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Es ward ein Kind geboren

 
     
 
Wem nützte es viel, daß in wenigen Stunden Weihnachten sein würde. Die Straßen lagen in tiefstem Dunkel, und in zerbombten Häuser froren und hungerten die Menschen. Jedoch das Krankenhaus, von dem hier die Rede sein wird, lag weit draußen, in einer teilweise noch intakten Vorstadt. In einem seiner Zimmer erhellte grelles Licht einer nackten Glühbirne den Raum. Zugleich blickten der ratlose junge Arzt und eine dickliche Hebamme auf ein weißes Laken, aus dem in periodischen Abständen ein schmerzliches Stöhnen stieg.

"Herrgott, quälen Sie sich doch nicht unnötig!" machte die Hebamme ihrem aufgestauten Zorn und ihrem Unverständnis schließlich Luft, "wollen Sie nicht endlich einem kleinen Christkindchen das Leben schenken?" Über das abgehärmte Gesicht der Angesprochenen legte sich ein tiefes Rot, von dem sich nicht deuten ließ, ob es nun vom Schmerz oder aber von der deutlich zutage tretenden Ablehnung herrührte. "Es ist aber auch ...!" nickte ebenfalls der junge Arzt, "diese Frau verweigert jegliche Hilfe. - Nicht nur ihre Passivität ist beängstigend, mir scheint sogar, als sträube sie sich gegen das drängende Leben."

Im weiteren Verlauf nahm die Ratlosigkeit
in den Gesichtern von Arzt und Hebamme hilflos wirkende Formen an, weil immer neue Wogen von Schmerz den ausgemergelten Körper von einer Seite auf die andere warfen. Der junge Arzt machte auf dem Absatz kehrt. "Ich verständige den Chef. Bei solcher Widersetzlichkeit sind Komplikationen ja geradezu vorprogrammiert ...!"

Aber was wissen schon ein junger Arzt und eine dickliche Heb-amme, die tief im gesicherten Hinterland den Krieg unbeschadet überstanden hatten, von einer jungen Frau, welche einer unbarmherzigen Front rotbesternter Soldaten in die Hände gefallen war ...

Minuten später trat der Chefarzt in die Tür. Seine Augen wirkten übermüdet und ließen deshalb sein Gesicht noch älter und faltiger erscheinen. "Aber gute Frau, warum machen Sie es meinem jungen Kollegen so schwer? - Als ob wir nicht schon Arbeit in Überfülle hätten." Trotz seines milden Tadels blieb die Stimmlage des Chefarztes sanft und verständnisvoll und legte sich wie Balsam über die Seele der leidenden Frau. "Ach Gottchen, Herr Doktor ...", seufzte sie deshalb. Der Chefarzt stutzte: "Aus dieser Gegend sind Sie aber nicht." Zugleich lächelte er verbindlich. "Dafür habe ich ein Ohr. Ich meine - seit meiner fernen Studienzeit in Königsberg."

Lange Zeit blickte der Arzt der jungen Frau forschend ins Gesicht. Und nur die abgrundtiefe Leere ihrer Augen ließ den Älteren schließlich die Blicke senken. Der Arzt wußte und verstand ...! Und noch ehe sich die Augen der jungen Frau mit Wasser füllen konnten, hatte er sich an seinen jüngeren Kollegen gewandt: "Spritzen Sie ihr gleich ein Sedativum! - Im übrigen übernehme ich den Fall am besten gleich selber ..."

