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Darf man das? So lautet die Frage, die fast alle Rezensenten des neuen Romans von Fréderic Beigbeder stellen. Selbst der französische Autor stellt in "Windows on the World" diese Frage und beantwortet sie eindeutig mit einem "Ja". Und so machte er die Ereignisse im World Trade Center am Tage des Terroranschlags, der die Welt schockierte und veränderte, zum Thema seines Romans.
Beigbeder berichtet aus der Sicht des 43jährigen geschiedenen Familienvaters Carthew Yorston, der mit seinen beiden sieben- und achtjährigen Söhnen im Rahmen eines Ausfluges nach New York am 11. September 2001 das Restaurant Windows on the World in der Spitze des Nordturms des World Trade Centers besichtigt. Dabei läßt der Autor Yorston aus der Ich-Perspektive über die Geschehnisse erzählen. Es scheint ein ganz normaler Tag zu sein. Touristen, Frühstücksgäste, Banker; sie beobachtet der Texaner, während seine Kinder sich darüber streiten, wer den Fotoapparat haben darf. Eine ziemlich gewöhnliche Alltagsszene also, bis zu dem Moment, wo das erste Flugzeug in das WTC fliegt. Eine Zeit lang versucht der ansonsten egoistische Vater, seinen Söhnen weiszumachen, daß alles nur eine besondere Abenteuerbahn eines Freizeitparks sei, doch bald begreifen die Kinder, das die Panik der Menschen, das Feuer und die Toten echt sind.
Der Autor, ein "enfant terrible" der französischen Literat ur, beläßt es jedoch nicht bei seiner erfundenen Geschichte um den texanischen Immobilienmakler, sondern behandelt in seinem nach Minuten aufgebauten Kapiteln abwechselnd Yorstons Schicksal und seine eigenen Recherchen zum Roman. Manchmal gibt er dabei interessante Informationen, die über die Ereignisse im Restaurant hinausgehen, häufig jedoch verkündet er nur seine Meinungen und Ansichten zu allem Möglichen; ob französisch-amerikanische Animosi-
täten, seine Beziehungsprobleme, Kindheitserinnerungen oder Sexerlebnisse, Beigbeder "versaut" damit sein ganzes Buch. Zwar provoziert der Egozentriker wie gewünscht, doch jeglichen Anspruch ernstgenommen zu werden hat er damit verwirkt.
Trotzdem, seine Darstellung Carthew Yorstons, der in den Stunden seines Todeskampfes erst erkennt, wie wichtig ihm seine nur noch sporadisch besuchten Söhne, seine neue Lebensgefährtin und sogar seine Ex-Frau sind, ist angebrachte Gesellschaftskritik, die durchaus passend im symbolträchtigen Ende des World Trade Centers angesiedelt ist. Abgesehen davon haben Katastrophen die Menschen schon immer fasziniert, so daß allein die Beschreibung des Unglücks schon genügend Anziehungskraft ausübt, und da keiner der Gäste des Windows on the World überlebt hat, konnte Beigbeder seiner Kreativität freien Lauf lassen. Fritz Hegelmann
Frédéric Beigbeder: "Windows on the World", Ullstein, München 2004, geb., 351 Seiten, 22 Euro
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