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Abstammung des Menschen

 
     
 
DIE ALLGEMEINE ABSTAMMUNGS-LEHRE oder Deszendenztheorie vertritt die allgemeine Evolution der Organismen im Laufe der Erdgeschichte. Dieses Wandlungsgeschehen begann mit einem a b i o t i s c h- b i o t i s c h e n Übergangsfeld, in dem anorganisch-chemische Zustände zu organisch-chemischen Zuständen organisiert wurden, die das Vermögen zu identischer Selbstreproduktion erwarben. Mit der Bildung solcher Duplikanten setzte das Lebendige in erster Stufe ein, führte mit progressiv zunehmender Komplikation zu typischen Organismen und deren weitere Organisation zu der heutigen Lebewelt. In dieses Wandlungsgeschehen sind die Homiriiden selbstverständlich eingefügt. Sie bilden eine eigene Geschichtslinie seit ihrer Loslösung von einem nicht hominiden Vorfahrenstamm. Es ist die Aufgabe der Allgemeinen Abstammungslehre, den Beweis für die Tatsache der Evolution zu erbringen und dann von dieser Basis aus z. den historischen Ablauf der Evolution sowohl im Ganzen als auch in seinen Charakterzügen und in den einzelnen Stämmen, in denen dieser Ablauf erfolgt ist, aufzuhellen; und 2. das Ursachengefüge, das diesem Ablauf zugrunde liegt, zu analysieren. Nach einigen erfolglosen Vorversuchen, die Abstammungslehre zu beweisen und den Zeitgenossen plausibel zu machen (L a o n a r c h: Philosophie zoologique, 1809), ist die Abstammungslehre genau vor 1.00 Jahren wissenschaftlich begründet worden. Am 24. Nov.1859 erschien das klassische Werk von Charles Darwin (1809-82) Die Entstehung der Arten durch natürliche Auslese oder die Erhaltung der bevorzugten Rassen im Ringen ums Dasein . Das Werk enthielt eine derartige Menge beweisenden Materiales für die genannten beiden Zweige der Abstammungslehre, besonders aber für die Frage der Kausalität, daß seit seinem Erscheinen sich die genetisch-dynamische Auffassung des Lebendigen wenn auch manchmal unter schweren Kämpfen und nicht ohne Rückschläge gegenüber der bis dahin alles beherrschenden statischen Konstanzlehre durchsetzte. Die starre Statik des Organismischen wurde durch eine dynamische ,geradezu dramatisch anmutende historische Auffassung ersetzt. Die Konsequenzen für den Menschen, die von Darwin nicht in der Öffentlichkeit sogleich gezogen wurden, lagen auf der Hand, und es wurde sehr bald nach dem Erscheinen der Entstehung der Arten der Beweis versucht, daß auch die Hominiden eine Abstammungsgeschichte haben müßten und daß sie, wie Ernst H a e c k e l dies erstmals auf der berühmten Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte zu Stettin im Jahre 1863 treffend formulierte, ihre nächsten Stammesverwandten in affenähnlichen Säugetieren des Tertiärs zu sehen hätten. Im gleichen Jahre erschien auch H u x 1 e y s klassische Arbeit über die Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur. Darwin selbst nahm erst 1871 (2. Aufl. 1874) ausführlich in einem umfangreichen Werk zum Abstammungsproblem des Menschen auf breiter Basis Stellung, sogleich auch mit der Gründlichkeit und Sorgfalt, die für ihn so bezeichnend ist. Hinsichtlich der Abstammung des Menschen besteht seit Darwin, ja seit den Untersuchungen von Huxley, Haeckel u. a. kein Anlaß mehr, in ihr ein grundsätzlich ungelöstes Problem zu sehen. Es ist grundsätzlich gelöst! Die Hominiden stammen ab von alten Formen, ancient member hatte Darwin gesagt, der Menschenaffen. In den Einzelheiten dieses Abstammungsweges gibt es natürlich noch eine sehr große Zahl von nichtgelösten Fragen, obwohl die Grundzüge einer spezielleren Phylogenie der Hominiden nach und nach deutlicher hervortreten und besonders in der gegenwärtigen Forschung viele Probleme einer genaueren Diskussion zugänglich werden.

