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Sonnenblumen im Winter Von CHRISTEL BETHKE
Es war ein grauer Tag gewesen und es wollte auch nicht so recht hell werden. Schon morgens hatte Metha die Lampe an die Nähmaschine rücken müssen, damit sie überhaupt die Naht auf dem dunklen Stoff, der eine Herrenhose gewesen war und nun ein Damenrock werden sollte, erkennen konnte. Und ihre Füße mußten ab und zu pausieren, wenn sie den Stoff zurechtlegte unter dem "Füßchen" der Maschine.
Da hatte es zweimal an der Haustür geläutet. Das galt ihnen, den Flüchtlingen, die in diesem Haus Wohnraum zugewiesen bekommen hatten. Metha war zur Tür gegangen und hatte geöffnet. Der Briefträger. Er hatte ihr eine Karte überreicht, und merkwürdig vorne waren Sonnenblume n abgebildet. Metha betrachtete sie etwas genauer und mußte sich plötzlich beeilen, um noch ihren Stuhl zu erreichen. Sie wurde ganz schwach. Der Postbote war ihr besorgt gefolgt und fragte, ob alles in Ordnung sei. Sie nickte, und als er gegangen war, drehte sie die Karte um und begann sie zu entziffern. Aber schon nach der ersten Zeile begann sie hemmungslos zu weinen. Sie, die niemals geweint hatte, schüttelte es nur so
Eigentlich hatte sie die Hoffnung nie aufgegeben, daß Emil doch noch irgendwann kommen würde, auch wenn es 1942 geheißen hatte, er sei vermißt in Rußland. Von zwanzig Ehejahren hatte sie elf allein mit den Kindern verbringen müssen, einschließlich der Flucht und dem Versuch, nicht unterzugehen. Als der Krieg begann, waren die beiden Mädchen gerade acht und neun Jahre alt gewesen, der Junge vier. Die Mädchen, wie sie sie noch immer nannte, waren inzwischen fast erwachsen, und der Junge würde in diesem Jahr eingesegnet werden. Sie gingen schon ihre eigenen Wege, und das Leben gestaltete sich schwierig, so daß sie kaum Zeit fanden, sich an das zu erinnern, was früher gewesen war. Nicht, daß sie den Mann vergessen hatte, aber die Erinnerung an ihn war mit der Zeit blasser geworden. Und nun die Karte! Und zwischen den Sonnenblumen ein gezeichnetes Gesicht! Sie hatte es sofort geahnt, denn das war ganz seine Art, sich so anzukündigen
Am übernächsten Tag standen drei Frauen Metha und ihre beiden Töchter und ein junger Mann auf dem Bahnsteig, die das Gespenst nicht erkannten, das aus dem haltenden Zug ausstieg und sich suchend umblickte. In der Hand einen aus Brettern gezimmerten Koffer mit einem Lederstückchen als Griff und einem Vorhängeschloß als Sicherung.
Vor lauter Unsicherheit und Beklommenheit hatte niemand so recht gewußt, wie er sich verhalten sollte, bis der Junge die Situation rettete und dem Vater den Koffer abnehmen wollte. Aber den gab der Heimkehrer nicht her.
Nun aber erst mal nach Hause, das jetzt in der Fremde war; das bedrückte Metha besonders. Aber es war nicht nur das. Wie sollte der Anfang aussehen nach solch einer langen Trennung, in der sie fast alle Hoffnung hatte fahren lassen? Sie sah die unsicheren Blicke, die Emil auf sie alle warf. Der Gedanke war ihm in der Gefangenschaft irgendwie nicht gekommen, daß seine Kinder nicht mehr die sein würden, die er verlassen mußte, als der Krieg begann.
Es dauerte dann einige Zeit, bis sie wieder vertrauter miteinander werden konnten. Die Kinder und auch sie sahen mit Befremden des Vaters Gier, seine Hartnäckigkeit mit dem mitgebrachten Löffel alles in sich reinzuschaufeln. Wie er schützend den Arm um seinen Teller legte, so als fürchte er, jemand nähme ihm was fort. Und dann der Koffer, den er nicht aus den Augen ließ und den er sogar mit ins Badezimmer nahm. Erst nachdem er seine Malariaerkrankung überstanden hatte, lüftete sich das Geheimnis. Er hatte Nähgarn mitgebracht. Im Lager hatte es geheißen, daß es in Deutschland nichts zu kaufen gab, nicht einmal Nähgarn. Und weil er in Gedanken seine Frau über der Nähmaschine sitzen und die Kinderkleider nähen sah, hatte er alles Garn gesammelt, das er erwischen konnte. Wenn er für die Bewacher etwas anfertigen mußte oder etwas malen, darin war er begabt , ließ er sich mit Garn bezahlen, wenn es möglich war.
Erst dachten beide, sie kämen noch mal nach Hause, weil in ihren Köpfen trotz Gefangenschaft und Flucht immer noch die Zeit spukte, in der sie nun das Glück sahen. Sie hatten sich dann doch noch eine neue Existenz schaffen können, aber es wurde nie mehr so, wie es mal gewesen war. Elf Jahre hatten ihre Spuren hinterlassen. Seit einigen Jahren war Metha nun Witwe. Die Mädchen und sie hatten es beibehalten, sich des Tages zu erinnern, als die Sonnenblumenkarte kam
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