Die Wirkung des Medikamentes ließ nicht lange auf sich warten. Wie in ein beruhigendes Vakuum getaucht, drangen nun wie von fern die Anweisungen des Arztes an ihr Ohr: "Jetzt müssen Sie wieder mithelfen - ja, so ist es gut ...!" Aber auch jene Bilder aus schlimmster Zeit, die ihr ununterbrochen in das Bewußtsein drangen, schnitten jetzt längst nicht so schmerzhaft in der Seele. "Gott segne diese blinkende Spritze und das gütig blickende Gesicht des Chefarztes!" formten leise ihre Lippen. - Und doch wuchsen die Bilder in ihrem Dämmerzustand zu endlosen Schlangen. Reihe an Reihe und dichtgedrängt stellte sich das Erlebte in ihrem Bewußtsein an: Ja, furchtbar kalt war es damals gewesen. Die Bilder zeigen den weißen Atem, wie er den Mündern von Mensch und Tier entspringt. Auf vielen der Bilder erkennt die junge Frau auch Vater und Mutter. Beide zusammen werden von den rotbe-sternten Soldaten einer langen Kette von Menschen beigefügt, die sich mühsam durch den Schnee bewegt. Nun erkennen die rotbesternten Soldaten die "junge Frau" in ihr. Sie umringen sie mit lachenden Gesichtern und rufen Worte, die die junge Frau nicht versteht. Aber "Komm, Frau - Dawei ...!", das sagen die rot besternten Soldaten nicht zu ihr. Diese Worte hatten sie zu jenem Zeitpunkt nämlich noch gar nicht gelernt.

Nur in einem zeigen sich die Erinnerungen von einer gnädigen Seite: Die lachenden Gesichter der rotbesternten Soldaten verschmelzen auf den Bildern zu einer breiigen Masse. Die Gesichter zeigen sich ohne jegliche erkennbare Konturen ...

"Na, endlich...!" rief der Chefarzt einige Zeit später. Aber gleichzeitig mit seinem Ausruf war auch ein wimmerndes Quengeln an die Ohren der jungen Frau gedrungen. Augenblicke später versank die völlig Erschöpfte in einen todähnlichen Schlaf ...

Selbst in den frühen Stunden des ersten Weihnachtstages und kaum, daß die Erschöpfte aus ihrem bleiernen Schlaf erwacht war, betrat der Chefarzt erneut ihr Krankenzimmer. Diesmal dicht gefolgt von der dicklichen Heb-amme, welche ein weißes Bündel auf den Armen trug. "Nun haben Sie uns ja doch noch in der Heiligen Nacht ein Christkindchen beschert", traten beide freundlich lächelnd an die Frau heran. Diese jedoch betrachtete nicht nur gleichgültig, sondern mit deutlicher Ablehnung das kleine Bündel Mensch auf den Armen der Hebamme. "Aber, aber, Teuerste, nun schauen Sie sich Ihr Töchterchen doch erst einmal an! - Das Kindchen ist Ihnen völlig wie aus dem Gesicht geschnitten."

"Mir ... - wie aus dem Gesicht geschnitten?" fragte die junge Frau erstaunt.

"Aber meine Liebe, warum sollte es nicht so sein? Und schauen Sie nur, hier, an dem kleinen Hals, dieser winzige dunkle Fleck. Wissen Sie überhaupt, was das einmal werden wird? Das wird genau so ein Muttermal, wie Sie es dort an der gleichen Stelle tragen."

"Wirklich? Sie meinen, Herr Doktor ...?" - "Aber natürlich, Teuerste. - Und nun fragen Sie nicht mehr viel! Hier, nehmen Sie Ihr Kindchen nur ruhig selber auf den Arm! Schauen Sie es sich nur an!" Und kaum lag das winzige Bündel an der Seite der Frau, da merkte man eine sonderbare Veränderung an ihren Gesichtszügen. Selbst ihre Augen, sie spiegelten jetzt nicht mehr eisige Ablehnung. Die Augen der jungen Frau zeigten jetzt auch Neugier.

Schließlich nach langem Betrachten, da sagte sie plötzlich mit sonderbarem, verklärtem Lächeln: "In einem irren Sie sich aber doch, Herr Doktor." - "Sooo?!" - "Ja, Herr Doktor, das Kindchen kommt mehr noch nach seiner Großmutter als nach mir!"

"So ist es recht, meine Teuerste", strich der alte Arzt über den Kopf der jungen Frau hinweg, "haben Sie Ihr Kindchen für die Zukunft nur feste lieb! - Denn dann gibt es schon eine Schuld weniger auf dieser verrückten Welt
 
     
     
 
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