|
Er begann seinen Spaziergang so frohgestimmt wie immer, aber schon bald gab es eine abrupte Wende. Auf dem Weg, an einer Häuserreihe, begegnete ihm eine Frau mit einem Hund, der Paul die Zähne zeigte und ihn zur Flucht bis zu einem schwarzen Wacholderstrauch trieb. In diesem Augenblick traf ihn eine blaue Beere, die ein vom Strauch wegfliegender Vogel im Schnabel zerquetscht und nun auf Pauls Anorak fallen ließ. Das Kleidungsstück war nun mit einem nicht zu übersehenden Fleck dekoriert.
"Gestern aus der Reinigung geholt und heute dieses Malheur", grollte er. "Die nächste Reinigung bezahlen mir andere." Zu der Frau mit dem Hund gewandt, sagte er böse: "Das haben Sie davon. Hätten Sie dieses bissige Geschöpf ein bißchen fester am Zügel gehabt, wäre nichts passiert. Ich werde Sie regreßpflichtig machen." Die Frau erwiderte: "Von mir werden Sie nichts bekommen, mein Hund ist brav, er hätte Ihnen nichts getan, auch wenn Sie stehengeblieben wären. Warum sind Sie auch so ein ängstlicher Typ?"
Das war zuviel für Paul. Er fühlte, wie seine Ehre und das ihm ansonsten nachgesagte Draufgängertum in diesem Augenblick angeknabbert wurden. "Ängstlich, sagten Sie? Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen", sprach er, ging zu dem Hund und - streichelte ihn. Der Vierbeiner gab zwar nicht Sympathie verkündende Laute von sich, ließ die Streicheleinheiten aber über sich ergehen, vielleicht auch nur, um seinem Frauchen mit diesem artigen Verhalten einen Gefallen zu tun. "Da haben Sie den Beweis", sagte diese dann auch, "mein Hund und ich sind unschuldig. Wenden Sie sich an den Eigentümer der Sträucher. Vielleicht haben Sie da Glück."
Schon bald hatte er den Eigentümer des Reihenhauses, eine Baugesellschaft, ermittelt, von der er glaubte, sie sei auch für die Sträucher am Haus zuständig. Doch bevor er seinen Fall hinreichend schildern konnte, verdeutlichte ihm der Sachbearbeiter, daß die Baugesellschaft für die Sträucher nicht zuständig sei. Er gab Paul den Rat, bei der Stadtverwaltung vorzusprechen, weil diese für die Sträucher verantwortlich sein müßte.
Mit dem befleckten Anorak und einer gemischten Portion von Mut und Wut im Leibe betrat er das Zimmer des Sachbearbeiters im Rathaus. "Ich hoffe," sagte Paul, "daß die Zuständigkeit für meinen Fall in diesem Hause gegeben sein wird." - "Das werden wir gleich feststellen, verehrter Herr", erwiderte der Sachbearbeiter, "schildern Sie bitte, was geschehen ist." Paul berichtete detailliert über das Vorkommnis, und dazu gehörte nach seiner Ansicht besonders der von dem Strauch weggeflogene Vogel mit der blauen Beere im Schnabel. "Hm", sagte der Sachbearbeiter, "es ist richtig, daß die Sträucher, an denen Ihnen das Mißgeschick passiert ist, der Stadt gehören." - Na, endlich, dachte Paul und atmete sichtlich erleichtert auf. Aber dann fragte der Sachbearbeiter plötzlich: "Was sagten Sie da eben von einem Vogel? Erzählen Sie das doch bitte noch einmal." - "Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?" fragte Paul entrüstet, "aber gut, wenn Sie Beschwerde n Ihrer Bürger nicht verstehen oder verstehen wollen, dann bitte noch einmal: Ich ging wie fast täglich spazieren, benutzte den Wanderweg, und da kam ..." - "Das habe ich verstanden", unterbrach ihn der Sachbearbeiter, "fangen Sie bitte an der Stelle an, an der der Vogel in den Handlungsablauf tritt." - "Na, gut", sagte Paul, "ein Vogel flog vom Strauch weg. Er hatte eine zerquetschte blaue Beere im Schnabel, die er auf meinen Anorak fallen ließ. Auf diesem ist nun ein blauer Fleck vorhanden, und ich suche den Zuständigen für die Reinigungskosten." - "Das also ist des Pudels Kern", sagte der Sachbearbeiter, "jetzt sehe ich klar." Endlich hat er mich verstanden, und endlich wird nun auch die Zuständigkeit für meinen Fall geklärt sein, dachte Paul. "Ja, mein lieber Herr", sagte der Sachbearbeiter dann, "rekapitulieren wir noch einmal: Ein Vogel läßt eine zerquetschte Beere auf Ihren Anorak fallen. - Der Fall ist sonnenklar. Die Stadtverwaltung ist dafür ganz und gar nicht zuständig." - "Ja, zum Donnerwetter, wenn Sie nicht zuständig sind, wer sollte es denn sonst sein?" unterbrach ihn Paul. "Die Angelegenheit ist eindeutig", sagte der Sachbearbeiter lächelnd, und Paul blieb am Ende ob der himmlischen Pointe nichts anderes übrig, als auch zu lachen: "Für Vögel, lieber Herr, und das müßten Sie eigentlich wissen, für Vögel in der freien Natur ist - der Herrgott zuständig."
Kein Wunder von Christel Poepke
Da habe ich nun
meine Gedanken
auf freien Fuß
gesetzt,
und trotzdem
gehen sie immer
fein säuberlich
auf der gepunkteten
Linie entlang.
Kein Wunder,
daß die
streunenden Katzen
einen Bogen
um mich machen.
|
|