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Im Mai 1940 marschierten die deutschen Truppen in die Niederlande ein. Zu diesem Zeitpunkt war Mirjam Bolles Verlobter Leo bereits in Palästina. Da sie nicht mit ihm ausreisen konnte, blieb ihr nur die Hoffnung, den Krieg heil zu überstehen, um ihn danach wiederzusehen.
Ab Januar 1943 begann Mirjam Bolle, heimlich Briefe an ihn zu schreiben. Diese tagebuchähnlichen Briefe hat sie zwar nie verschicken können, aber sie halfen ihr, das Erlebte zu verarbeiten und den Glauben an ein gutes Ende bis zum Schluß zu bewahren. In "Ich weiß, dieser Brief wird dich nie erreichen - Tagebuchbriefe aus Amsterdam, Westerbork und Bergen-Belsen" sind diese Briefe nun erstmals publiziert worden.
"Nach dem Mai 1940 erwies es sich als notwendig, ein Organ zu haben, das die Juden in den Niederlanden vertrat, einen sogenannten Dachverband , dem alle Vereinigungen untergeordnet waren ... Diese Koordinationskommission existierte nur kurz. Im Februar 1941 ernannten die Deutschen auf eigene Faust einen Judenrat ..."
Obwohl Mirjam Bolle selbst im Jüdischen Rat tätig war, mußte auch sie Nacht für Nacht bangen, wenn die Polizisten an der Tür klingelten, ob diesmal vielleicht auch Mitglieder ihrer Familie abgeholt werden würden.
"Im Juni 1942 folgten die weitreichenden Judengesetze: Außer zwischen 15 und 17 Uhr durfte man nicht mehr in Geschäfte, nicht mehr in Parks und Grünanlagen, nicht mehr ins Theater - ich glaube das war schon vorher verboten -, nicht mehr in Straßenbahnen oder Züge ... nach acht Uhr nicht mehr auf die Straße, zu viel um alles aufzuzählen."
Viele Demütigungen mußten die Autorin und ihre Familie über sich ergehen lassen, von der Inventarisierung, dem Erfassen des Hausrates jüdischer Familien, von frechen Beamten, über nächtliche Kontrollen bis hin zu öffentlichen Bloßstellungen unter anderem durch das Tragen des Judensterns. Der Galgenhumor, mit dem alles Erlebte dokumentiert ist, erlaubt einen besonderen Blick auf schon so oft geschilderte Schikane. Anhand der Briefe beschreibt die Autorin, wie sich eine junge, hübsche Frau fühlte, die an ihren guten Kleidungsstücken einen gelben Fetzen tragen und quasi wie gebrandmarkt durch die Stadt laufen mußte.
Nachdem Mirjam Bolle und ihre Familie das Elternhaus hatten räumen müssen, wurden auch sie deportiert, erst ins Lager Westerbork und letzten Endes ins KZ Bergen-Belsen. Doch war es nicht das erbärmliche Leben, das der jungen Frau so zu schaffen machte, sondern die Tatsache, nicht genau zu wissen, was mit ihr und ihrer Familie geschehen würde.
Sehr anschaulich schildert die Autorin das Leben im Lager, wie man tapfer versuchte, durch Kleinigkeiten ein kleines bißchen Glück im Unglück zu finden und aus der Situation das Beste zu machen. Mit dem einzigen Austauschzug, der Bergen-Belsen je verließ, gelang es der Autorin nach Palästina auszureisen und ihre Briefe hinauszuschmuggeln und aufzubewahren ... bis heute ...
Interessant, informativ und durch die sehr individuell geschriebenen, mal erschütternden, mal ironischen, mal zynischen Briefe ist "Ich weiß, dieser Brief wird dich nie erreichen" ein sehr bewegendes und vor allem "reales" Buch.
Mirjam Bolle: "Ich weiß, dieser Brief wird dich nie erreichen - Tagebuchbriefe aus Amsterdam, Westerbork und Bergen-Belsen", Eichborn, Frankfurt am M. 2006, geb., 300 Seiten, 22,90 Euro 5717 |
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