|
Stille herrschte an jenem Morgen in der Umgebung Jerusalems. Die Stadt lag schlafend da, nur die Sonne erhob sich zögernd über den Horizont im Osten, um die morgendlichen Schleier zu heben. Die Menschen waren noch eingenommen von dem großen Ereignis, welches sich vor zwei Tagen in ihrer Mitte abgespielt hatte: Jesus, der Prophet aus Nazareth, war zum Tode verurteilt und gekreuzigt worden. Die einen sahen sich in ihrer Meinung bestätigt, daß er ein Schwindler gewesen war, die anderen sahen sich von einer Gefahr befreit. Seine Jünger aber hielten sich aus Angst verborgen, einige von ihnen gaben auf und kehrten enttäuscht in ihre Heimat zurück. Was sollten sie noch länger warten, worauf? Ihre Hoffnungen wurden mit seinem Tod begraben.
Niemand war auf das vorbereitet, was sich an diesem Sonntag ereignen sollte. Da machten sich in aller Frühe die Frauen auf den Weg zum Grab. Auch sie konnten noch gar nicht begreifen, was passiert war, darum wollten sie in seiner Nähe sein, sie wollten ihn beweinen und für ihn beten. Doch plötzlich werden sie aus ihrer Benommenheit herausgerissen - der Stein ist weg, das Grab ist offen! Welch ein Schreck durchfährt sie, Angst überfällt sie, wer macht so etwas?
Dreimal hatte Jesus den Jüngern sein Leiden, seinen Tod und die anschließende Auferstehung angekündigt. Er wollte und mußte sie darauf vorbereiten, denn das, wofür sie Augen- und Ohrenzeugen werden sollten, ist so unglaublich, so unvorstellbar, so einmalig, daß es sonst wohl über ihre Kräfte und ihren Verstand gegangen wäre. Obwohl sie es doch nicht ganz verstanden hatten, wie denn ein Toter wieder auferstehen könne, so haben sie zumindest diese Worte ihres Herrn im Herzen bewahrt.
Und nun ist es so weit. Die Frauen sehen das offene dunkle Grab - es ist leer, der Herr ist nicht mehr dort. Der nächste Schreck für sie - was
ist geschehen, wo ist Er? Sie können nicht begreifen, was sie sehen - da steht Er auf einmal vor ihnen und spricht sie an: "Fürchtet euch nicht!" Diese unerwartete Begegnung mit dem Totgeglaubten läßt nun ihren Schrecken vergehen und erfüllt die Frauen mit Freude.
Seit diesem Ereignis sind fast 2.000 Jahre ins Land gegangen. Die Botschaft von der Auferstehung Jesu hat sich durch die kleine Jüngerschar über den ganzen Erdkreis verbreitet. Jahr für Jahr feiern Millionen Menschen dieses Fest - Ostern. Auch wir sind in diesem Jahr wieder dabei. Durch die Fastenzeit, angefangen am Aschermittwoch, haben wir uns 40 Tage lang darauf vorbereitet. Vielleicht haben wir uns zu Beginn einige gute Vorsätze vorgenommen, von denen wir jetzt sagen können, daß wir es geschafft haben, sie auch zu halten. Und das ist natürlich wieder ein guter Grund, stolz auf uns selbst zu sein. So stehen wir am Ostersonntag in der Kirche und singen aus ganzem Herzen das Halleluja mit.
Aber worüber freuen wir uns denn eigentlich? Ostern ist ein anderes Fest als alle anderen. Es stellt an uns die große Herausforderung unseres Glaubens. Ostern kann man nicht nur feiern - Ostern muß man erleben.
In unserem alltäglichen Leben geht es mehr oder weniger routiniert zu: Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr verlaufen, und wir machen mit. Es bleibt uns kaum Zeit für tiefere Gedanken und Überlegungen. Wir fragen kaum noch, warum wir etwas machen, sondern sind bloß noch froh darüber, wenn wir alles schaffen. Und genau so gehen wir an die Feier des Osterfestes: im Terminkalender einige willkommene freie Tage, die wir zu einem kurzen Urlaub, zu einer kleinen Erholung in unserer Hektik nutzen können. Für die Frage nach dem Sinn dieser Tage bleibt da kaum noch Zeit.
