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Gefordert: Freiwilliger Verzicht

 
     
 
Was ist die Arbeit eines Bundestagsabgeordneten wert? Soviel wie die eines 29jährigen Polizisten in Darmstadt, 2.343 Euro? Die eines 33jährigen Börsenanalysten in Frankfurt, 8.950 Euro? Oder die 6.878 Euro, die das Gesetz zur Zeit für die Diäten vorschreibt? Der Polizist würde sein Einkommen sicherlich gern mit dem Politiker tauschen. Aber auch den Streß in 70- bis 120-Stunden-Wochen? Die Verantwortung für Entscheidungen über Krieg und Frieden und für Milliarden
-Haushalte? Würde auch der Börsenprofi auf ein Viertel seines Gehaltes verzichten, um noch mehr arbeiten zu müssen - auch am Wochenende? Um dabei stets Zielscheibe der Kritik zu sein? Und sich nach vier Jahren vielleicht einen neuen Job suchen zu müssen? Viele Fragen auf einem stets umstrittenen Feld.

Wenn aus Kandidaten Abgeordnete werden, dann sollen sie Vertreter des ganzen Volkes sein und nur ihrem Gewissen folgen. Nicht ihrem bisherigen Arbeitgeber. Nicht ir-gendwelchen Geldgebern, die sich davon Vorteile versprechen. Parlamentarier sollen nicht käuflich sein. Das heißt auf der anderen Seite aber auch, daß eine neutrale Stelle sie angemessen bezahlen muß. Am besten kann dies natürlich der Staat, so wie er es bei unabhängigen Beamten und neutralen Richtern auch tut. Was läge also näher, als sich für die Höhe der Diäten eine Besoldungsgruppe zu suchen, die mit Arbeitsaufwand und/oder Bedeutung einigermaßen vergleichbar ist, und die Einkommen der Abgeordneten einfach daran anzuhängen? Mit diesem Schritt könnte man die erregten Debatten auf lange Sicht eindämmen, die mit jeder Erhöhung der Diäten neu aufbrechen.

Nicht von ungefähr hatte der Bundestag 1958 die Aufwandsentschädigung an die Beamtenbesoldung gebunden. Das lief auf eine Automatik hinaus: In dem Maß, in dem die Staatsdiener mehr erhielten, wuchsen auch die Einkünfte der Volksvertreter. Der Abgeordnete erhielt als "Grunddiät" 22,5 Prozent des Amtsgehaltes eines Bundesministers (damals 1.100 Mark im Monat). Doch das Bundesverfassungsgericht entschied sich am 5. November 1975 gegen jede Koppelung. Karlsruhe räumte ein, möglicherweise sei es ja praktischer, die Höhe der Abgeordnetenentschädigung in Prozentsätzen an ein Beamtengehalt anzuhängen. Ein solches Vorgehen wäre nach Meinung der Richter aber ein Versuch, "das Parlament der Notwendigkeit zu entheben, jede Veränderung in der Höhe der Entschädigung im Plenum zu diskutieren und vor den Augen der Öffentlichkeit darüber als einer selbständigen politischen Frage zu entscheiden".

Dieser Urteilstext war verfassungsrechtlich eindeutig - in der politischen Praxis jedoch ein schwerwiegendes Handicap, das in der Öffentlichkeit bald zu einer stimmungsgeladenen Unterstellung führte: "Selbstbedienung". Die darin mitschwingende Vermutung: Bundes-

tagsabgeordnete nähmen sich das Recht heraus, selbst zu bestimmen, wieviel sie sich als Einkommen von den Steuergeldern der Bürger in die eigene Tasche steckten. Kein Wort mehr davon, daß der Bundestag dazu vom Verfassungsgericht ausdrücklich verpflichtet worden war. Die logische Folge des Urteils war ein dreifacher Druck auf die Abgeordneten: Zum einen verpflichtet sie das Grundgesetz in Artikel 48, für eine "angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung" der Mitglieder des Bundestages zu sorgen, die Diäten also nicht so unattraktiv zu machen, daß sie auf viele abschreckend wirken, ihren Beruf vorübergehend für die Übernahme eines Mandats aufzugeben. Zum zweiten geht die allgemeine Preis- und Einkommensentwicklung weiter, wird das Leben auch für Parlamentarier und ihre Familien teurer, müssen sie für Personal und Arbeitsmaterial auch immer mehr ausgeben. Zum dritten aber ist es nur natürlich, daß die "Augen der Öffentlichkeit" jede Erhöhung in eigener Sache zu einer eher peinlichen Angelegenheit machen. Es wird auch in Zukunft die entscheidende Frage sein, woran die Arbeit der Abgeordneten gemessen werden soll. Das wird jeder aus seiner persönlichen Einkommensperspektive jeweils anders beurteilen. Werden alle Diäten und sonstigen Aufwendungen für die Abgeordneten, alle Verwaltungs- und Gebäudekosten, kurz: alle Ausgaben für das Bundesparlament, zusammengenommen und auf alle Bürger verteilt, kommt ein Pro-Kopf-Betrag von gerade sieben Euro pro Jahr für den Bundestag dabei heraus. Das reicht gerade mal für drei bis vier Bierchen an einem Abend. Vermutlich wird das die Empörung am Stammtisch über die "Selbstbedienung" der Volksvertreter kaum verringern können. Auch nicht nach weiteren drei, vier Bieren - das entspricht dann wieder einem ganzen Jahr parlamentarischer Arbeit.

Kein Schüler käme auf den Gedanken, die Arbeitszeit seines Lehrers allein auf die vier oder fünf Stunden zu beschränken, die er ihn pro Tag sieht, niemand bezieht die Arbeitszeit eines Priesters nur auf dessen Anwesenheit beim Sonntagsgottesdienst. Aber bei Abgeordneten wird häufig angenommen, ihr einziger Job sei, alle paar Tage mal ein paar Stunden im Plenarsaal zu sitzen - und dort häufig auch noch zu fehlen. Die Plenarsitzungen sind in Wirklichkeit nur die winzige Spitze eines riesigen Eisberges.

Viele Gremiensitzungen beginnen bereits um oder sogar vor acht Uhr morgens, es gibt Treffen mit Experten, mit Vertretern anderer Parteien, mit Betroffenen, mit Mitarbeitern der Ministerien, um Gesetze gründlich vorzubereiten. Das zieht sich über Sitzungen in Arbeitskreisen, Ausschüssen, Kommissionen, Fraktionen oft bis tief in die Nacht hin. Und dann kommen noch die Verpflichtungen im Wahlkreis, die oft das Wochenende mit in Beschlag nehmen.

Dennoch ist es ein Gebot der Stunde, in Anbetracht wirklich knapper Kassen, daß alle Abgeordneten mit gutem Beispiel vorangehen und auf eine Anhebung ihrer Diäten für das Jahr 2003 verzichten. Dies würde der politischen Kultur in unserem Lande guttu
 
     
     
 
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