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Sieh! Was ist denn das?", fragt erstaunt die Tante aus der Großstadt, die zum ersten Male in Masuren weilt. "Das saftstrotzende grüne Gras und diese bunte Farbenpracht der vielen Ostereier!"
"Das ist eine Osterwiese!" erläuterte ihre kleine Nichte. "In diese kleine Holzkiste tun wir frische Erde hinein und säen darin etwa zwei oder drei Wochen vor Ostern etwas Hafer oder Gerste.
Das müssen wir natürlich öfter begießen, an einem mäßig warmen Ort aufbewahren und nach Möglichkeit tagsüber in die Sonne stellen. Bis Ostern ist die Gerste herausgewachsen und hat nun dieselbe Größe und Farbe wie das frische Gras einer frühlingsduftenden Wiese. Werden die jungen grünen Halme zu lang, dann stutzen wir sie eben ein wenig ab. Auf diese Wiese legt nun der gute Osterhase seine bunten Ostereier."
"Es sieht wirklich ganz wundervoll aus", lobt die Tante überzeugt, "diese farbenbunten Ostereier und rings herum das saftige herrliche Grün! Wie frisch und wohltuend die Farbe wirkt! Und da, seh ich, hängen ja noch einige Wassertröpfchen an den Halmspitzen, ihr habt sie wohl erst eben begossen?"
"Eben? - Ach, die gute Tante! - Wo denkst du hin! Um halb sechs morgens haben wir das getan."
"Schon so früh?"
"Ja, und heute haben wir sie mit Osterwasser besprengt!" - "Mit Osterwasser? Was ist denn das wieder?"
"Ach, die Tante kennt nicht einmal Osterwasser!" frohlockt spöttisch der kleine Blondkopf.
"Das habe ich heute bereits in aller Frühe besorgt", nimmt jetzt die ältere Schwester das Gespräch auf. "Dieses Wasser muß man am Ostermorgen vor Sonnenaufgang aus einem gen Osten strömenden Quell oder Bächlein schöpfen. Aber bei der ganzen Handlung, selbst auf dem Hin- und Heimweg, darf man nicht ein einziges Sterbenswörtchen reden, nicht lachen, sich nicht umsehen und keinem Menschen begegnen."
"Und von niemandem gesehen werden!", wirft die kleine Schwester ein.
"Das Osterwasser birgt eine heilbringende, krankheitbannende Kraft in sich. Am Morgen des ersten Feiertages werden damit nach altem masurischen Brauch alle Haustiere besprengt. Es ist dies gewissermaßen ein Impfen gegen jegliche Krankheit und alles bevorstehende Unheil. Wir selbst benutzen es zum Waschen als Schönheitsmittel, aber vor allem als Heilmittel gegen Ausschlag und andere Krankheiten."
"Seltsame Ostersitten herrschen hier in Masuren", gibt die Tante kopfschüttelnd zu. "So etwas macht man heutzutage nicht mehr! Und ich glaube, nach und nach sterben die alten Sitten und Gebräuche doch ab. Nur noch die Erinnerung wird einige Bräuche aus alten Zeiten festhalten."
"Du hast recht, es ist bereits so!" pflichtet der greise Großvater aus der dunklen Ofenecke bei. "Früher war doch alles anders. Die Zeiten waren besser und schöner. Und Ostern war alles viel stiller und feierlicher als heute. Am ersten Feiertag fand schon um sechs Uhr früh eine Andacht in der Kirche statt. Anschließend gingen wir alle auf den nahen Dorffriedhof, an der Spitze unser guter alter Herr Pfarrer. Auf dem Kirchhof haben wir gesungen, der Herr Pfarrer hat gesprochen und uns alle getröstet und ..."
Tränen treten dem alten Opa in die Augen. Rührende Erinnerung an entschwundene selige Zeiten durchpulst sein Inneres und läßt ihn kurze Zeit im Erzählen innehalten. -
"Ja, es gab noch tiefe Heimat- und stammverwurzelte Volkssitten zu meiner Zeit, aber heute erscheint mir alles so leer, so oberflächlich. Es fehlt ein inniges Band, es fehlt das alte vertraute Volksgut, das uns fest mit unserer Heimat verbindet. Und den wenigen Bräuchen, die sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben, mangelt es an Weihevollem und Andächtigem, und sehr viel haben sie an ihrer Ursprünglichkeit eingebüßt. Früher war doch alles so ganz anders ... Werner Bethke
Entnommen aus "Unser Masurenland". Heimatbeilage der Lycker Zeitung, April 1933 |
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