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kann als ein Zweig der Experimentellen Phylogenetik (- Abstammung des Menschen) bezeichnet werden. Die Hominiden traten von Anfang an in Populationen oder Fortpflanzungsgemeinschaften auf. Im Laufe der Abstammungsgeschichte haben sich die Hominidenpopulationen aus geringen Umfängen (Horden und Familienverbände) zu Großpopulationen entwickelt. Heute kann die gesamte Menschheit als eine höchst komplexe Großpopulation mit einem unübersehbaren sexuellen Beziehungsgefüge betrachtet werden, in der aber viele Populationen verschiedenster Größe vorhanden sind. Man versteht nun in der Genetik unter Population (Johann sen 1903) eine Gruppe untereinander sich fortpflanzender Individuen in einem bestimmten geographischen Raum. Eine Population wird speziell als M e n d e l- P o p u 1 at i o n bezeichnet (W r i g 1a t 1931), wenn ihre Mitglieder im gleichen Raum und im gleichen Zeithorizont denselben genetischen Veränderungen, wie durch Mutabilität und Selektion s wirkungen, unterworfen sind. Jedes Individuum einer solchen Population verfügt über einen Ausschnitt (Teilbestand) des Gesamtallelbesitzes (,Genpool,) der Population. Die umfangreichste Mendelpopulation wird durch die Art dargestellt und zerfällt in eine abgestufte Reihe von Populationen abnehmender Größe. Auch die Hominiden fallen unter diese Definition.
Die Populationsgenetik untersucht nun mit statistisch quantitativen Methoden die Veränderungen, die die genetische Struktur einer Population des betreffenden Genpools erfährt, und strebt über die einfache Genstatistik hinaus danach, auch die Ursachen dieser genetischen Strukturveränderungen festzustellen. Methodisch wesentlich ist die Vorstellung einer idealen Pop ii l a t i o n,, die natürlich nur ein irreales Modell darstellt. Sie besitzt praktisch unendliche Größe, in ihr herrscht P a n in i x i e (gleiche Paarungswahrscheinlichkeit aller Individuen untereinander); es gibt keine Mutabilität; es fehlen Eignungsunterschiede der Individuen gegenüber einer konstanten Umwelt. In einer solchen Population, ihrem Genpool, herrscht (H a r d y und Weinberg 1908) ein genetisches Gleichgewicht (bei normaler sexueller Reproduktion). Es stellt sich in ihr ohne Rücksicht auf die Häufigkeit, in der anfangs zwei Alle 1 e Aa vorhanden waren, in einer kurzen Generationen-strecke ein. Ist die Häufigkeit eines dominanten Allels A = q, die eines rezessiven a =1 q, so erhält man die G e n o t y p e n f r e q u e n z q2 AA : 2q (1 q) Aa : (1 q)2 aa (Mendelkombination F2). Die Allelenhäufigkeiten sind also konstant q A und (1 q) a. In einer solchen idealen Population kann keine Evolution auftreten. Diese Hardy-Weinbergsche Formel ist die theoretische Grundlage der Genstatistik (Genfrequenzen) innerhalb der Populationen.
Man kann sehr allgemein Evolution als Wandlung in den Genhäufigkeiten definieren. Solche Wandlungen sind jedoch nur möglich, wenn sich der ideale Zustand der Population ändert. Die Änderungen können verschiedener Art sein. So greift in den genetischen Aufbau einer von der praktisch unendlichen Größe der idealen Population abweichenden realen Population die zufallsmäßige Änderung der Genhäufigkeiten (S e w a l l- W r i g h t-Effekt 1921) ein. Durch diese, auch
e n d r i f t, genannt, können, ohne Riicksicht auf den Anpassungswert, Gene verlorengehen, ausgemerzt oder vermehrt, angereichert, werden. Besonders gilt das für kleine Populationen, in denen der Drifteffekt in relativ kurzer Zeit zu evolutiven Änderungen führen kann. Es entstehen so neue systematisier-bare Gruppen kleinen Ausmaßes. Driftwirkungen allein haben in größeren Populationen keine evolutiven Auswirkungen. Besonders die sog. P o p u 1 a t i o n s to e l f e n sind für Driftwirkungen wichtig. Wir verstehen unter Populationswellen quantitative Schwankungen der Populationsgrößen (zufälliger und rhythmischer Art) und des Populationsraumes. Die mit den Wellen verbundenen Änderungen der Gen-(Allel-)Konzentrationen können evolutive Bedeutung gewinnen und der Selektion als Materiallieferanten dienen. Analysen haben ergeben, daß die genetische Drift zu keinen wesentlichen Evolutionseffekten führt und z. B. keinesfalls eine nichtselektive und in-adaptive Evolution bedingen kann. Das gilt mutatis mutandis auch für den Menschen. Wird zwischen den Populationen einer Art die geographische Isolation aufgehoben, so erfolgt das Eindringen der einen Population in die andere. Man spricht von Gen f l u fl (R a s s e n in i s c h u n g besagt etwa dasselbe). Der Genfluß kann im Extrem zu einer völligen Amalgamierung von Populationen und Rassen mit neuem Genpool führen.
