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Es war ein stattlicher Hof, den die alten Mattkowskis zu vererben hatten. Fast sah es so aus, als ob sie bis zu ihrem Tod darauf rackern wollten. Dabei hatten sie nur einen Sohn. Er hieß Christoph. Für ihn war es ganz selbstverständlich, daß die Alten das Sagen hatten. Er wußte ja, daß er alles mal bekommen würde. Als Jungbauer konnte er sich dadurch aber auch manch Angenehmes leisten, was eben in einer Ehe nicht mehr ginge. Was aber die Wirtschaft in der Praxis anbelangte, da wurde für ihn keine Extrawurst gebraten. Hatte er die Nacht durchgeschludert, war für ihn morgens um fünf die Nacht trotzdem zu Ende. "Wer saufen kann, der kann auch arbeiten und aufstehen", war seines Vaters Devise.
Es lief hier alles wie geschmiert. Manchmal allerdings, das kam mit den Jahren, war er mit den Anordnungen seines Vaters doch nicht immer einverstanden. Er hätte Neuerungen eingeführt. Aber gerade dieses verabscheute der Alte.
"Ons Koorn ös noch ömmer mötte sens gehaue woarde, warum sull dat hiede nich mehr good sönd? So lang öck hier Buer bönn, ward allet so gemoakt wie öck dat segg. Du häst no mienem Dod noch Tied genooch."
Für Christoph wurde es allmählich auch Zeit zum Heiraten. Aber zwei Frauen am Herd? Die Mutter hatte auch so ihre Nossen (Eigenheiten). Keine Schwiegertochter war ihr gut genug für ihren Sohn. Mit Vera vom Hoffmannschen Hof, da hätte es was werden können. Aber die hatte nur schnippisch gemeint, daß sie niemals die Magd seiner Mutter sein würde, so lange er der Knecht seines Vaters bliebe. So ging das auseinander. Dabei wußte doch jeder, daß auf einem gutbestellten Hof der Bauer Knecht und Herr zugleich sein mußte.
Vater und Sohn kamen jetzt öfter mal ins Streiten. So auch heute. Christoph ging vor lauter Ärger in den Krug. "Koorn on Beer", rief er laut zum Tresen rüber. Gretlinde brachte es ihm mit einem leisen "Zum Wohle". "Ös de Voader nich da", fragte er mehr aus Höflichkeit. Sie antwortete darauf, daß er seit gestern mit starken Bauchschmerzen im Bett liege. "Häst dem Dokter gehoalt?" fragte er interessiert. "Der Vater hat s nicht gewollt", meinte sie kläglich, das käme nur vom vielen Essen. "Gestern haben wir geschlachtet und er hat wieder reingehauen wie ein Bürstenbinder, ich weiß nicht, was ich machen soll." - "Ett ward schon wedder ware", tröstete er sie, "das löppt söck aller torecht."
Draußen war ein richtiges Sauwetter, und so blieb die Schankstube leer. Kein Kartenspiel, kein Fachgespräch. Der Sturm klatschte gegen die Fensterscheiben, und die Eingangstür ruckte und bebte. Christoph beschloß zu gehen. Doch da kam Gretlinde hereingestürzt. "De Voader, de Voader, öck glow, he lijjt öm Starwe."
Ohne lange zu überlegen, ging Christoph durch die Küche und in die Schlafstube des Gastwirts Hermann Kalusch. Dieser lag mit hochrotem Kopf röchelnd unter der geblümten Zudecke. Er stöhnte zum Gotterbarmen. "Hoalt dem Dokter", flüsterte er, "öck glow, ett geiht to End." Zum Glück gab es hier das einzige Telefon des Ortes, und der Doktor wollte kommen. "Gallensteine", war seine Diagnose, und: "Er muß sofort operiert werden." Sie packten den Kalusch in warme Decken und danach in das Auto des Doktors. Er versprach anzurufen. "On moak die man keine Soarje, de ol Differt hätt wedder to väl Schnaps äwre Läwer renne loate. Hew man kein Angst, he hätt e goode Natur."
Die junge Marjell stand wie betäubt, und dann warf sie sich ohne Überlegung an die Brust des jungen Bauern. Dieser war völlig überrumpelt, aber instinktiv legte er beide Arme beschützend um sie. Er hörte fast ihr Herz schlagen und spürte ihre Tränen an seinem Gesicht. "Gretelke", sagte er dann mit überraschend weicher Stimme, "hew man kein Angst, de Voader kömmt doch wedder."
"On wenn nich?" fragte sie mit angstvollen Augen.
Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er ihr immer wieder übers Haar strich und einmal sogar sein Gesicht hineinlegte. Er wiegte sie zärtlich wie ein Kind und erklärte ihr, daß er ja auch noch da wäre. Auch Gretel wurde sich der Situation bewußt, machte sich los und entschuldigte sich beschämt. "Wenn die Mutter doch noch lebte", weinte sie leise, "ich hab doch sonst niemand."
Am liebsten hätte er sie wieder in die Arme genommen, aber das ging ja nicht. So nahm er nur ihre Hand und sagte: "Grien man nich, grien (wein ) man nich, önne Röhr stoahne Flinse, du weetst ett bloß nich." Es war völlig unpassend, aber sie mußten beide über das Trostliedchen aus der Kinderzeit lächeln. Jetzt packte er sie an der Schulter und schob sie ins Haus. "Goah jetz schloape, sejj mi moarje Bescheed, denn fahr wie önne Stadt. De Herrgott ward helpe." Daraufhin schlug er seinen Jackenkragen hoch und ging hinein in den Sturm.
Christophs Mutter war mehr als erstaunt, als sie Gretlinde, die Gastwirtstochter, in die Küche kommen sah. Was konnte sie wollen, war da vielleicht doch was mit dem Vater? Ihr Herz machte ein paar ganz schnelle Schläge, dann hatte sie sich wieder in der Hand. "Ös wat mött dienem Voader?" fragte sie barscher als gewollt.
Gretlinde war beeindruckt von der Gediegenheit des Hauses. Es erschien ihr fast feudal, und sie vergaß zu antworten. Und ihn, den Besitzer, wollte sie jetzt bitten, daß er sie in die Stadt fuhr? Und ihm hatte sie sich an die Brust geworfen ..., aber es hatte ja keiner gesehen ... Erneut fragte die Bäuerin, und Gretlinde stammelte herum, daß der junge Bauer sie zum Krankenhaus bringen wollte.
Albertine Mattkowski war sprachlos. Da erdreistete sich dieses junge Ding, zum größten Bauern zu gehen, um von ihm in die Stadt kutschiert zu werden? Die Antwort mußte sie zurückhalten, weil Christoph in die Küche kam.
Er hatte gestern viel an dieses Mädchen gedacht. Sie war so biegsam, so warmherzig, so liebevoll auch zu ihrem Vater, der seit dem Tod seiner Frau viel zu viel trank. Könnte es sein, daß er sich so ein Mädchen als Bäuerin erträumte? Sie war ja fast zu jung für ihn, aber der Hof brauchte Erben.
Er nahm Gretel bei der Hand und ließ den Zweirädrigen anspannen. Der Mutter war es nicht unrecht, denn sie bangte auch um den Tod des Gastwirts. Sie und er hatten sich in ihrer Jugend ewige Liebe geschworen. Ihre Eltern jedoch hatten sie mit dem reichen Bauern Mattkowski verheiratet. Sie hatte sich gefügt. Es war eine gute Ehe geworden, aber eine Kammer ihres Herzens hielt sie seit damals fest verschlossen. Er war auch kein Kämpfer gewesen, und als armer Schlucker konnte er ja auch nicht gegenan.
Der Gastwirt erholte sich langsam, aber es war nicht mehr dasselbe. Christoph fand jetzt immer öfter einen Grund, in den Krug zu gehen. Gretels Augen begannen wieder zu leuchten. Sie bemerkten erst später, daß sie sich liebten. "Die will ich heiraten", sagte Christoph zu seiner Mutter. Sie hatte es schon längst kommen sehen. Der alte Bauer regte sich maßlos auf über "das spillrige Ding ohne Mitgift". Er drohte mit Enterben, überlegte es sich jedoch. Aber jetzt wollte er nicht mehr länger Bauer auf einem Hof sein, der dem Bettel verschrieben war.
Und Gretlinde? Sie wäre ihrem Christoph gefolgt bis in die Tiefen der Hölle! Albertine aber? Sie war auch verstört, aber das hing mit der Kammer ihres Herzens zusammen. Sie gedachte ihres Verzichts und ihres Kummers und beschloß, ihrem Sohn das zu geben, was sie damals verlor. Wie nur Frauen es eben können, verstand sie es, ihrem Mann klarzumachen, daß Christoph seinen eigenen Weg gehen müsse. Und ihre Schwiegertochter, die wollte sie annehmen wie ihr eigenes Kind. Und wie es so kommen mußte, diese Heirat bescherte dem Hof großen Segen, fünf Enkel und dazu einen Großvater, der sien Dochterke leew hadd on nuscht op ähr koame leet ... Adalbert Jaschinski: Frauenburg (Aquarell, 1943) |
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