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Wir hatten die heilige Woche als gewissenhafte Reisende durchzumachen beschlossen - nur von der Fußwaschung hatten wir uns freigesprochen. Aber wir waren pflichttreu am Karfreitag in die Sixtinische Kapelle gegangen, um die Improperien und das Miserere anzuhören, obschon wir alle beide an den eigentlichen Schaustellungen des katholischen Kirchenpompes kein Gefallen fanden und oftmals von der seelenlosen Gleichgültigkeit des bei den großen Zeremonie n fungierenden Klerus unangenehm in unserer Art von Andacht gestört worden waren. Den Papst hatten wir sehr oft gesehen, noch an dem Morgen war er bei dem Zug in die Sixtina so dicht an uns vorübergekommen, daß wir sein stumpfes, mönchisches Gesicht mit den listigen Augen genau betrachten konnten, und ich hatte schon eine geraume Zeit in der fast unerträglichen Hitze der Kapelle darüber nachgedacht, ob es nicht das gescheiteste wäre, sie zu verlassen und auf das Miserere zu verzichten, als ich, umhersehend, (Adolf) Stahr nicht mehr entdecken konnte, der aus dem gleichen Grunde es vorgezogen hatte, sich zu entfernen. Inzwischen hatte die Intonation des Miserere begonnen und bannte mich an meinen Platz.
Es war etwas Gewaltiges in den Klängen dieser uralten Musik, in diesen Tönen, in welchen seit Jahrhunderten die Menschheit den Gott, den sie sich aus innerer Notwendigkeit nach ihren Bedürfnissen aufgerichtet hatte, anflehte, sich ihrer zu erbarmen und ihr zu vergeben, was sie gegen sich selber und gegen ihr Bewußtsein gesündigt hatte. Es hatte etwas geheimnisvoll Ergreifendes, als während der Lamentationen von den Kerzen, welche an dem Altar brannten, immer eine nach der andern ausgelöscht wurde, bis allmählich die ganze Kapelle und wir in ihr in trübes Dämmerlicht versanken. - Ach! Von den Tagen, die mir jetzt leuchteten, erlosch ebenso einer nach dem andern, und die Dämmerung und die Macht, von denen ich meine Zukunft verschattet glauben mußte, waren mir nicht fern.
Entnommen aus "Römisches Tagebuch 1845/46", herausgegeben von Heinrich Spiero, Leipzig 1927
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