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National sein ist Ehrensache

 
     
 
In diesen Tagen jährte sich der Geburtstag von Kurt Schumacher, dem erste Vorsitzenden der Nachkriegs-SPD. Wenn man sich mit der Person und der Politik Schumacher beschäftigt, dann wird man mit Erschrecken feststellen, wie grundlegend sich die SPD in der historisch minimalen Zeitspanne von nicht einmal zwei Generationen verändert hat Dieser Kurt Schumacher, der bedingungslose Feind eines jeden Totalitarismus gleichgültig, ob von rechts oder von links, dieser leidenschaftliche Verteidiger de deutschen Nation, dieser Preuße, der auch nach einem verlorenen Krieg Rückgra gegenüber den Siegern bewies und der nicht zuletzt darum mit fast 100 Prozent der Stimme von den Parteitagsdelegierten zum Vorsitzenden der SPD gewählt worden ist – diese selbstlose politische Kämpfer soll einmal der Vorgänger von Schröder und Lafontain gewesen sein?

Kurt Schumacher war Grenzlanddeutscher. Er wurde am 13. Oktober 1895 in Culm, eine preußischen Kleinstadt in Westpreußen, geboren. Er erlebte den Volkstumskampf und e erfuhr nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg
, wie die Provinz trotz deutscher Mehrheit vo den Siegern Polen zugeschlagen wurde.

Kurz bevor Kurt Schumacher das Abitur ablegen sollte, brach der Erste Weltkrieg aus Begeistert meldete er sich als Offiziersanwärter beim Feldartillerie-Regiment Thorn wechselte aber bald als gemeiner Kriegsfreiwilliger zum Infanterie-Regiment 21, um noc rechtzeitig an die Front zu kommen.

Schon am 2. Dezember 1914 wurde er bei Lodz am rechten Arm und am rechten Oberschenke schwer verwundet. 26 Stunden blieb er auf dem Gefechtsfeld liegen, bevor er gefunde wurde. Der rechte Arm mußte amputiert werden. 1915 wurde er als dienstuntauglich aus de Heer entlassen, nachdem ihm das Eiserne Kreuz 2. Klasse verliehen worden war.

In Halle, Leipzig und Berlin widmete er sich dem Studium der Rechtswissenschaft und de Nationalökonomie und bestand 1919 das 1. juristische Staatsexamen.

Die Eltern, die in dem nun zwangsweise polnisch gewordenen Culm nicht für Pole optieren wollten, mußten 1920 unter Zurücklassung ihres Besitzes die Heimat verlasse und siedelten ins kleiner gewordene Reich über.

Die Familie war es nicht, die Kurt Schumacher zum Sozialdemokraten werden ließ. De Vater war wohlhabender Unternehmer und politisch bei den Liberalen engagiert. Es gibt auc kein Zeugnis dafür, daß ihn das Kriegserlebnis ins linke politische Lager gedräng hätte.

Erst, als er bereits dienstuntauglich geschrieben war, bekannte er sich zu sozial-patriotischen Richtung der SPD und wurde Parteimitglied, 1918 auch Mitglied de Arbeiter- und Soldatenrates. Schumacher trat damals wie auch später für die Parlamentarisierung des Reiches ein und für die Abschaffung des Großbesitzes, sei es in Industrie, sei es im Handel oder der Landwirtschaft, weil er diesen Kreisen eine nich berechtigte Vorherrschaft in der Politik zuschrieb, eine Vorherrschaft, die sie zu überwiegenden Nutzen ihres Standes mißbrauchten. Sein Sozialismus war nie marxistisch auch wenn er das Vokabular des Marxismus verwendete. Der Marxismus war ihm nur ein Methode zur Analyse, nicht aber eine Lehre, die dogmatisch zu befolgen war. Für ihn wa es damals bereits eine Selbstverständlichkeit, daß Sozialismus die national Unabhängigkeit eines Landes voraussetzt.

Wie der Gründer der Sozialdemokratie, Ferdinand Lasalle, so bejahte auch Schumache den Staat als Einheit der Individuen in einem sittlichen Ganzen. Er folgte also nich Marxens Idee, daß am Ende des Sozialismus die Auflösung des Staates zu stehen habe.