Wir wenden uns nunmehr der Beweisführung für die Allgemeine Abstammungslehre zu. Wir haben in ihr primär eine historische Theorie, die ihre Aussagen nicht experimentell, sondern nur indirekt auf dem Wege der generalisierenden Induktion beweisen kann. In der Gegenwart aber hat sich eine Richtung in der Evolutionsforschung im Zusammenhang mit der experimentellen Genetik entwickelt, die Experimentelle Phylogenetik oder Evolutionsgenetik, die mit exakt-induktiven Methoden die gegenwärtig ablaufende evolutive Wandlung der Organismen erfaßt und mit dem Experiment analysiert. Sie überträgt im Sinne eines biologischen Aktualismus die Ursachen, die den heutigen Wandlungen der Organismen zugrunde liegen, auf die in der Vergangenheit erfolgten, und gelangt so zu Vorstellungen über die Kausalität auch der Evolution in der Erdgeschichte insgesamt. Da sich gezeigt hat, daß die S e 1 e k t i o n s t h e o r i e Darwins in ihrem Grundgehalt zutrifft, wird sie von der modernen Evolutionsgenetik als verbindlich auf die Vergangenheit extrapoliert. Die uns durch die Fossilforschung vermittelten Einblicke in urkundlich belegte real abgelaufene Wandlungen können abgesehen von Feststellungen gewisser Regelmäßigkeiten in der Gestaltung dieser Abläufe ja keine Auskunft direkter Art über die zugrunde liegenden Ursachen vermitteln. Die Extrapolation von Ursachengefügen der Gegenwart auf die Vergangenheit ist methodisch berechtigt und läßt sich vielfältig stützen. Es möge schon jetzt darauf hingewiesen sein, daß etwa die T r i l o h i t e n (Dreilapp krebse , den Spinnen verwandte Gliedertiere) ihn Kambrium vor 500 Millionen Jahren sich auch aus Zellen zusammensetzten und diese Zellen Kerne hatten, in den Kernen befanden sich Chromosomen und in diesen lagen ebenso die genetischen Informationen, die in unilinearer Reihenfolge die Nukleoproteid- (Protein + Desoxyribonukleinsäure) Komplexe = Gene enthielten. Die Trilobiten traten auch nicht einzeln, sondern in mehr oder weniger umfangreichen Populationen auf. Dies alles gilt für sämtliche Organismen zu allen Zeiten bis zurück zum abiotisch-biotischen Übergangsfeld (das wir vielleicht vor 3 • 10“ Jahren ansetzen dürfen. Vor 2 • 109 Jahren gab es jedenfalls schon Zellen, d. h. hochkomplizierte Organisationen), und die moderne Evolutionsgenetik erforscht mit ihren experimentellen und statistischen Methoden eben Wandlungen, die sich an den genetischen Informationen in den Chromosomen und in den Populationen abspielen. Es besteht keinerlei Grund dafür, daß es in der geologischen Vergangenheit im Laufe der Evolution der Organismen anders zugegangen sein könnte als heute auch. Meinungen, die besondere typenschaffende Evolutionssprünge und besondere Ursachen etwa für die Entstehung von sog. S y n o r g a n i s a t i o n e n, d. h. zusammengesetzten Funktionsgefügen, deren Teile allein nicht funktionsfähig sind (z. B. Wirbeltierauge), glauben annehmen zu sollen, haben nur wenig Wahrscheinlichkeit. Auch das Auftreten solcher Strukturen ist von der Gegenwart her erklärbar geworden im Grundschema bietet diese Erklärung jedenfalls keine unüberwindlichen theoretischen Hindernisse.

Alle diese Probleme haben als letzte Basis natürlich den allgemeinen Beweis für die Tatsache der Evolution überhaupt, Dieser Beweis aber liegt seit Darwin vor. Er hatte ihn bereits durch seine auf einer Weltreise (1831-1836) gemachten Beobachtungen in origineller Weise erbracht. Es waren Beobachtungen, die nunmehr auf einer sehr ausgedehnten Grundlage als richtig anerkannt worden sind eigentlich galt das schon zu Darwins Zeiten ebenso und Darwin voll bestätigt haben. Die ihni auffallenden Tatsachen bestanden vor allem in der Typenähnlichkeit fossiler und heutiger Vertreter der Säugetiere Südamerikas, in dem Vikariieren geographisch aneinandergrenzender südamerikanischer Nagetiere und, entscheidend, in dem Aufspalten von Einwanderungsformen auf vulkanischen Inselgruppen (Galapagosarchipel) zu Arten und Rassen (Darwin-Finken ).

Heute haben wir einen schlüssigen Grundbeweis in den zeitkoordinierten P r o g r e s s i o ii s r e i h e n, d. h. schematisch: wir sehen mit dem Übereinanderschichten der geologischen Formationen eine sukzessive Folge von verwandten Typen in von Ausnahmen abgesehen immer zunehmender Organisation (Höher -Entwicklung, Anagenese im Sinne von B. R e n s c h). Die Biologie rechnet in jedem Fall mit dem alten H a r v e y schen Erfahrungssatz Omne vivum e vivo und glaubt nicht an Statik und Schöpfung. Das letztere aber glaubte natürlich auch der junge Darwin. Vor seiner Reise war Darwin von der Konstanz der Organismen überzeugt auf Grund der erwähnten Beobachtungen aber rang er sich zu einer evolutionistischen Betrachtung der Natur durch. Die Progressionsreihen zeigen uns, daf; wir ihnen nur unter der Voraussetzung einer Wandlungsgeschichte einen verstehbaren Sinn geben, wenn schon an der Tatsache eines ununterbrochenen Lebenszusammenhanges nicht zu zweifeln ist. Die besondere Ordnungsstruktur des organismischen Systems mit seiner abgestuften Mannigfaltigkeit beweist dies weiterhin. Warum gibt es diese enkaptische Ordnung der Organismen, warum herrscht keine andere Ordnung oder Formenchaos? Die kreatistische Hypothese wird also abgelöst durch die transformistische Realität.

