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Als Anfang April das sogenannte "Dohnanyi-Papier" an die Öffentlichkeit drang, verfielen unsere von den darin enthaltenen Aussagen zum mißglückten "Aufbau Ost" offenbar völlig überraschten Politiker erst in eine Schockstarre und dann in einen ungeordneten Aktionismus. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) und weitere Kommissionsmitglieder hatten in ihrem Papier für alle nachlesbar und leicht nachvollziehbar festgehalten, was beim "Aufbau Ost" schiefgegangen ist. So seien die meisten der zwischen 1991 und 2003 in die neuen Bundesländer geflossenen 1.250 Milliarden Euro unüberlegt verteilt worden.
Die Bewohner Mitteldeutschlands darf diese Erkenntnis nicht überraschen. Seit geraumer Zeit erleben sie aus nächster Nähe, wie viele der kurz nach der Wende voller Hoffnung gestarteten Projekte gar nicht erst fertiggestellt oder aufgrund von Fehlkalkulation schon nach kurzer Zeit wieder eingestellt werden. Fast immer waren örtliche Politiker mitbeteiligt, gaben den Investitionsvorhaben ihren Segen und versprachen ihren Wählern, daß alles gut werde. Die Mitteldeutschen wissen allerdings schon seit langem, daß die versprochenen "blühenden Landschaften" nur in den Wunschträumen der Politiker existieren. In der Realität platzte mit wenigen Ausnahmen fast jeder Realisierungsversuch. Warum die Politiker aller Parteien auf das "Dohnanyi-Papier" allerdings überrascht reagieren - um die 20 Prozent Arbeitslosigkeit sprechen doch für sich - entzieht sich dem Verständnis der Bürger in Ost und auch West.
Dohnanyis Aussage, daß die alten Länder auszubluten drohen, wenn sie weiterhin in jedem Jahr vier Prozent des Sozialproduktes in den Osten transferieren, rief sogar Kritiker auf den Plan, die dem SPD-Politiker unlautere Absichten unterstellten. Die Staatssekretärin Iris Gleicke (SPD) griff von Dohnanyi sogar an. "Da betreibt ein selbstberufener Experte bewußt oder unbewußt das Geschäft derer, die schon lange finden, daß es allmählich genug ist mit der Ostförderung." Doch die Kritiker an dem "Dohnanyi-Papier" befinden sich in der Minderheit. Die meisten haben erkannt, daß man die darin dargestellte Misere nicht leugnen kann, und entwerfen nun die buntesten Ideen, um - 14 Jahre verspätet - noch etwas zu retten.
Von "Sonderwirtschaftszonen" ist die Rede, Sachsens Ministerpräsident fordert sogar einen "Master-plan" und Cornelia Pieper (FDP) den Rücktritt des mit dem Aufbau Ost beauftragten Verkehrsministers Stolpe. Stolpe selbst, noch mautgeschädigt, hält sich eher bedeckt. Er hört sich alle Ideen an und spricht von "interessanten Gedanken".
"Das Stichwort Sonderwirtschaftszone wird immer wieder genannt, wenn man nicht mehr weiter weiß", merkte Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung an und verwies auf Genscher und Otto Graf Lambsdorff (beide FDP), die schon in den 90ern unter Kohl ähnliches forderten. Zudem besteht hier die Sorge, daß nur noch größere Städte wie Rostock, Dresden, Potsdam und Leipzig gefördert werden.
Georg Milbradts (CDU) Forderung nach "mehr Gestaltungsfreiheit bei den Lohn- und Sozialkosten" wurde wiederum schon gleich zu Anfang von seinen mitteldeutschen Amtskollegen gebremst. Schließlich wolle man nicht in einen "Wettlauf um die niedrigsten sozialen Standards", so Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD), verfallen. Matthias Platzeck (SPD) zeigte sich sogar stark verärgert über Bemerkungen hinsichtlich der Flexibilität seiner Landsleute. "Uns muß man nicht beibringen, was es heißt, das Arbeitsrecht flexibel anzuwenden", äußerte er sich in einem Interview. Seit der Wende hätten gerade die Mitteldeutschen gezeigt, was sie könnten. Schließlich hätten die meisten von ihnen, als ihre alten Arbeitsbereiche nach der Wende wegbrachen, bereitwillig einen neuen Beruf erlernt.
Ob der "Aufbau Ost" aufgrund des "Dohnanyi-Papiers" nun möglicherweise endlich ein Konzept erhält, wird sich in den nächsten Wochen zeigen, doch die wilden Diskussionen von seiten der Politiker, Gewerkschaften und Unternehmen lassen befürchten, daß sich nicht groß etwas ändern wird.
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