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Blühende Steppe

 
     
 
Zwei Wochen im Juli habe ich einen Vertretungsdienst in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Gumbinnen gemacht. Die Bitte zu diesem Dienst kam von der Gemeinschaft evangelischer Ostdeutschland. Diese hat die Patenschaft über die evangelischen Gemeinden im nördlichen Ostdeutschland übernommen.

Nach einer langen Bahnfahrt kam ich mittags in Königsberg an. Ich kannte die Stadt vom Erzählen und von Bildern, wußte um die schrecklichen Ereignisse, die den Menschen dort zwischen 1945 bis 1948 zuteil wurden, und war gespannt, wie es dort jetzt aussehen   würde. Pulsierendes Leben, schreckliche Betonbauten – aber das ist nicht das alte Königsberg, eben Kaliningrad. Und doch hier und da Zeugen aus der Vergangenheit, so u. a. der Dom. Er läßt etwas ahnen von dem, wie die Stadt einst ausgeschaut hat. Die Arbeiten am Dom schreiten voran, bald wird das Dach fertiggestellt sein, aber es bleibt – innen – noch viel zu tun. Daß es getan werden kann, ist ein Zeichen der Hoffnung. 665 Jahre ist der Dom alt, er wird noch stehen, wenn die jetzigen Herren schon längst vergessen sind.

Am Montag wurde ich von dem Gumbinner Gemeindeleiter in Königsberg abgeholt, und wir fahren gemeinsam nach Gumbinnen. Unterwegs deprimierende Eindrücke angesichts der blühenden Steppe, der verfallenen Dörfer. Das hat mich sehr bewegt und bewegt mich immer noch. In Gumbinnen angekommen, machten wir am Gemeindezentrum halt. Dieses besteht aus der Salzburger Kirche und dem Diakoniehaus. Beide Gebäude sind mit Hilfe des Salzburger Vereins, Bielefeld, und anderen Spenden aus Deutschland sowie auch aus Bundesmitteln wieder hergerichtet beziehungsweise neu gebaut worden. Den Großteil der Gemeindemitglieder am Ort bilden Rußlanddeutsche. Das Gemeindeleben ist rege, der Gemeindepfarrer stammt aus Deutschland. Die Gottesdienst
e werden in deutscher Sprache gehalten, während Gebete, Glaubensbekenntnis, Vaterunser und Einsetzungsworte zum heiligen Abendmahl auch russisch gesprochen beziehungsweise übersetzt werden, ebenso die Predigt.

In Gesprächen mit Gemeindemitgliedern kam immer wieder zum Ausdruck, daß die meisten von ihnen gerne in Ostdeutschland bleiben würden. Allerdings müßten sich die Lebensbedingungen zum Besseren wenden, doch danach sieht es nicht aus. Es fehlt die Perspektive, wie es weitergehen soll in diesem Land. Daran ändert auch Lenin nichts, der immer noch auf vielen Sockeln im Lande steht. Vielleicht läßt es aber auf den Geist schließen, der immer noch in den Köpfen der meisten Verantwortlichen herrscht?

Positiv habe ich empfunden, daß Menschen aus Deutschland sich einbringen, um den Menschen direkt zu helfen, so u. a. bei dem Aufbau von kleinen Handwerksbetrieben. Nach wie vor wird auch noch humanitäre Hilfe geleistet. Wobei die erstgenannten Hilfen auf Dauer gesehen effektiver sind.

Was die deutsche Vergangenheit angeht, so kann diese nicht einfach ausgelöscht werden. So bröckelt an vielen Stellen die Farbe, und deutsche Namen kommen zum Vorschein. Vieles ist verfallen, Gehöfte, Häuser und Kirchen. In manchen Orten werden Kirchen wieder hergestellt oder kleine Denkmäler aufgestellt, die daran erinnern, was für ein Bauwerk einst dort stand. Das Erschütterndste für mich war in Tilsit zu hören und zu sehen, daß es in dieser Stadt keine Kirche mehr gibt. Nur der Kirchturm ragt noch in den Himmel, umgeben von einer Autowerkstatt. Ist Gott aus Nord- Ostdeutschland ausgezogen? Nein!

So bin ich froh über den Vertretungsdienst in Gumbinnen. Ich bin dankbar für die Begegnung mit den Menschen dort. Den Aufenthalt dort werde ich in guter Erinnerung behalten.

 

 
     
     
 
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