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Ein Kranich randaliert

 
     
 
Als Ostdeutschland noch zum Deutschen Reich gehörte, besaßen meine Eltern dort einen Bauernhof, auf dem ich aufgewachsen bin. Unser Gebiet lag im Oberland. Ich liebte die Weite der Felder, aber auch den Wald und den See, der mich sozusagen täglich begleitete, wenn ich dem Pfad folgte, der zur Volksschule führte.

Ganz selbstverständlich lernte ich dabei manche Waldtiere kennen, die meistens schnell davonliefen, wenn sie mich sahen. Das taten die Wasservögel nicht; sie wußten wohl, daß sie in sicherer Umgebung lebten. Die Wildenten, Bläßhühner und Reiher beachteten mich kaum. Ungeniert würgten sie die gefangenen Fische und Frösche durch ihren Schlund, was ich nicht sehr appetitlich fand, aber ich gehöre ja auch nicht zu dieser Gattung. Aber zuzusehen war dennoch schön. Manchmal landeten auf dem See auch Schwäne und Kraniche, aber das gehörte zu den seltenen Ereignissen.

Das empfand sicherlich auch mein Vater, als er unerwartet auf eine Schar Kraniche stieß, die am Wald, in seinem Getreidefeld, die unreifen Körner von den Halmen fraßen. Recht zornig lief er auf sie zu, schrie und lärmte, um die Tiere zu verscheuchen. Erschreckt liefen die meisten davon und versuchten schwerfällig
, zwischen dem Getreidefeld und dem Wald aufzusteigen. Nur ein Kranich hatte nicht den richtigen Ausgang gefunden. Er lief weiter ins Feld hinein. Mein Vater hinter ihm her und erreichte das Tier am Schwanz, und daran zerrte er es aus dem Getreidefeld. Das war nicht so einfach, denn es entstand ein Kräftemessen zwischen den beiden.

Was meinen Vater wohl dazu bewogen hatte, den großen Vogel mit sich auf unseren Hof zu schleppen, kann ich nicht beurteilen. Wollte er vielleicht dem Kranich zeigen, wer hier der Herr ist, oder wollte er Strafrichter spielen, ich weiß es nicht. Jedenfalls stieß er das Tier in den Vorratskeller und drückte die Kellertüre zu.

Aber die Behausung, die Vater ihm angeboten hatte, nahm der Kranich sicherlich nicht mit Freuden auf, denn es klirrte und krachte kurz darauf an allen Ecken und Enden. Durch das Fenster sah ich, daß der große Vogel mit seinen schlagenden Schwingen Mutters Einmachgläser und Flaschen von den Regalen fegte, die, sowie deren Inhalt, durch die Luft flogen und dann auf den Boden klatschten. Immer wieder rannte das Tier zum Fenster, um ausreißen zu können. Es war wie bei den Menschen, wenn man sagt: "Der läuft mit dem Kopf gegen die Wand!" Es wollte und mußte die Freiheit erzwingen.

Mutters Geduld war schließlich am Ende. Sie riß die Türe auf, und sogleich sah man nur noch ein Paar lange Kranichbeine über den Hof rennen, als wäre der Teufel hinter ihm her.

Als Mutter sich den Schaden im Keller angesehen hatte, sagte sie: "Wilhelm, du großer Kindskopp, am liebsten würde ich dich auch in den Keller einsperren!"

 
     
     
 
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