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Sonntagmorgen, Flohmarkt in Tongeren, Belgiens ältester Stadt (gegründet 15 v. Chr.). Wer Altes liebt, wird hier etwas finden. Das Angebot reicht von Louis Seize bis Gelsenkirchener Barock, vom Biedermeier-Polkal bis zur Jugendstilvase, von der englischen Spindel-Taschenuhr - "garantiert 18. Jahrhundert" - bis zur gebrauchten Pseudo-Rolex aus Hongkong. An einem kunsthistorisch eher unauffälligen Stand fällt der geschulte Sammlerblick auf eine kleine Figur, die da zwischen verrostetem Werkzeug , alten Schrauben und Sammeltassen aus den 60ern auf den ersten Blick recht unscheinbar wirkt. Die Hoffnung, der Verkaufer wisse vielleicht nicht, was er da Schönes hat, erfüllt sich leider nicht; er weiß es sehr wohl, und er weiß auch, was so eine Figur wert ist. So einigt man sich im marktüblichen Kauderwelsch aus Französisch, Flämisch und Deutsch (letzteres zumeist rheinisch getönt) auf einen eigentlich viel zu hohen Preis.
Aber wann hat man schon die Chance, diese Figur erwerben zu können, ohne gleich das dazugehörige Gefährt mitzukaufen und dafür den Gegenwert einer Villa in bester Wohnlage berappen zu müssen!
Es handelt sich nämlich um jene Dame, die nicht nur in Kreisen neidischer Käfer- und Entenfahrer etwas respektlos "Emily" genannt wird, im wirklichen Leben aber "Spirit of Ecstasy" heißt und seit nunmehr 95 Jahren die teuersten Kühlerhauben der Welt ziert.
Nur fünf Jahre hatten die Herren Rolls und Royce gebraucht, um sich in der motorisierten Luxusklasse zu etablieren. Dazu mag auch beigetragen haben, daß sie durch die Person eines der beiden Gründer Zugang zu britischen Adelskreisen fanden. Eines ihrer neuzeitlichen Gefährte, denen man bereits nachsagte, zu den besten der Welt zu zählen, hatten sie Lord John Walter Edward-Scott-Montagu verkauft. Seiner Lordschaft aber war das Beste noch nicht gut genug. Etwas ganz Besonderes mußte her, eine Art Gallionsfigur. Als Plazierung bot sich der Verschluß des auffälligen Kühlers an. Der Lord beauftragte den Bildhauer Charles Sykes, der aus sozusagen naheliegenden Gründen die Sekretärin des Auftraggebers, Eleonor Velasco Thornton, als Modell nahm und sie als "Spirit of Ecstasy" verewigte, ein geflügelte Jugendstilfigur aus versilbertem Nickel. Den Triumphzug der "Flying Lady" durch die Welt des Automobils erlebte Miss Thornton nicht mehr: Als sie 1915 mit ihrem geliebten Lord nach Indien reisen wollte, wurde ihr Schiff in den Gewässern vor Kreta von einem deutschen U-Boot torpediert. Eleonor ertrank, der Lord, zunächst verschollen, überlebte und konnte bei seiner Rückkehr nach London dramatische Presseberichte über sein "Ableben" lesen.
"Emily" aber war auf ihrem Weg nicht aufzuhalten. Auch wenn sie bald nicht mehr versilbert, sondern nur noch verchromt wurde und für einige Jahre eine kniende Haltung einnehmen mußte - bis heute, 100 Jahre nach der Firmengründung, verläßt kein Rolls-Royce ohne sie die Werkshallen.
Lassen wir einmal dahingestellt, ob an jenen Sonntagmorgen auf dem Flohmarkt in Tongeren die Hoffnung mitspielte, wenn man erst einmal symbolträchtig angefangen habe, werde man den Rest vom Rolls-Royce und somit den Aufstieg ins automobile Oberhaus auch noch schaffen. Da dieses hehre Ziel in immer weitere (um ehrlich zu sein: unerreichbare) Ferne rückte, stellte sich die Frage: Wohin mit der Lady, bis endlich der Sechser im Lotto kommt? Etwas britisch und etwas nobel sollte das Umfeld ja schon sein. Die Lösung: eine mundgeblasene Karaffe, erworben auf Londons Portobello Road, schlicht und schnörkellos, zeitlich etwa zwischen "Later Victorian" und "Earlier Woolworth" einzuordnen. Im Gastronomie-Fachhandel fand sich ein passender Korken mit Loch für das Gewinde der einstigen Kühlerfigur, und so hütet "Emily" nun unseren Vorrat an edlem schottischem Malt, vorzugsweise Glenmorangie - genau das Richtige, um von RR zu träumen. Juliane Meier
Das Kunstwerk (rechts) und sein Modell: Eleonor Thornton (rechts) und die hier zu einem Karaffenverschluß umfunktionierte Kühlerfigur eines alten Rolls-Royce |
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