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Es kommt gewiß der Tag, da man sich vor Zentralrat, Fernseh-Tribunalen und Parlamenten sogar für Kritik an der Telekom-Geschäftsgebarung entschuldigen muß. Aber dank Martin Walser (oder eher dank Marcel Reich-Ranicki?) haben die Spiegelfechtereien jetzt immerhin ein literarisches Flair erhalten.
Das regt an, die Gedanken schweifen zu lassen, um in der Literatur Vergleichbares zu finden, und dabei stößt man fast zwangsläufig auf Andersen. Nein, nicht auf den in Amerika für seine blumigen Bilanzen so hochgeschätzten Arthur, sondern auf den dänischen Hans Christian: Die als Märchen verbrämte Satire "Des Kaisers neue Kleider" behandelt nämlich genau das, was wir derzeit miterleben! Alle sehen das Offenkundige, doch keiner wagt, es beim Namen zu nennen, denn jeder fürchtet, von allen anderen Dummen für dumm gehalten zu werden und sein Amt abgeben zu müssen. Nur ein unverbildetes Kind setzt sich über das politisch korrekte Tabu hinweg.
Die Rollenverteilung zwischen putzsüchtigen Kaisern, eingebildeten Würdenträgern und geschäftstüchtigen Kleidermachern scheint heute zwar nicht so eindeutig, und manche Charaktere mögen ineinander fließen. Aber die Quintessenz ist die gleiche.
Nun ja - einen Unterschied sollte man doch noch erwähnen: Im Märchen bleiben letztlich nur der Popanz und seine Schranzen bei dem Lügengespinst. Das kulturlose Volk hingegen läßt sich vom vorlauten Kind überzeugen und schenkt den eitlen Tröpfen allesamt keine weitere Beachtung. Waren eben undemokratische Zeiten. Oder lag es eher daran, daß das populistische Kind keinen Rückzieher machte? Prof. Dr. Küssner |
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