|
Wir blicken auf ein Jahr zurück, das angereichert war mit den vielfältigsten Gedenktagen und Jubiläen. Und so mag es nicht verwundern, wenn der eine oder andere sich abwenden möchte mit dem Bemerken: Schon wieder Erinnerungen und Jubiläen wir leben doch im Heute; was interessieren da schon längst verstorbene Menschen oder Ereignisse, die sich vor einer langen Reihe von Jahren ereignet haben? Gewiß, das Heute und der Blick in die Zukunft scheinen gerade in unserer Zeit prägend. Doch sind die Leistungen der vor uns Lebenden, seien sie auch noch so gering, nicht aus unserer Welt wegzudenken bunte Mosaiksteine und -steinchen, die erst das Ganze ausmachen.
Wie groß die Leistungen sind, die Menschen aus dem Osten des alten Reiches hervorgebracht haben, wird immer wieder deutlich, betrachtet man die "runden" Gedenktage eines Jahres, vor allem aber, was hinter den nüchternen Daten steckt Leben und Wirken von Männern und Frauen, die, sei es als Schriftsteller oder Künstler, sei es als Wissenschaftler, etwas hinterlassen haben, das unsere Welt bereichert, bunter macht.
Auch 1996 steht wieder eine stattliche Zahlenreihe auf dem Terminkalender unmöglich, alle Daten an dieser Stelle auch nur zu erwähnen. Wir werden jedoch in bewährter Weise im Laufe des Jahres immer wieder einmal den einen oder anderen Gedenktag herausgreifen und näher auf Leben und Wirken des zu Ehrenden eingehen.
Den Anfang macht am 19. Januar der vor 175 Jahren in Neidenburg geborene Historiker und Schriftsteller Ferdinand Gregorovius; er starb vor 105 Jahren am 1. Mai in München und hinterließ viele Reisebeschreibungen sowie die Geschichte der Städte Rom und Athen im Mittelalter. Ebenfalls im Januar wurde ein anderer Ostpreuße geboren, der sich als Schriftsteller und als Komponist einen Namen gemacht hat: E.T.A. Hoffmann, geboren am 24. Januar 1776 in Königsberg. Dort wirkte einst als Dirigierender Bürgermeister ein Mann, der vor 255 Jahren in Gerdauen das Licht der Welt erblickte (31. Januar): Theodor Gottlieb von Hippel der Ältere; er starb vor 200 Jahren am 23. April und hinterließ neben einer umfangreichen Bibliothek auch eine Reihe von schriftstellerischen Arbeiten, die er als "typischer Vertreter des ausklingenden aufgeklärten Jahrhunderts" verfaßt hatte.
Im Februar gilt es des in Danzig geborenen Malers Anton Möller zu gedenken; er starb vor 385 Jahren am 1. Februar. Ebenfalls aus Danzig stammte der Kupferstecher Daniel Nikolaus Chodowiecki (270. Geburtstag am 16. Oktober 1726); er starb vor 195 Jahren (7. Februar). Mit dem Ostdeutschen Kulturpreis für Musik wurde 1979 der in Elbing geborene Komponist und Dirigent Heinz von Schumann ausgezeichnet; er wäre am 14. Februar 85 Jahre alt geworden.
Die Musik stand auch im Mittelpunkt des Lebens eines Mannes, der vor 110 Jahren (am 3. Februar) in Deutsch Eylau geboren wurde und vor 20 Jahren (am 7. März) starb: des Musikkritikers und -schriftstellers Dr. Erwin Kroll. 95 Jahre alt geworden wäre Eva Schwimmer, Malerin und Graphikerin, die auf Gut Kalkstein, Kreis Fischhausen, geboren wurde (19. März). Fanny Lewald, emanzipierte Schriftstellerin und Vorkämpferin für die Rechte der Frauen, wurde vor 185 Jahren (24. März) in Königsberg geboren. Sibylle von Olfers, die Schöpferin des reizenden Märchens "Die Wurzelkinder" wurde vor 115 Jahren in Methgethen geboren (8. Mai); sie starb vor 80 Jahren am 29. Januar.
An zwei Männer gilt es zu erinnern, die sich der Musik verschrieben hatten: Otto Besch, Komponist aus Neuhausen bei Königsberg (30. Todestag am 2. Mai), und Hermann Scherchen (21. Juni 1891 12. Juni 1966), Generalmusikdirektor in Königsberg. Der Dichter Alfred Brust wurde vor 105 Jahren in Insterburg geboren (15. Juni), während der Schauspieler Albert Lieven vor 90 Jahren in Hohenstein das Licht der Welt erblickte (23. Juni). 100 Jahre sind vergangen, da der Maler Kurt Bernecker in Königsberg geboren wurde (16. Juli). Heinrich Bromm, an den derzeit eine Ausstellung im Ostdeutschen Landesmuseum Lüneburg erinnert (bis 18. Februar), fiel vor 55 Jahren in Rußland (19. Juli).
Im Monat August erinnern sich Kunstfreunde an zwei Maler, deren Schaffen allerdings so verschieden ist wie man es sich nur denken kann. Der Königsberger Michael Willmann, Meister des Barock, starb vor 290 Jahren im schlesischen Leubus (26. August). Hans Kallmeyer, Maler aus Erfurt, der vor allem durch seine Darstellung des heimatlichen Elchs bekannt wurde, starb vor 35 Jahren (28. August). Zwei Jahrzehnte sind vergangen, da der Musikwissenschaftler Joseph Müller-Blattau starb (21. Oktober). Er gründete das Musikwissenschaftliche Institut in Königsberg und schrieb eine "Geschichte der Musik in Ost- und Westpreußen".
Der Bildhauerei verschrieben hatte sich Georg Fuhg aus Mahlsack; er starb am 13. November vor 20 Jahren. 25 Jahre sind vergangen, da der Komponist Heinz Tiessen diese Welt verlassen mußte (29. November). Der Königsberger wurde ebenso wie Georg Fuhg mit dem Ostdeutschen Kulturpreis ausgezeichnet.
Im Dezember schließlich gilt es an drei Männer zu erinnern, die jeder auf seine Weise den Ruf Ostdeutschlands in der Welt der Kunst und Kultur erweitert haben. Der Komponist Hermann Gustav Goetz aus Königsberg, Schöpfer der Oper "Die lustigen Weiber von Windsor", starb vor 120 Jahren (3. Dezember). Johann Christoph Gottsched, "Literaturpapst" seiner Zeit und im Pfarrhaus von Juditten geboren, starb vor 230 Jahren (12. Dezember). Der in Dresden geborene Maler Waldemar Rösler, der seine Jugendjahre in Ostdeutschland verbrachte und dessen Name und Schaffen eng mit dem Fischerdorf Klein Kuhren verbunden ist, starb vor 80 Jahren in Arys (14. Dezember).
So reiht sich Mosaiksteinchen an Mosaiksteinchen und formt ein buntes Bild ostdeutschen Kulturlebens, ohne das die deutsche Kulturgeschichte sehr viel ärmer wäre. Peter van Lohuizen
|
|