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Der Vorfall hat zwei Monate gebraucht, um an die Öffentlichkeit zu gelangen, und man geht höchst verschämt und zurückhaltend mit ihm um: Am 4. Mai waren Schüler einer 8. Klasse der Jüdischen Oberschule während einer S-Bahnfahrt zwischen den Stationen Zoo und Hackescher Markt - es ist die höchstfrequentierte Strecke in Berlin überhaupt - angepöbelt und mit antisemitischen Sprüchen belegt worden, und zwar von muslimischen Hauptschülern der Pommern-Schule in Berlin-Charlottenburg.
Die Lehrerin, die sie begleitete, wagte nicht einzugreifen und hat den Fall auch nicht der Direktion gemeldet. Erst durch einen Beschwerdebrief der Jüdischen Gemeinde an die Berliner Schulverwaltung wurde die Angelegenheit publik.
Schulsenator Klaus Böger (SPD) schob alle Schuld auf die Pädagogin. In seinem Entschuldigungsbrief an die Jüdische Gemeinde heißt es: "Die Lehrerin der Hauptschule mißachtete ihre dienstlichen Verpflichtungen in eklatanter Weise: Sie unterließ es, den Vorfall umgehend zu beenden und ignorierte zudem die Verpflichtung der Meldung." Er habe die Schulleiter und Schulaufsichtsbeamten aufgerufen, "jeder Form von Gewalt entgegenzutreten". Sein Staatssekretär Thomas Härtel schloß sich der Pädagogen-Schelte an und meinte, das Nichteingreifen der Lehrerin sei "eindeutig" ein "Fehlverhalten" gewesen.
Die Lehrerin selbst konnte noch nicht angehört werden. Sie hatte sich krankschreiben lassen, und jetzt sind in Berlin Ferien. Es ist aber bekannt geworden, daß sie ihre Zurück-haltung mit dem "aggressiven Potential in der Klasse" begründet hatte.
Die Angst des Lehrpersonals vor der Gewalttätigkeit ausländischer Schüler wird von der Politik ignoriert. Dabei ist es noch nicht lange her, daß ein iranischer Schüler, der als "Sawis" durch die Berliner Presse ging, einen Lehrer vor aller Augen auf dem Schulhof krankenhausreif schlug.
Der Staatssekretär verweist im politisch-korrekten Jargon auf ein Jugendprogramm "Fit machen für Demokratie und Toleranz" und fordert, die sogenannten Quartiersmanager in den Problembezirken für den Kampf gegen Antisemitismus zu qualifizieren. Ähnlich hilflos wirkt das Vorhaben des Leiters des Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrums, Julius Schoeps, der eine "Bibliothek verbrannter Bücher" aus der NS-Zeit für den Schuleinsatz zusammenstellen will. Die Adressaten, um die es hier geht, sind außerstande, literarische Texte zu lesen. Außerdem sind die Schüler dazu verdonnert worden, sich im Centrum Judaicum die Ausstellung "Kunst in Auschwitz" anzusehen.
Mindestens drei Problemkomplexe bündeln sich in dem aktuellen Fall: Erstens der massenhafte Zuzug allem Anschein nach nicht integrierbarer Ausländer, die einem militant gefärbten Männlichkeitsideal anhängen. Zweitens wird Deutschland dadurch zunehmend zu einem Ort, wo internationale Konflikte ausgetragen werden. Drittens lassen die historisch bedingten Sonderbeziehungen Deutschlands zu Israel den Muslimen keine Chance, ihren eigenen Erfahrungshintergrund, der von schlechten Nachrichten aus den Palästinensergebieten und harschen Kommentaren ihrer Heimatmedien dazu geprägt ist, zu benennen. Da eine Aneignung deutscher Schuldriten von ihnen nicht zu erwarten ist, könnten ihre Versuchen, den Konfliktstau durch Gewalt aufzulösen, noch zunehmen.
Und noch etwas: Das Wegsehen von Lehrern, aber auch von Politikern, die milden Urteile der Justiz, das allgemeine Schön- und Wegreden von Ausländerkriminalität wird inzwischen nicht mehr so sehr von falschem Bewußtsein ("Multikulti") geleitet, sondern schlicht von Angst. Angst vor dem, was Hans Magnus Enzensberger den "molekularen Bürgerkrieg" nennt. Man hat ihn schon verloren gegeben und nimmt die Kräfteverhältnisse, zu denen er führen wird, im vorauseilenden Gehorsam vorweg.
Am Eingang der Pommern-Schule prangt das Schild: "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage". Diese Leerformel füllt sich langsam mit Inhalt: Deutsche Schüler und deutsches Lehrpersonal wagen es nicht mehr, eigene Ansprüche gegenüber ihren ausländischen Mitbürgern zu formulieren. |
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