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Niemand wünscht sich diese Zeit zurück. Aber viele werden sicher das erregende Gefühl nicht los, sie hätten damals doch in größerer Himmelsnähe gelebt als jetzt ... Trotz der schmerzlichen Erinnerungen macht mich Ihr Buch glücklich", schrieb eine Leserin nach der Lektüre des "Ostdeutschen Tagebuchs" von Hans Graf von Lehndorff. 1961 war diese erschütternde Chronik des Arztes herausgekommen, in dem er seine Erlebnisse im besetzten Königsberg und in der geschlagenen, ausgebluteten Provinz der Jahre 1945 bis 1947 schildert.
Zwölf Jahre lang hatte er seine Aufzeichnungen in der Schublade verwahrt, bis sie 1960 zunächst als Beiheft zu der "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost- und Mitteleuropa" erschien. Ein Jahr später gelangten sie als "Ostdeutsches Tagebuch" dann auch in den Buchhandel und zählen noch heute zu den erschütterndsten und wahrhaftigsten Zeugnissen jener Jahre.
Das tatsächliche Geschehen wollte Hans Graf von Lehndorff aufzeigen, ohne es zu beschönigen, ohne es aber auch zu dramatisieren. Mit sachlichen, fast nüchternen Worten spricht er von einer der großen Katastrophen der Menschen aus dem deutschen Osten, immer geleitet von der inneren Wahrhaftigkeit, von Gottvertrauen und Zuversicht.
Vor 90 Jahren (13. April) wurde Hans Graf von Lehndorff in Graditz an der Elbe geboren, wo der Vater Landstallmeister am preußischen Hauptgestüt für Vollblutzucht war. Durch die Versetzung des Vaters nach Trakehnen gelangte Hans nach Ostdeutschland. Dort besuchte er bis zum Abitur die Friedrichschule in Gumbinnen. In seinen Erinnerungen "Meine Insterburger Jahre" (1969) und "Menschen, Pferde , weites Land" (1980) spürt man die tiefe Liebe, die er zu dem Land Ostdeutschland entwickelte.
Nach dem Studium (zunächst Jura, dann Medizin) in München, Königsberg und Berlin fand er eine erste Anstellung am Berliner Martin-Luther-Krankenhaus, ging dann jedoch an das Kreiskrankenhaus nach Insterburg. Am 13. Januar 1945 begann er dort mit den Aufzeichnungen für sein "Ostdeutsches Tagebuch" ... Auch im Hospital von Rosenberg und im Lager Rothenstein konnte er in jenen Jahren Menschen in größter Not helfen in tiefer Ehrfurcht vor dem Leben als Geschöpf Gottes.
Seine ärztliche (zuletzt als Chefarzt des Evangelischen Krankenhauses in Bad Godesberg) und seelsorgerische Tätigkeit (Lehndorff war seit seiner Insterburger Zeit Mitglied der Bekennenden Kirche) und auch das Wirken als Kommendator der preußischen Genossenschaft des Johanniterordens nach 1947 waren "bestimmt vom preußischen Dienen, getragen von einer altpreußischen Familientradition". So war es in der Laudatio zum Preußenschild, der höchsten Auszeichnung der Freundeskreis Ostdeutschland, zu lesen, die Hans Graf von Lehndorff 1981 in "Anerkennung seines persönlichen Einsatzes in Ostdeutschland als Helfer in Zeiten der Not sowie als Künder für die Heimat" verliehen wurde.
Hans Graf von Lehndorff, der 1977 mit der Agnes-Miegel-Plakette ausgezeichnet wurde, war ein stiller Mann. Stets lebte er nach dem Grundsatz: "Wo heute Wesentliches geschieht, da geht es leise zu." Am 4. September 1987 starb Hans Graf von Lehndorff in Bad Godesberg.
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