Die Revolution als Mittel der Entwicklung lehnte er ab. Nach seiner Ansicht müßte die Sozialdemokraten den Staat mit friedlichen Mitteln langfristig erobern Produktionsgesellschaften oder -genossenschaften, die er an Stelle des Großbesitze anstrebte, seien staatlich zu finanzieren. Und kein Sozialismus ohne Demokratie – s sein Credo, das er jahrzehntelang wiederholte.

Bald wurde er Redakteur der in Stuttgart erscheinenden sozialdemokratische Tageszeitung "Schwäbische Tagwacht". Er ließ darüber die Zeit verstreichen um seine Promotion, die er längst abgeliefert hatte und die mit dem Prädikat "summ cum laude" benotet worden war, mit einigen gewünschten Korrekturen zu versehen. Nac einer Reihe von Jahren holte er sie nach und konnte dann mit Fug und Recht den Doktortite führen. 1924 wurde er in den württembergischen Landtag gewählt, 1930 in den Reichstag.

Durch seine außerordentlich scharfen Diskussionsbeiträge verdiente er sich in Stuttgart den Namen der "preußischen Revolverschnauze". Intensiv beschäftigt er sich mit Fragen der Verteidigung; statt einer Berufsarmee, die die Versaille Siegermächte dem deutschen Reich aufgezwungen hatten, bevorzugte er ein Volksheer mi allgemeiner Wehrpflicht, nicht zuletzt, weil eine solche Armee ins Volk und in die Demokratie eingebunden gewesen wäre.

Vehement plädierte er gegen die Einbindung Deutschlands in den Block der Westmächt ebenso wie auch gegen die Anlehnung an die Sowjetunion. Stets stand er für ei souveränes Deutsches Reich, ein Begriff, den er auch nach 1945 ohne jede Befangenhei verwendete.

In scharfen Gegensatz geriet er zu den Nationalsozialisten, deren Partei immer stärke wurde. Bekannt ist sein Zusammenstoß mit dem nationalsozialistische Reichstagsabgeordneten Dr. Joseph Goebbels. Der hatte in einer erregten Debatte die SP beschuldigt, sie sei die "Partei der Deserteure" im Ersten Weltkrieg gewesen Daraufhin brach im Reichstag ein gewaltiger Tumult los – damals galt es noch als schimpflich, im Krieg aus der deutschen Armee desertiert zu sein –, und de schwerkriegsbeschädigte, mit dem EK ausgezeichnete Abgeordnete Dr. Schumacher schleudert Goebbels, der wegen seines durch einen Unfall verkrüppelten Fußes nicht hatte Solda werden können, entgegen, die NSDAP-Abgeordneten würden auf einem "Nivea moralischer und intellektueller Verlumpung und Verlausung" kämpfen. Er beendet seinen Beitrag mit dem Satz: "Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ei dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen."

Seine Polemik kannte kaum Grenzen, so wenn er den Nationalsozialisten androhte "Eines Tages werden wir die ganze Naziführerbande in die Irrenhäuse einsperren." Ebenso fanatisch und häufig auch zügellos bekämpfte Schumacher die Kommunisten, für ihn "rotlackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten". Die Kommunistische Partei war für Schumacher "ein stehendes Heer der Sowjetunion au deutschem Boden". Er war bald sowohl bei der NSDAP als auch bei der KPD einer de bestgehaßten Parlamentarier.

Nachdem im Januar 1933 die NSDAP als stärkste Partei mit der Regierungsbildun beauftragt worden war, wurde im Juni Kurt Schumacher in Schutzhaft genommen, zunächst in einem Gefängnis, dann in einem wilden KZ und schließlich im KZ Dachau festgehalten Obwohl seine Eltern und Schwestern samt Familien keineswegs seine politische Meinun teilten – sie traten für den Nationalsozialismus ein –, halfen sie de eingesperrten Sohn, Bruder und Schwager, indem sie Lebensmittel und Kleidung schickten.

