der Öffentlichkeit präsentiert.
Der Kunstfreund ist aufgefordert, einen „Blick in verborgene Welten“, so auch der Titel der Ausstellung, zu werfen, die deutsche Zeichnungen von Dürer bis Chodowiecki zeigt. Letzterer kommt allerdings mit nur einem Blatt ein wenig zu kurz. Die aus dem Jahr 1777 stammende Bleistiftzeichnung mit roter Kreide zeigt eine Theaterszene, „Hamlet und Ophelia“, die als Illustration für einen Beitrag über die Aufführung in der „Literatur- und Theaterzeitung“ gedacht war. Mehr Beachtung fand da Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, der 1801 nach Hamburg zog. Am 28. Juni 1806 heiratete er dort Anna Martha Kietting aus Haina. Ab 1808 lebte er als Hofmaler in Eutin. Seine „Apotheose Homers“ aus dem Jahr 1818/19 war als Wanddekoration für den Prinzen von Oldenburg geplant. Reizend auch die Illustration zur Fabel „Die Gänse“, die allerdings nie veröffentlicht wurde. Sehr modern muten die Pinselzeichnungen der fünf Landschaften an, die Franz Innozenz Josef Kobell, übrigens ein Onkel des nebenstehend gewürdigten Wilhelm von Kobell, schuf. Namen wie Jakob Philipp Hackert oder Adrian Zingg werden meist nur ausgewiesenen Kunstkennern ein Begriff sein. Ganz anders ist es mit den „Stars“ dieser Schau: Vater und Sohn Holbein, Albrecht Altdorfer, Hans Baldung Grien und natürlich Albrecht Dürer. Ihnen ist ein eigens eingerichtetes Kabinett gewidmet, in dem ihre Arbeiten besonders gut zur Geltung kommen. Altdorfers Christopherus auf blaugrün grundiertem Papier aus dem Jahr 1510 etwa und natürlich die Blätter von Albrecht Dürer, wie die Federzeichnungen „Das Liebespaar“ (um 1492–94) und „Tod des Orpheus“ (1494) oder der „Löwe“ aus dem selben Jahr, in Deckfarben auf Pergament gezeichnet. In einer smaragdgrün schimmernden Höhle ruht das Raubtier, schaut aber aufmerksam nach etwaigen Störenfrieden. Diese Arbeit, sie mißt nur etwa 13 mal 17 Zentimeter, ist wahrscheinlich auf einer Reise nach Venedig entstanden, wo Dürer die Markuslöwen als Vorbild nahm. Interessant auch die Geschichte um eine Schweinefamilie, die in der Ausstellung zu betrachten ist. Gezeichnet hat das Motiv Ludwig Schongauer; lange Zeit aber ist es dem berühmteren Bruder Martin Schongauer zugeschrieben worden. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Erforschung der nahezu 1500 Blätter umfassenden Hamburger Sammlung, die nun zum Abschluß gekommen ist und ihren ersten Höhepunkt in dieser Ausstellung findet (ein zweibändiger Bestandskatalog soll folgen), konnten viele solcher Unklarheiten beseitigt werden.
Die Ausstellung ist täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr geöffnet, bis 2. April, Eintritt 6 / 4 Euro.
Albrecht Dürer: Löwe (Deckfarben auf Pergament, in Gold erhöht, schwarz grundiert, 1494) Foto: Irrgang, Hamburger Kunsthalle |
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