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Nachdem die in Bologna lebende deutsche Autorin Helga Schneider in der Fernsehsendung "J. B. Kerner" ihr neues Buch vorgestellt hatte, meldete sich ein alter Jugendfreund bei ihr. Sofort trafen sich die beiden und sofort war die Erinnerung an den gemeinsam am Attersee in Österreich verbrachten Sommer 1949 wieder da.
Helga, ihr jüngerer Bruder Peter, ihr Vater und ihre ungeliebte Stiefmutter leben nach den schrecklichen Kriegserfahrungen in Berlin bei ihren als deutsche Minderheit aus Polen brutal vertriebenen Großeltern in Österreich. Als dann der 13jährige Kurt als Gastkind in dieses Idyll platzt, sind die Geschwister keineswegs erfreut, denn Kurt ist merkwürdig. Die Großmutter bittet die elfjährige Helga nachsichtig gegenüber Kurt zu sein, denn Kurt sei "in der Seele krank". Wie sich das äußert, merkt Helga schnell, denn der Junge zieht sich vor seinen Mitmenschen zurück und reagiert auf Ansprache abweisend oder aggressiv. Stück für Stück jedoch, erfährt die unnachgiebige Helga, was Kurt auf seiner Flucht aus Ostdeutschland widerfahren ist.
Der Autorin gelingt es, den Leser an sich zu binden. Genau wie das Mädchen Helga erfährt er nur in Häppchen, was Kurt, seinem drei Monate alten Bruder Nikolas, seiner Mutter Ludowika und seinem Großvater in der Eiseskälte des Winters 1945 passiert ist. Helga Schneider macht die Verzweifelung, den Hunger, die Minustemperaturen und die Begegnung mit dem Tod der Flüchtenden greifbar. Am Ende erfährt der erschütterte Leser, woran Kurts Seele erkrankt ist. Auch der 70jährige Kurt der Gegenwart trägt heute noch den Schmerz von damals in sich. Fritz Hegelmann
Helga Schneider: "Als wir Kinder waren", Piper, München 2005, geb., 199 Seiten, 16,90 Euro |
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