Schumacher war in der Bibliothek des KZ Dachau beschäftigt, in der zu seinem Erstaune auch eine große Zahl von Büchern stand, die im Dritten Reich nicht verboten, aber auc nicht in den Buchhandlungen zu finden waren, wie Werke von Thomas Mann, Lion Feuchtwanger Karl Kraus.

Seit Beginn des Zweiten Weltkrieges verfolgten viele Häftlinge – so auc Schumacher – anhand von Wandkarten den Frontverlauf und steckten den Vormarsch de deutschen Truppen mit Fähnchen ab. Daß Schumacher die deutschen Siege mit Begeisterun begrüßt haben soll, bezeichnet sein Biograph Peter Merseburger als kommunistisch Propaganda. Tatsächlich aber registrierte Kurt Schumacher die ersten Niederlagen de Sowjetarmee in den Jahren 1941 und 1942 mit Triumph und Genugtuung. Er wie Mithäftling drückten ihren Respekt aus über die Leistungen der deutschen Soldaten – wie e damals nahezu alle Deutschen taten.

Schumacher wurde krank. Er litt unter Magengeschwüren und einer Darmkrankheit, so da er diät ernährt werden mußte. Im März 1943 wurde er aus der Haft entlassen nac Hannover zu seiner Schwester, die ihn aufzupäppeln sich bemühte, bis sie ausgebomb wurde. Schumacher arbeitete im Büro einer Lagerverwaltung, wurde nach dem Attentat au Hitler im Juli 1944 noch einmal für vier Wochen festgenommen, dann freigelassen un erlebte den Einmarsch der Alliierten in Hannover.

Sofort begann er trotz seines schlechten Gesundheitszustandes, die SPD wieder zu organisieren. Sein Ziel: Deutschland soll als geschlossenes Ganzes auch in der Niederlag erhalten werden, wie er formulierte. Die Nation war für ihn Solidaritätsgemeinschaft Schumacher: "National sein ist Ehrensache!" An seine alten Ideen knüpfte er a und kämpfte wiederum gegen Großbesitz, der kein politischer Machtfaktor sein dürfe. Die reine Demokratie war für ihn die politische Idee der Arbeiterklasse. Mit große Leidenschaft wandte er sich gegen die Behauptung, das deutsche Volk trüge ein Kollektivschuld. Für ihn war die Schuld nur individuell zu verstehen. Er sah auc deutlich, daß das Versailler-Diktat-System die Lage von 1933 mit verursacht hatte. All Deutschen unter 30 Jahren, so forderte er, sollten von der Entnazifizierung ausgenomme werden. Von ihm ist kein Wort der heute so beliebten wie wohlfeilen Reuebekenntniss bekannt. Selbstbewußt forderte er von den Siegermächten deutsche politisch Gleichberechtigung. Nie trat er auf internationalem Parkett als Bittsteller auf. E forderte die Beendigung der Demontagen, so als er 1947 als erster deutscher Politiker die USA besuchte, um an einem Kongreß des Dachverbandes der Gewerkschaften, der America Federation of Labour, teilzunehmen. Leidenschaftlich wies er auf den Widersinn hin einerseits im sich anbahnenden Gegensatz zum Bolschewismus die Deutschen als Verbündet gewinnen zu wollen, andererseits ihnen aber nur Lebensmittelzuteilungen von 1000 Kalorie pro Tag zuzubilligen.

1948 mußte ihm ein Bein oberhalb des Knies amputiert werden, ein Schicksal, zu dem e durch sein Kettenrauchen beigetragen hatte. Annemarie Renger war ihm eine treu Gefährtin, die selbstlos dem so schwer Behinderten ermöglichte, noch vier Jahre lan aktive Politik zu treiben, so daß er in Westdeutschland der große Gegenspieler de christdemokratischen Bundeskanzlers Adenauer wurde. Scharf lehnte er dessen Pläne ab, die Bundesrepublik in die anglo-amerikanische Welt der Sieger einzubinden. Das war für ih die Zementierung der deutschen Teilung, deren Überwindung an der Spitze seine politischen Bemühungen stand. Viele damalige Äußerungen und Aktivitäten Schumacher hätten ihm heute den Vorwurf der Rechtsradikalität eingetragen, so als er sich 195 dagegen wandte, daß die von den Amerikanern in Landsberg wegen angeblicher ode wirklicher Kriegsverbrechen zum Tode verurteilten Deutschen hingerichtet wurden – vergeblich. Er verwendete sich für den Generalfeldmarschall Kesselring, der von eine britischen Militärgericht zum Tode verurteilt worden war und um dessen Begnadigun Schumacher – mit Erfolg – bat. Schützend stellte er sich vor die Soldaten de Waffen-SS, die er streng unterschied von den KZ-Wachmannschaften. Früh traf sic Schumacher mit ehemaligen hohen HJ-Führern, um deren Motive kennenzulernen und um si für die Sozialdemokratische Partei zu gewinnen.

