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Krieg gegen die Bürger

 
     
 
Pacta sunt servanda, heißt der alte Spruch, der dem Rechtsstaat und dem Zusammenleben der Rechtsstaaten Stabilität verleiht. Verträge müssen eingehalten werden. Das gilt allerdings nur für die, die es nicht besser wissen. Für Ideologen in der Demokratie gilt die Abwandlung eines königlichen Worts: La loi c’est moi – das Gesetz bin ich. Und damit setzen sie die Demokratie entweder außer Kraft oder provozieren das Gewaltmonopol
des Rechtsstaates.

Genau das passiert im Wendland. Die Blockaden, Auseinandersetzungen und zum Teil gewalttätigen Proteste gegen den Castor-Transport sind nach klassischer Rechtsauffassung Widerstand gegen das Gesetz. Und weit und breit ist kein Tyrann zu sehen, der diesen Widerstand rechtfertigen würde. Im Gegenteil: Die Bürgergesellschaft in Deutschland billigt die Transporte, es handelt sich um eine kleine bärtige Minderheit, die den Aufstand probt. Es ist keine Bürgerinitiative, sondern ein Aufstand gegen die Bürgergesellschaft. Aber da es nicht um Werte, sondern um Angst vor dem eingeglasten Atom geht, zeigt man Verständnis. Angst frißt auch Gesetze auf. Für den Atomausstieg darf auch mal eine Polizistennase bluten. Sozusagen stellvertretend für die Repräsentanten der Politik, insbesondere die Spitzen der Grünen.

Beim Atomausstieg hält es die Partei der Grünen nämlich wie Radio Eriwan: Im Prinzip ja, aber erst nach der Sintflut. Damit ist die Basis so lange einverstanden, solange die Sintflut woanders stattfindet. Nun aber dringt sie in Form eines Castor-Transports über die Türschwelle, und dagegen macht die Basis mobil. Je weiter der Transport ins Herz des grünen Landes Niedersachsen vorstieß, um so tiefer sank und sinkt noch die Glaubwürdigkeit der Partei. Im flachen Land von Lüchow-Dannenberg ist niemandem mehr zu vermitteln, daß die Parteiführung in Berlin prinzipiell Blockaden als Mittel der Politik befürwortet, im Fall der Castor-Transporte sich jedoch dagegen aussprach. Und da enttäuschte Liebe leicht in Haß umschlagen kann, könnte der mit staatlicher Gewalt durchgesetzte Castor-Transport später einmal als Marke, als Datum für den Anfang vom Ende der Grünen-Partei in Niedersachsen und darüber hinaus gelten.

Ein Hauch von Niedergang ist schon da. Seit zwei Jahren und 15 Urnengängen haben die Grünen in Deutschland nicht mehr zulegen können. Sie gehören zu den Parteien mit den älteren Wählerstrukturen. Die von der Parteispitze getrennt lebende Basis ist aus der pubertären Sponti-Stimmung nie so richtig herausgewachsen, viele 68er sind nur biologisch älter geworden. Ihre einstigen Kampfgefährten aber haben den Absolutheitsanspruch der grünen Ersatzreligion in Berlin nicht durchsetzen können, der Kompromiß zum Atomausstieg liegt in so ferner Zukunft, daß man ihn wahrscheinlich nicht mehr erlebt. Die Monstranz ist leer. Der Castor aber blieb voll. Da hat sich viel Frust angestaut, auch und gerade gegen "die da oben" in Berlin. Jetzt wurde zugelangt, und die Parteispitze hatte keine andere Wahl, als das Gewaltmonopol des Staates zu verteidigen – gegen die eigene Basis. Ein klassisches Dilemma.

Wie immer, wenn es nach Nieder- und Untergang riecht, kreisen schon einige markante Vögel um die Szene. In diesem Fall versuchen Umweltvereine wie Greenpeace vom Dilemma der Grünen zu profitieren. Für sie gibt es kein Glaubwürdigkeitsproblem, und deshalb ist der Transport für sie nicht wie die Sintflut, sondern wie die Arche Noah. Während das Wasser um Gorleben steigt, sammeln sie die verlorenen Anhänger der Grünen. Und die Spitze in Berlin ahnt nicht, daß sie eine Hauptrolle spielt, die, wie das bei klassischen Tragödien üblich ist, meist böse endet.

Wählerschwund und Castor-Transport haben zwei Momente gemeinsam. Beide scheinen für die Grünen unaufhaltsam und beide zeigen, daß den Grünen die soziologische Basis wegbröckelt. Der Versuch, mit anderen Themen Zement in das Fundament zu gießen, wird scheitern. Die Bindekraft fehlt, es gibt dünne Schichten, keine Basis aus einem Guß, kein neues Milieu. Das grüne Milieu verwelkt, und die SPD stellt sich darauf ein. Die Lockrufe für die Liberalen werden lauter werden.

 
     
     
 
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