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Wenn man in eine fremde Stadt kommt, stürmt einem unweigerlich eine Vielzahl von neuen Eindrücken entgegen. Besonders der Berlinbesucher wird in der im Aufbau befindlichen Stadt oft genug eine Verschnaufpause benötigen, denn die Mischung aus Historie, Moderne, Osten, Westen, Luxusbau, Ruine und Baustelle bedarf der geistigen Verarbeitung.
Ein Ort, um eben jenes Chaos von Impressionen zu verdauen, sollte gemütlich und vertraut sein, und das bietet das Restaurant "Marjellchen" vor allem dem berlinreisenden Ostdeutschland. Biegt dieser nämlich erschöpft nach einem anstrengenden Einkaufsmarsch vom Kurfürstendamm in die Uhlandstraße ein, so sieht er schon von weitem in einer Seitenstraße die bekannte ostdeutsche Elchschaufel blitzen. An die Heimat erinnert, weckt dieses vertraute Wappen Neugier, und kaum hat unser Ostpreuße das "Marjellchen" betreten, sieht er sich umringt von Gemälden mit heimatlichen Motiven, Fotos und Wappen. Sich gleich trotz der Fremde daheim fühlend, nimmt er Platz, greift zur Speisekarte und wird mit netten Worten begrüßt.
"Herzlich willkommen im Marjellchen! Ostdeutschland - das war das Land der Haffe und Seen, der Nehrungen und kalten Winter. Auch meine Großmutter stammte von dort, und mir, die ich in Rom geboren bin, hat sie viele schöne Erinnerungen hinterlassen. Wie gerne hatte ich es, wenn sie mir von ihrer Jugend in der ,kalten Heimat‚ erzählte. Auch viele schöne, alte Küchenrezepte hat sie mir überliefert, und einige stelle ich Ihnen, meine verehrten Gäste, nun in dieser Karte vor. Ramona Azzaro."
Angetan von diesen netten Zeilen erwartet der hungrige Lesende von der weiteren Lektüre dieser in freundlichen Worten verfaßten Speisekarte nicht umsonst einige Besonderheiten. So werden hier selbstredend "Königsberger Klopse", "Ostdeutscher Beetenbarsch" und "Königsberger Rinderfleck" angebo- ten, aber auch "Kurischer Haff-Zander", "Masurischer Sauerbraten" und "Elchbraten" locken den inzwischen verzückten Ostdeutschland. Wobei hier erwähnt werden sollte, daß auch den Pommern, Schlesiern, Danzigern und natürlich auch den Berlinern einige Gerichte gewidmet sind, die aber Bayern und Nordfriesen vermutlich mindestens genauso gut munden werden.
Die Besitzerin Ramona Azzaro ist stolz auf ihr "Marjellchen", denn die Gäste kommen von weit her, um die traditionellen Gerichte, die schwerpunktmäßig auf Rezepten typisch ostdeutscher Gerichte beruhen, zu kosten. Vor einiger Zeit hat sogar ein Gourmet-Magazin aus den USA das Rezept des "Marjellchens" für Königsberger Klopse gelobt und abgedruckt.
Und sogar im fernen Buenos Aires war das "Marjellchen" in einem Bericht über Deutschlands Hauptstadt mehr als eine Erwähnung wert. Diese las ein dorthin ausgewanderter Ostpreuße, der bei einem Verwandtenbesuch in Deutschland gleich seine uninformierten Gastgeber überredete, doch einmal beim "Marjellchen" einzukehren. Alle waren von der heimeligen Atmosphäre positiv überrascht, und die Berliner Verwandten gehören jetzt zu den Stammgästen des "Marjellchens", das mit seinem ungewöhnlichen Speisenangebot natürlich auch Nicht-Ostdeutschland zu seinen Gästen zählt.
Wer Berlin besichtigt und die zugegeben nicht sonderlich kalorienarme Kost aus den ostdeutschen Landen mag, der sollte bei einem Besuch der Hauptstadt auf jeden Fall einmal beim "Marjellchen" vorbeischauen. (Mommsenstraße 9, zwischen U-Bahn Savignyplatz und Uhlandstraße, Telefon 0 30/8 83 26 76, geöffnet von Montag bis Sonnabend von 17 bis 24 Uhr, Preise für Hauptgerichte ab 10 Euro.) Fritz Hegelmann
Gemütlich: Während man in den Innenräumen des Restaurants in angenehmer Atmosphäre, umgeben von Bildern und Wappen aus der Heimat, speist, kann man laue Sommerabende auch auf der Terrasse genießen |
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