Über diese Grundbeweisführung hinaus gibt es nun eine Fülle von gern als ergänzend bezeichneten weiteren Beweisen (Tschulok 1923): Die vergleichende Morphologie mit ihrer Methode der vergleichenden H o m o l o g i e n f o r s c h u n g (Re m a n e 1952) : Homologe Organe haben, auch wenn sie abweichend voneinander gebaut sind, einen gemeinsamen historischen Ursprung. Eine heute als idealistisch bezeichnete Methode und Morphologie glaubte allerdings, die Formverwandtschaft nur ideenmäßig und nicht realhistorisch auffassen zu sollen. Die idealistische Morphologie hat viele morphologische Strukturen analysiert und manches morphogenetische Problem erkannt. Sie hatte einen bedeutenden heuristischen Wert, führte aber nicht zur Realität. Sie ist eine im Grunde ahistorische platonistische Auffassung und bietet keine eigentlichen Erklärungen, dafür hat sie für die Kausalforschung manche Ansatzpunkte aufgewiesen. Die sogenannten rudimentären Organe die Rückbildungsreihen der Extremitäten der Eidechsen, die Extremitätenreste der Schlangen, die Beckenreste der Seekühe, die Gebißanlagen der Bartenwale sind Zeugen einem real abgelaufenen Abstammungsgeschichte mit nach. und nach enormen Formwandlungen. Die Schlangen gehen auf tetrapode Reptilien zurück, die Seekühe auf tetrapode Huftiere, die Bartenwale stammen von gezähnten Vorfahren, die auch sekundär sich an das Leben im Wasser angepaßt haben. Für alles dies gibt es fossile Belege. Die Formwandlungen während der embryonalen Entwicklung waren bezüglich der spezielleren Weise dieser Formwandlungen ohne einen historischen Hintergrund nicht verstehbar. Hier liegt auch der unerschütterliche letzte Grund für das sogenannte Biogenetische Grundgesetz von H a e c k e I (1866), der die Beziehungen schlagwortartig und leicht mißverständlich formuliert hat: »Die Ontogenese ist eine, wenn auch gekürzte und vielfach sekundär veränderte Rekapitulation der Phylogenese.« Es wird in der Tat grundsätzlich rekapituliert, was einst Struktur des Vorfahren-Typus war, wenn auch die Rekapitulation in den meisten Fällen nur die embryonale Anlage dieser Struktur betrifft. Vergleichende Physiologie, Psychologie und Verhaltensforschung, Biogeographie und die zur Zeit noch immer sich mehr undmehr in den Vordergru nd schiebende stammesgeschichtlicheUrku ndenforschung, die Paliiontologie, wären in ihren Resultaten einem Verständnis nicht zugänglich, wollte man die Resultate nicht als historisch geworden und genetisch aus Vorfahrenformen und -zuständen herleiten. Die Organismen sind durch und durch historische Lebewesen !

Wenn wir daher heute allgemein in der Biologie, und damit natürlich auch in der Anthropologie, die Evolutionstheorie als eine bewiesene Theoriebetrachten und mit ihr arbeiten, so geschieht dies von der Basis aus, die wir betrachtet haben, nach zwei Richtungen. Man kann das Gefüge, das die Evolutionsforschung als wissenschaftliche Theorie darstellt, sich in der folgenden Ubersicht deutlich machen:

Phylogenetik (Abstammungslehre)

Historische Phylogenetik Experimentelle Phylogenetik

erforscht die formalen erforscht die Kausalität

phylogenetischen Abläufe der aktuellen Phylogenie

Die experimentelle Phylogenetik gewinnt nun ihre Ergebnisse auf exakt-induktivem Wege. Diese Ergebnisse aber extrapoliert sie auf die mit vergleichender Methodik rekonstruierte Phylogenie und dringt damit in die Kausalität dieser Phylogenie ebenfalls mit einer vergleichenden Methode ein, aber sie kennt wenigstens das Ursachengefüge, das die gegenwärtige Phylogenie steuert. Das ist möglich, wenn wir die Prämisse machen, daß der H a r v e y sehe Satz allgemein verläßlich ist nichts spricht dagegen , und die grundsätzliche Identität der biologischen, das Leben kennzeichnenden Grundprozesse seit ihrem Anlaufen bei der Entstehung des Lebendigen überhaupt vorausgesetzt wird, wogegen ebenfalls nicht das geringste spricht.
 
     
     
 
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