Die Mutabilität erweitert durch die Mutationen (Gen-, Chromosomen- und Chromosomenzahl-Mutationen) die genetische Mannigfaltigkeit der Populationen bzw. ihrer Genpools. In I s o 1 a t e n können natürlich Teilbestände des Gesamtgen-pools abgeschnitten werden, die so Ausgangspunkte neuer Evolutionen werden, wobei dann durch Mutabilität die Mannigfaltigkeit des Genpools wieder ergänzt wird. Ganz allgemein werden durch die Mutabilität Eignungsunterschiede unter den Allelen erzeugt. Somit wird dem Angreifen der Selektion das Material (elementares Evolutionsmaterial) geboten. Die Selektion aber bedingt das Überleben der Geeignetsten und verschiebt als richtender Faktor quantitativ die Genbestände innerhalb des Genpools der Population. Selektionsvorteile mutierter Allele haben sich in Beispielen, die analysierbar waren, exakt fassen lassen. Sie sind definiert als die Erhöhung der relativen Nachkommenzahl eines Genotyps gegenüber einem anderen. Es entsteht damit der Selektionsdruck, der exakt gemessen werden kann als Änderung der Genfrequenz je Generation. Der sog. Selektionskoe f f izient bewegt sich von + 1 über o zu 1, von vollständiger positiver Selektion über einen neutralen Zustand zu vollständiger Gegenauslese. Der Selektionswert eines Genes liegt also an einer Stelle zwischen diesen Extremen. Die Häufigkeit eines Genes wird aber, da jedes Gen eine bestimmte Mutationsrate hat (sie liegt sehr niedrig zwischen io-a und 10-7) durch den Mutationsdruck erhöht, dem dann der Selektionsdruck entspricht. Es darf nicht unterschätzt werden, daß der Selektionsdruck für ein Gen wesentlich davon abhängt, in welchem Genotyp, in welchem Polygensystem es sich befindet. Die sexuellen Genkombinationen sind damit von einer außerordentlichen evolutiven Bedeutung.
Die exakte Erfassung der quantitativen Verschiebungen in den Allelkonzentrationen (Genfrequenzen) innerhalb von Populationen, das Aufgabengebiet der Populationsgenetik, ist die Grundlage für die - Rassengenese, diese wiederum die Grundlage für die Artbildung; auf ihr beruht die allgemeine Evolution.
Die bedeutendsten experimentellen Erfolge hat die Populationsgenetik bisher mit den D r a s o p h i l i n e n erzielen können (Schule von D o b z h a n s k y, die z. Z. mit ganzen Populationen arbeitet und die Frequenzen bestimmter mit Signalfaktoren markierter C 11 r o m o s a an e n und deren Kombinationen erfaßt). Diese tiefdringenden Analysen haben zu einer großartigen experimentellen Bestätigung der modernen Form der Selektionstheorie Darwins geführt.
In günstigen Fällen ist es schon mit relativ einfachen Mitteln möglich, durch Populationsanalysen die Selektionswirkungen klar nachzuweisen. Die quantitativen Konzentrationsänderungen adaptiver Gene mögen zunächst an einem besonders klaren Beispiel aus dem Tierreich vorgeführt werden. Der sog. I n d u s t r i e m e l a n i s in u s ist eine Erscheinung, die in Gegenden beobachtet wird, in denen die Atmosphäre verschmutzt ist. Dadurch verfärbt sich z. B. auch die Birkenrinde, auf der der Birkenspanner (B i s t o n b e t a 1 a r i a) sitzt, der an den Flechtenbewuchs und die helle Farbe der Birkenrinde angepaßt ist. In Industriegebieten erscheinen aber seit etwa 185o Varianten mit dunkler Färbung von Körper und Flügeln (= var. carbonaria). Heute wissen wir, daß für diese melanistische Färbung ein dominantes Gen allein verantwortlich ist, das daneben noch einen etwas kräftigeren Körperbau bedingt. Dieses Gen trat zunächst in geringer Konzentration auf, es wurde immer wieder ausgemerzt, obwohl die Falter etwas kräftiger als die normal gefärbten waren. Der ausmerzende Faktor (Vogelfraß) war in seiner Tätigkeit zu beobachten. Der Melanismus trat mutativ aber immer wieder auf und mit fortschreitender Industrialisierung nahm die Konzentration der Melanos, damit des Gens, ständig zu und hat jetzt in stark industrialisierten Gegenden 99 v. H. erreicht, d. h., es fliegen in solchen Gegenden überhaupt nur noch dunkle Falter. Die Variante carbonaria ist in der Industrieumwelt besser gegen Vogelfraß geschützt als die ursprüngliche helle Form betularia , sie ist nun die normale geworden. ,Von Ford und K e t h 1 e w e 11 ist dieser Fall, der früher zu lamarckistischen Spekulationen verführt hatte, quantitativ exakt untersucht und selektionistisch geklärt worden. Es ergab sich, daß in Industriegegenden die var. carbonaria 10 v. H. besser überlebt als die helle Form, in nichtindustrialisierten Gegenden überlebt die helle Form um 17 v. H. besser. Es hat auch die Intensität der dunklen Färbung im Laufe der Zeit zugenommen. Ähnlich gelagerte Fälle gibt es bereits mehrere. Sie vermitteln uns einen direkten Einblick in die Bedingungen, unter denen quantitative Schwankungen der Genhäufigkeiten zustande kommen, und zeigen vor allem, daß adaptive Wirkungen der Gene mit steigenden Konzentrationen, die vor der Selektion positiv erfaßt werden, bestehen.
