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Sitten und Bräuche unserer Altvordern schwinden allmählich dahin. Nur wo sie noch nach alter Gewohnheit geübt werden, leben sie fort. Aber sie sind umgebildet, mit ähnlichen Gebräuchen verschmolzen oder angeglichen worden an die heutige Weltauffassung. Hier und da hat die neue Zeit sie fast ganz ausgerottet: sie blühen nur noch in der Erinnerung alter Leute weiter.
Wie um Weihnachten, Silvester und um die "Zwölften" windet sich auch um Fastnacht ein Kranz von alten Volksbräuchen. Und allen diesen ehrwürdigen Gepflogenheiten zur Fastnacht ist eins gemeinsam: das Tanzen! Eine Fastnacht ohne Musik und Tanz, ohne Frohsinn und Fröhlichkeit kannten unsere Vorfahren nicht. Und wenn sie erst tanzten, dann auch tüchtig; denn das Fastnachtstanzen dauerte oft bis zum Sonnenaufgang .
Schon die Kinder lassen es sich nicht nehmen, Fastnacht ihre Freude zu haben. Auf dem Hofe hängen sie an einem passenden Gerüst oder über der Scheunentenne ein Pferdegeschirr auf, um sich in den Sielen ordentlich auszuschaukeln. Führen sie dabei Kunststücke oder waghalsige Übungen aus, so schichten sie für alle Fälle reichlich Stroh unter ihre Schwebeschaukel. Dieses Vergnügen genießen sie recht ausgiebig, "was das Zeug und Leder hält". "Fastnacht ist nur einmal im Jahr!" Und fort geht das muntere Schaukelschwingen bis in die Dunkelheit hinein.
Bei den Besitzern erheischt es der Fastnachtsbrauch, am Nachmittag im guten Wagen oder bei glatter Schlittbahn im Spazierschlitten auszufahren. Diese Fastnachtsrundfahrt führt oft durch alle umliegenden Nachbardörfer. Wenn man zu Fastnacht spazierenfährt, wird der Flachs gut gedeihen.
Andere Gegenden haben andere Sitten. Auf einem langen Leiterwagen fährt die Jugend des Dorfes in den Nachbarort. Mit Geschrei und Gekreische, Lachen und Singen kehrt die fröhliche Gesellschaft in den Krug ein, dreht einige flotte Tänze und fährt dann in das nächste Wirtshaus. So geht es von Ortschaft zu Ortschaft, bis die Runde im Heimatdorf ihr Ende findet und dort das junge Volk sich erneut beim Tanzen vergnügt. Selbst ergraute Bauern werden bei diesen Fastnachtsfahrten wieder jung und machen die Umfahrt von Dorf zu Dorf mit. Bei schöner Schneebahn fährt statt des einen langen Leiterwagens ein Zug von vielen schellenklingenden Schlitten durch die weißverhüllte Landschaft. Oft behindern die verschneiten Wege das eilige Vorwärtskommen, und so mancher Schlitten kippt beim sausenden Galopp; aber das gehört eben zu dieser Fastnachtsfahrt.
Selbst bei eisigem Frost und schneidendem Sturm darf der überlieferte Ausflug nicht unterbleiben. "Es war manchmal eine Kälte, daß die Zäune frostgeborsten knarrten und zersprangen! Aber wir fuhren. Ja, wir fuhren", berichtet mir kopfnickend meine Erzählerin. Und im Dorfkrug geht es dann nach beendeter Fahrt an das Fastnachtstanzen.
Hei, das ist ein Schwingen und Drehen! Wo die Holzpantoffeln zu sehr poltern, müssen eben die Socken herhalten! Jegliche Alltagssorgen sind vergessen. Nur perlende Heiterkeit und ausgelassene Freude haben heute Raum in den Menschenherzen. Und der Geiger streicht seine Fiedel wie noch nie! Hier und da verfügt die Dorfkapelle schon über zwei Musikanten: zu der ersten Geige kommt entweder eine zweite oder eine Flöte oder eine Handharmonika. Der Führer des Leiterwagens oder des ersten Schlittens sammelt vorerst von den tanzenden Paaren Geld für die Musiker. Die Gastwirtsfrau backt pflichtgemäß die Fastnachtsflinsen für die Spielleute; denn diese haben ja bis zum tagenden Morgen schwere Arbeit. - Polizeistunde! Nein, die gibt s noch nicht! Der "Schandarm" erhält als Ehrengast von der Krugwirtin einige frischgebackene Fastnachtsflinsen und sitzt plaudernd mit den alten Leuten in einer Ecke des Gasthauses.
Nun ein Fastnachtszug durch das Dorf, der vielfache Ähnlichkeit mit dem "Schimmelreiten" zu Silvester aufweist: An der Spitze des lärmenden Zuges zwei sogenannte Vorreiter, allerdings zu Fuß, jeder mit einer vollen Flasche Schnaps und mit einem Trinkglas versehen. Sie ziehen von Hof zu Hof und bieten dem Hausherrn nach den üblichen Begrüßungsformeln und Fastnachtsglückwünschen einen Fastnachtsschnaps an. Schlägt der Hausherr den angebotenen Trunk ab, so verweigert er damit dem Fastnachtszug die Erlaubnis, sein Grundstück zu besuchen. Nimmt er aber das Anerbieten an, so hat er dem Fastnachtsschimmel das Recht erteilt, seinen Hof und sein Haus zu betreten. Dann verabschieden sich die "Vorreiter", schreiben mit Kreide auf das Hoftor oder auf einen entsprechenden Zaunpfahl das Wörtchen "frei" und wenden sich zum nächsten Gehöft. Indessen naht, von einer johlenden Kinderschar umsprungen, der Fastnachtsschimmel. Seinen holzgeschnitzten Steckenpferdkopf kann er nach allen Seiten hin biegen und drehen. Mit einer langen Gerte haut der Reiter in die ihn umgebende lärmende Kinderschar, um sich den Weg zum nächsten "frei" zu bahnen.
Mit Poltern, Stampfen und klingendem Schellengeläut zwängt sich der bunte Zug in den Bauernhof hinein. Das Hausinnere betreten nur der Schimmelreiter und der Spielmann, der bei diesem Umzuge unerläßlich ist. Der Schimmelreiter und sein Roß machen eine tiefe Verbeugung vor dem Besitzer und seiner Frau und zeigen danach ihre Kunststücke. Nun spielt der Geiger ein munteres Stück auf, und der Schimmelreiter führt die Hausherrin zum Tanze.
Draußen harrt inzwischen das Gefolge des Fastnachtsschimmels des Entgelts für diese Bitt- und Tanzgänge: in die mitgebrachten Körbe, Kisten und Säcke empfängt es Kartoffeln und Hafer. Springend stampft nach vollendetem Tanze der Schimmel zur Tür hinaus und trabt inmitten seiner schreienden und lachenden Gefolgschaft zum nächsten Bauernhause. Den ganzen Nachmittag über bis in den späten Abend hinein währt dieses Herumziehen, das sein Ende im Dorfkrug nimmt. Hier verkauft man die erstandenen Habseligkeiten - zumeist nur Hafer und Kartoffeln - und löhnt aus dem Erlös die Musik für den anschließenden Tanzabend. Der Schimmelreiter erhält vertragsgemäß eine Mark "für die zerrissenen Sohlen". Den Rest des Geldes vertrinken die Musiker, der Reiter und dessen Gefolgschaftsleute. Werner Bethke
Aus "Unser Masuren-Land", Nr. 3/1934 |
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