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Weiter Blick über das Land

 
     
 
Ein ereignisreiches Jahr liegt hinter der ostdeutschen Stadt Gerdauen. Zweimal wurde das 600jährige Jubiläum der Stadt gefeiert – Pfingsten in den eigenen Mauern und Anfang September in Gerdauens Patenstadt Rendsburg, jeweils mit deutschen und russischen Gästen. Kurz vor dem Ende des Jubiläumsjahres 1998 wurde auch das große Geschenk fertig, das den heutigen wie früheren Bewohnern der Stadt gleichermaßen Freude bereiten soll: der restaurierte
Kirchturm.

Die russischen Bewohner von Gerdauen, vor allem aber auch die früheren deutschen Bewohner haben jetzt die Möglichkeit, auf den Turm der alten Ordenskirche zu steigen, um die schöne Landschaft von oben anzuschauen. "Ich hab noch nie so etwas Schönes gesehen", hatte der 18jährige Dennis Ivkov begeistert erzählt, nachdem er zum ersten Mal Gelegenheit gehabt hatte, seine Heimat von Höhe des Kirchturms zu betrachten. Einen Schlüssel für das Tor, das das Gotteshaus mittlerweile vor Vandalismus schützen soll, hat auch Valerie Ivkov, Bürgermeister der Stadt und Vater des oben zitierten jungen Mannes. Beim Stadtoberhaupt können sich Interessenten den Schlüssel für die Turmbesteigung abholen.

Hans Ulrich Gettkant, Vorsitzender der Kreisgemeinschaft Gerdauen, hatte es sich nicht nehmen lassen, bei der Abnahme des ersten Bauabschnitts für die Restaurierung des Kirchturmes dabeizusein. Per Bahn fuhr er bis nach Potsdam, um dann mit dem zuständigen Bauleiter Uwe Rödiger im Jeep den Rest der insgesamt 1000 Kilometer langen Strecke bis Königsberg zurückzulegen. Mit dem Ergebnis der Arbeiten, die von einem russischen Unternehmen ausgeführt wurden, zeigte sich Gettkant sehr zufrieden. Besonders erfreute ihn, daß die Backsteine für die Reparatur des Kirchturmes in der Gerdauener Ziegelei hergestellt wurden – einer der wenigen Betriebe, die in der Stadt noch arbeiten. Die "Backsteinbrennerei Sirius", so heißt die Firma, fertigt übrigens auch die Ziegel für den Königsberger Dom.

Das Ziel des ersten Bauabschnitts, Sicherung der Bausubstanz des Turmes und Schutz gegen Vandalismus, ist erreicht worden. Das Dach ist neu gedeckt und mit einem Blitzschutz versehen worden. Um Schäden am Gebäude zu beheben, wurden diverse Reparaturen gemacht. Die Leute vom Bau stellten die Holz-Zwischendecken im Turm wieder her. Zudem führt eine neue Wendeltreppe aus Stahl – nicht aus Holz, wie ursprünglich vorgesehen – sicher nach oben bis zum Uhrengeschoß. Die wenigen Überreste der alten Treppe sind noch erhalten. Sie sind aber zur Sicherheit für die meist älteren Besucher abgesperrt. Damit Vögel nicht weiterhin im Kirchturm nisten und ihren Dreck hinterlassen können, wurden die Schallöffnungen durch Luken verschlossen.

Doch nicht nur der Turm des Gotteshauses, sondern auch das Kirchenschiff ist gesichert, durch Ziergitter in den Fensteröffnungen und eine aus Vierkantrohren geschweißte Eingangstür. Auch sind die Schuppen und Ställe, die an die Kirchenmauer angebaut worden waren, bis auf zwei abgeräumt. Bis zu 20 Bauarbeiter – die meisten aus der Stadt selbst oder aus der Umgebung – waren zeitweise mit der Restaurierung der Kirche beschäftigt.

Seit Anfang der neunziger Jahre hatte sich die Kreisgemeinschaft Gerdauen darum bemüht, die Ruine der alten Ordenskirche in Gerdauen zu erhalten. Das 1260 als Wehrkirche gestiftete Gotteshaus befand sich in einem bedauernswerten Zustand. Ende April vergangenen Jahres kam die positive Nachricht aus Bonn. Das Bundesinnenministerium stellte für das Projekt aus dem Haushaltstitel "Hilfen zur Sicherung und Rettung deutschen Kulturgutes in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa" gut 170 000 DM zur Verfügung. Rund 10 000 DM brachte die Kreisgemeinschaft selbst auf, um die Treppe für den Kirchturm zu finanzieren.

Die Kreisgemeinschaft Gerdauen hofft nun sehr, daß weitere Mittel in Bonn bewilligt werden. Als zweiter Abschnitt des Projektes wird der Ausbau eines Raumes im alten Gemäuer des Turmes angestrebt, um Platz für Zusammenkünfte oder ein kleines Museum zu schaffen.    

 
     
     
 
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