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Es ist erstaunlich, über was sich Rezensenten manchmal aufregen können. So mokierten sich Autoren von "Zeit", "Tagesspiegel" und "Süddeutsche" unter anderem darüber, daß die neue Erzählung von Hans Magnus Enzensberger in einem schwarzen Samtumschlag gebunden ist. Auch regten sie sich darüber auf, daß der mehrfach ausgezeichnete Autor sich auf eine Erzählung von Franz Kafka berufe, dies aber so diletantisch tue, daß einem das Grausen überkäme.
Doch lassen wir Kafka und den Samtumschlag mal außen vor und betrachten nur die Geschichte: Auf dem Heimweg von seiner Arbeit vereitelt der 30jährige Joachim durch Zufall einen Handtaschenraub. Von seiner eigenen Heldentat ganz benommen, nimmt er die Einladung der um ein Haar beraubten älteren Dame auf einen Tee bei ihr zu Hause an. In einer alten, baufälligen Villa plaudert die 75jährige Josefine munter drauflos. Ihr ebenfalls nicht mehr ganz junges Hausmädchen Fryda bringt den Tee, und der junge Retter läßt sich auf merkwürdige Diskussionen mit seiner Gastgeberin ein, die am Ende bestimmt feststellt, daß er am nächsten Dienstag zur selben Zeit wieder zu kommen habe.
Enzensberger erzählt die durchaus charmante Geschichte aus Sicht des jungen Mannes, der in einem kleinen Heftchen die Treffen mit der schrulligen Josefine notiert. Die Frau, die einstmals eine berühmte Sängerin gewesen zu sein angibt, fasziniert den in Scheidung lebenden, privat orientierungslosen Wirtschaftsanalytiker. "Ich fürchte, diese - bei allem Respekt - alte Schachtel ist eine ganz besondere Art von femme fatale: Zwar will ich nichts von ihr wissen, aber ich komme nicht los von ihr. Ihre dreiste Suada ist es, die mich fesselt. Sie kennt keine Selbstzensur. Das ist es, was ich ihr übelnehme und was ich an ihr - ungern! widerwillig! - bewundere."
Und tatsächlich ist die von Enzensberger geschaffene Josefine eine merkwürdige Person, die voller Vorurteile, ohne jede Logik bewertet und trotzdem manchmal Weisheiten von sich gibt, die den über 40 Jahre Jüngeren erstaunen. Noch mehr erfährt er allerdings von Fryda, die, wie es sich am Ende herausstellt, die wahre Herrin ist.
15 Jahre, Josefine ist schon lange tot, entdeckt Joachim beim Umzug seine alten Aufzeichnungen über die nicht immer spannenden, aber doch trotzdem faszinierenden Teenachmittage in der alten Villa. Obwohl die Notizen aus seiner Feder stammen, erkennt der gereifte Mann sein damaliges Denken nicht wieder, erinnert sich aber, was die Grande Dame aus einer anderen Zeit ihm mit auf den Weg gegeben hat.
"Josefine und ich" ist eine niedliche, kurzweilige Geschichte, die zeigt, wie Generationen sich gegenseitig stützen können. Enzensbergers Josefine auf die politisch korrekte Goldwaage zu legen, wie es einige Rezensenten getan haben, ist zum Scheitern verurteilt, auch wenn der Autor sie als Ventil verwendet. Josefines offene Art empfindet letztendlich nicht nur der Karrierist Joachim als erfrischend. Zumal kaum ein Leser die Worte der wankelmütig gestalteten Dame für bare Münze nehmen wird, ist es schleierhaft, wie man darin eine Gefahr sehen kann.
Hans Magnus Enzensberger: "Josefine und ich", Suhrkamp, Frankfurt / M. 2006, geb., 148 Seiten, |
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