Als die Alliierten das Ruhrgebiet internationalisieren wollten und dabei auf ei gewisses Verständnis des ohnehin separatistisch liebäugelnden Adenauer stießen erklärte Schumacher, die SPD werde der Internationalisierung nur dann zustimmen, wen darin die Industriereviere aller Staaten eingeschlossen würden.

In der Diskussion um das Ruhrstatut, eine von den Siegern eingerichtete Institution zu Kontrolle der gesamten deutschen Wirtschaft, kam es zu einem der explosivsten Tage in damals noch jungen Bundestag. Die SPD lehnte es ab, einen deutschen Vertreter in da Generalsekretariat zu entsenden. Adenauer beschuldigte sie daraufhin, dann seien si schuld daran, wenn die Demontage der deutschen Fabrikanlagen fortgesetzt werde. Ein Tumul brach los. Ein oppositioneller Abgeordneter rief: "Sind Sie noch ein Deutscher?" Ein anderer: "Sprechen Sie hier als deutscher Kanzler?" "Und dann" – so ein Chronist – "fiel das Wort mitten in die einen Moment lan abflachende Erregung, das Wort von Kurt Schumacher, leidenschaftlich, zischend, volle Verachtung: ,Der Bundeskanzler der Alliierten!‘" Ein Sturm brach los Abgeordnete gingen aufeinander los, schrieen sich an, Fäuste wurden geschüttelt Schlägereien drohten. Die Sitzung mußte unterbrochen werden. Das alles geschah am 25 November 1949 morgens um drei Uhr. Schumacher wurde für 20 Sitzungstage von de Beratungen ausgeschlossen, aber sein Wort wirkte erhellend und nachhaltig gleichsam als sein Vermächtnis bis heute fort.

Als – von der Sowjetischen Besatzungszone ausgehend – die SPD mit der KPD zu Sozialistischen Einheitspartei verschmolzen werden sollte, wandte er sich mit aller Kraf dagegen. Stets focht er für deutsche Gleichberechtigung und lehnte alle Maßnahmen de Sieger ab, die die Deutschen benachteiligten. Er wollte, daß die deutsche Frage gelös werde und daß erst dann über ein Europa freier gleichberechtigter Völker zu verhandel sei. Für ihn stand die Nation als politisches Ziel an erster Stelle.

Am 20. August 1952 verweigert der so schwer geschädigte Körper dem leidenschaftliche Politiker den Dienst. Er stirbt und wird nach Hannover übergeführt. Hunderttausende, un nicht nur Anhänger der SPD, säumten den letzten Weg des großen sozialen und nationale Volksführers. Michaela Weiser

"Ich erkläre: Die deutsche Sozialdemokratie hat 1945 als erster Fakto Deutschland und der Welt erklärt: Die Oder-Neiße-Linie ist unanehmbar als Grenze. Ic erkläre weiter: Keine deutsche Regierung und keine deutsche Partei kann bestehen, die die Oder-Neiße-Linie anerkennen will. Wir lehnen es ab, uns in die Politik de Nationalverrats und des Verrats an Menschheitsideen … verstricken zu lassen."

Kurt Schumacher am 1. März 1951 in Berlin

Kurt Schumacher, der am 13. Oktober 1895 im westpreußischen Culm geboren wurd gehörte zu den wenigen maßgeblichen Politikern der Nachkriegszeit, die das Reic erhalten wollten.


 
     
     
 
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