Über die Genschwankungen in menschlichen Populationen ist uns wenig bekannt. Direkte Beobachtungen des Prozesses sind bisher nicht gelungen. Es zeigt sich aber häufig eine so bedeutsame Analogie zu analysierten Fällen aus dem Tierreich, daß man auch für den Menschen zunehmende Konzentrationen z. B. eines Gens, d. h. Genflüsse (Eindringen von Genen in vorher von ihnen nicht besetzte Populationen), ebenfalls als Selektionswirkungen auf adaptive Gene und ihre Kombinationen betrachten darf, ohne daß über ihren speziellen Charakter etwas Exaktes ausgesagt werden könnte. Doch ist auch dies in Anfängen möglich, wie z. B. im Falle der S ich e 1z e 11 e n a n ä m i e (-~ Humangenetik), bei welcher die Heterozygoten malariaresistent und damit selektionsbevorteilt sind; sie werden von der positiven Auslese erfaßt und die Konzentration des Sichelzellengens nimmt zu. Normale Homozygote werden von der Malaria erfaßt und ausgemerzt. Bei Fehlen der Malaria sinkt die Frequenz des Sichelzellengens. Homozygote Sichler sterben natürlich ebenfalls aus.
Am besten studiert sind die quantitativen und regionalen Verhältnisse, wie sie bei einigen Blutfaktoren-Systemen herrschen, besonders beim ABO-System (Birdsell). So fehlt in Australien normalerweise die Blutgruppe B, sie tritt aber in geringer Konzentration im Norden des Kontinentes auf (Reche-Lehmann). Dies hat mit dem Eindringen neomelanesider Rassenelemente übet See (Torresstraße) zu tun. Das Gen B ist aber weiter südwärts vorgedrungen als die kulturellen papuasischen Einflüsse im australiden Raum. Wir sehen also, daß hier die Gene selbständig (natürlich an Träger gebunden) unabhängig vorn Kulturstand der Bevölkerung nach Süden diffundieren . Dies als Beispiel eines vielversprechenden Ansatzes für eine exakte Genstatistik menschlicher Populationen. Natürlich können eine ganze Anzahl von R a s s e n in e r k nl a 1 e n als genisch bedingt gelten und mehrere sind es nachweislich. Es ist damit implicite eine Aussage über ihren selektiven Wert gemacht, wenn sich dieser auch nicht exakt fassen läßt und erst wenige Merkmale als adaptiv gedeutet werden konnten. Jedenfalls wirkten bei der Bildung der Rassen des Menschen die von der Populationsgenetik behandelten Mechanismen, besonders die Selektion adaptiver Gene mit (Rassengenese). Gendriften werden besonders in den Frühphasen der Rassengeschichte und der stammesgeschichtlichen Differenzierung der Hominiden eine Rolle gespielt haben, da damals nur sehr kleine Populationen existiert haben dürften. Je geringer aber die Individuenzahl einer Population, um so stärker kann der S e w a i i -Wright-E f f ekt sich auswirken (Schwidetzky).
Die Populationsgenetik ist eine Sparte der Evolutionsgenetik, die sich in wenigen Jahrzehnten zur exakten Grundlage der Erforschung des Evolutionsprozesses entwickelt hat. Ihre wesentlichen Feststellungen wurden an tierischen Populationen gewonnen. Ihre mathematisch-statistischen Modelle aber haben allgemeine Bedeutung. Auch die Genpools menschlicher Populationen und ihre quantitativen Anderungen können mit Modellen der allgemeinen Populationsgenetik beurteilt werden. Für allgemeinere Fragen der Rassengrenzen, der Rassenbildung und der Gesamtevolution überhaupt aber hat sich ergeben, was im Grunde schon Darwin wußte und formuliert hat: daß die Evolution nicht über Individuen, sondern über Populationen verläuft. |
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