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Einen Augenblick mein Mann kommt gleich

 
     
 
Obwohl die Tür ihres Kleiderschranks sich kaum noch ins Schloß pressen ließ, weil er vor lauter Garderobe zu bersten drohte, hörte Stefan seine treusorgende Gattin Christine wehklagend aus dem Schlafzimmer rufen: "Liebling, ich habe überhaupt nichts anzuziehen!" Dies war Christines Standardspruch, gleichgültig, zu welchem Anlaß sie das Haus verließen. Und heute war ein besonderer Anlaß. Stefans Chef hatte zum 50jährigen Firmenjubiläum geladen, und da kleidet man sich bekanntlich etwas vornehmer. Vorsorge für einen ungetrübten Abend hatten sie auch schon getroffen. Ihren lebhaften sechsjährigen Sohn Martin hatten sie vorsichtshalber bei Oma einquartiert, und für 19 Uhr war ein Taxi bestellt.

Da die stattliche Kleiderauswahl Christines Entscheidung erschwerte und Stefan von Kleidern überhaupt nichts verstand, rief er zurück: "Du wirst schon etwas Hübsches finden. Sei vor allen Dingen pünktlich. Taxifahrer pflegen bekanntlich nur ungern zu warten".

Nachdem Christine endlich zu der Seidenbluse den passenden Gürtel gefunden hatte und das Täschchen mit der ganzen Kleidung und den Schuhen perfekt harmonie
rte, erschien sie pünktlich zum Klingeln der Türglocke im Wohnzimmer. "Das Taxi!" riefen beide wie aus einem Mund, und Christine fügte triumphierend hinzu: "Und du sagst immer, ich kann nicht pünktlich sein!"

Mit prüfendem Blick sah sich Stefan noch einmal im Wohnzimmer um. Ungläubig starrte er auf den Käfig. Die Tür stand sperrangelweit offen. Schlimmer noch: Mucki, der heißgeliebte Goldhamster ihres Sohnes Martin war verschwunden!

"Auch das noch!" stöhnte Stefan. "Ich muß diesen Nager unbedingt finden. Weiß du noch, was er bei seinem letzten Ausflug alles angestellt hat? Erinnerst du dich noch an die angenagte Tapete und das Loch in der Couch? Geh du inzwischen zum Taxi und halte den Fahrer bei Laune!" - "Immer muß man auf dich warten!" maulte Christine. "Nun halt aber mal die Luft an! Ist doch wirklich nicht meine Schuld! Diese ... diese Ratte ist doch ..."

"Wohin soll die Fahrt gehen?" fragte der Taxifahrer, als Christine eingestiegen war. "Nach, nach ... Einen Augenblick noch ... Wissen Sie, mein Mann, er, ja, er kommt gleich. Er verabschiedet sich nur noch von unserem etwas kränkelnden Großvater. Sie wissen ja, wie ältere Menschen so sind. Aber mein Mann kommt sofort."

Schon bald zog der Taxifahrer eine unwillige Schnute, trommelte nervös auf dem Lenkrad herum und blickte in den Rückspiegel. "Ihr Mann braucht aber recht lange für die Verabschiedung vom kränkelnden Großvater", meinte er dann deutlich ungehalten.

"Nun ja, Großvater ist wirklich ein sehr liebenswürdiger Mensch. Im Augenblick ist er nur etwas mehr auf Fürsorge angewiesen, und das nützt er gerne aus. Sie wissen ja, wie ältere Menschen solche Streicheleinheiten auskosten. Aber mein Mann kommt sofort."

Da kam auch schon Stefan angelaufen, mit einer wirren Haarsträhne auf der feuchten Stirn und puterrotem Gesicht. Prustend ließ er sich auf den Sitz fallen. Dann polterte er los: "Dieser Quälgeist, mit dem Besenstiel mußte ich ihn unter der Couch hervorprügeln. Dann wollte er sich hinter dem Musikschrank verstecken. Aber nicht mit mir! Mit dem dicksten Bildband habe ich nach ihm geworfen. Jammerschade, daß ich ihn nicht getroffen habe! Schließlich ist er in die Besenkammer geflüchtet. Dort habe ich ihn eingeschlossen. Da kann er recht wenig Unfug anstellen!"

Christine wurde in ihrem Sitz immer kleiner. Am liebsten wäre sie in die Seitentasche der Beifahrertür gekrochen. Im Rückspiegel konnte Christine die ungläubigen Blicke des Taxifahrers erkennen, der jetzt kopfschüttelnd den Wagen startete. Wenn sie jetzt Gedanken lesen könnte! Gottlob überkam sie dieses Wunder nicht, denn dann wäre es sicherlich zu einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Taxifahrer gekommen.
 
     
     
 
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