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"Es zeichneten sich also bereits allerhand Veränderungen der Landkarte Europas ab, als Polens Außenminister Beck zum Jahreswechsel 1937/38 in England vorfühlte, ob die Briten wohl Österreich und die Tschechoslowakei überhaupt gegen einen deutschen Zugriff verteidigen würden. Am 23. Januar trafen er und der Londoner Botschafter Polens, Raczynski, zu diesem Zweck mit Winston Churchill zusammen, den sie auch ohne Regierungsamt wohl nicht zu Unrecht zu den besser Informierten in London zählten. Churchill machte allerdings seinen Abstand zur Regierungspolitik ziemlich deutlich. Er gab Chamberlains Versuch, ein neues Gleichgewicht zu etablieren, schon jetzt keine Chance mehr und nutzte die Gelegenheit für eine emphatische Erklärung zur politischen Situation in Europa, die Polen ganz offenbar auf die Seite der Westmächte
ziehen sollte. Er sprach viel vom bevorstehenden Zusammenstoß zwischen Demokratie und Faschismus und von der Zeit, die für die momentan schwachen Demokratien arbeiten würde.

Beck, der sich ohne sein Zutun nun quasi zum ,Demokraten ehrenhalber‘ ernannt sah, stimmte dieser Beurteilung zunächst einmal vage zu, wie er es gegenüber seinen Verhandlungspartnern meistens tat. Er sagte aber nichts Konkretes und erhielt seinerseits auch nur Andeutungen zu dem eigentlichen Punkt seines Interesses, der britischen Haltung in Mitteleuropa.

Churchill mußte Becks Zurückhaltung gespürt haben, denn er nahm nur vier Tage später einen neuen Anlauf, als er Raczynski allein traf. Er fragte den Botschafter nach dessen Aufzeichnung mehrmals in pathetischem Tonfall, ob Polen am ,Tag der Entscheidung‘ (at the crucial moment) auf der Seite der Demokraten stehen werde. Dazu konnte Raczynski nichts sagen, bekam aber nun in aller Deutlichkeit zu hören, daß die Briten für Österreich keinen Finger krumm machen würden, und auch ein eventueller Krieg um die Tschechoslowakei allein von den Franzosen getragen werden müßte. Ähnlich äußerte sich Eden, den Beck mittlerweile in Genf aufgesucht hatte. Es werde jetzt von seiten Großbritanniens nicht eingegriffen werden, aber der Konflikt sei im Kommen. Im übrigen erging er sich in dunklen Andeutungen über die entscheidende Rolle der USA in dieser Angelegenheit. Die anglo-amerikanischen Beziehungen seien besser als allgemein angenommen.

Da zu dieser Zeit durch eine möglicherweise gezielte Indiskretion aus der britischen Botschaft in Warschau Teile der britischen Vorschläge an die Öffentlichkeit (die Polish News Agency; PAT) gelangten, die Halifax am 19. November Hitler überbracht hatte, konnte in Polen ebensowenig wie in Berlin ein Zweifel an der aktuellen britischen Interessenlage in Mitteleuropa bestehen. Es wurde von polnischer Seite allerdings vermerkt, daß nach dem PAT-Bericht von Deutschland in den nächsten 18 Monaten ,anständiges‘ (decently) Verhalten gefordert wurde. Lipski vermutete in der Übermittlung dieser Bedingung, die nirgendwo sonst auftaucht, den Hauptzweck des PAT-Berichts. Einstweilen hatten die Briten mit ihren Erklärungen jedoch nur erreicht, daß auch in Warschau alte Pläne für die Umgestaltung Ostmitteleuropas aus der Schublade geholt wurden: ,Im Januar (1938, d.Verf.) sagte ich zu Beck (Botschafter Lipski) in Berlin, daß der Anschluß in der Luft liege, und drückte dabei die Ansicht aus, daß dieser im litauischen Bereich kompensiert werden müsse, da ich der Meinung war, daß wir auf diese Weise Ostdeutschland umzingeln könnten. "

"Logik der Mächte"/ Duncker & Humblot 1999

 
     
     
 
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