Aber wollen wir uns diese Frage überhaupt stellen? Ist es nicht einfacher mitzufeiern, ohne sich darin zu vertiefen? Denn die Botschaft dieses Festes würde unser Leben auf den Kopf stellen. Nichts wäre dann mehr so, wie es vorher war.
Wir sind es doch gewöhnt, alle unsere Probleme wissenschaftlich zu hinterfragen. Alles muß untersucht und bewiesen werden. In einer Zeit, in der die Technik fast täglich etwas Neues hervorbringt, uns neue Erkenntnisse über die Welt, die Natur und das Leben vermittelt, fällt es uns Menschen um so schwerer, noch der alten Schrift zu glauben, die uns sagt, daß hinter dem allen dennoch Gottes großer Plan steht. Angesichts dieser sich stets erweiternden Möglichkeiten fällt es uns schwer, uns einzugestehen, daß es Dinge gibt, die wir eben nicht allein vollbringen können. Wir können zwar vieles selbst tun, aber eines können wir nicht - uns erlösen. Wir können zwar vieles schaffen - aber nicht unser Heil.
Wir vergessen in unserem täglichen Leben oft, daß wir Menschen keine perfekten Lebewesen sind. Wir machen Fehler und diese Fehler haben Folgen: nicht nur äußerliche, sondern auch innerliche. Indem wir etwas Böses tun, schaden wir nicht nur unseren Mitmenschen, sondern auch uns selbst. Unser Gewissen läßt uns dieses erfahren, die eigenen Sünden lasten auf uns, und - egal, wie sehr wir uns bemühen - wir können sie nicht einfach an die Seite schieben. Sie lassen sich nicht ablegen oder auslöschen. Hier bedürfen wir der Hilfe eines anderen, der nicht von Schuld beladen ist wie wir. Hier brauchen wir Gott.
Welch großen Vorteil haben wir heutzutage vor den Frauen und den Jüngern damals. Wir wachsen schon mit der Osterbotschaft auf, für uns ist sie nichts Neues mehr, ist sie sogar so bekannt, daß wir schon gar nicht mehr richtig zuhören. Und doch leben wir noch so, als ob wir von Ostern nichts wüßten. Es geht uns wie am Karsamstag. Wir leiden. Wir leiden an unserer Gesellschaft, die immer kälter und herzloser wird, wir leiden an unseren Familien, die immer weniger Zusammenhalt haben, wir leiden an uns selbst, weil wir immer weniger den Sinn in unserem Leben finden. Wir haben unsere Hoffnungen schon begraben und stehen jetzt hilflos und ängstlich vor unserer ungewissen Zukunft. Unsere Gedanken kreisen nur mehr um unsere Sorgen, und unsere Augen sehen nur immer größeres Elend. So hören wir nicht die Stimme Jesu, der schon längst auferstanden ist und auch uns sein "Fürchtet euch nicht!" zuruft.
Darum ist jedes Osterfest für uns eine neue Chance, die alten, eingefahrenen Gleise unseres Lebens zu verlassen. Lassen wir uns von dieser ungewöhnlichen Botschaft einmal so richtig aufschrecken. Es ist doch die Botschaft, auf die wir eigentlich alle warten. Oftmals zweifeln wir am ewigen Leben mit den Worten: "Es ist ja noch keiner von dort wieder zurückgekommen und hat uns berichtet, wie es da ist." Welch Irrtum: Jesus ist gestorben, ist begraben worden und ist von den Toten auferstanden. Was brauchen wir mehr? Ist diese Nachricht nicht so unerhört, daß sie uns sofort voll und ganz ergreifen müßte? Jesus stillt damit auch unser größtes Verlangen, die Tilgung unserer Schuld, er schenkt uns die Vergebung Gottes, er öffnet uns den Himmel zu einem neuen, ewigen Leben.
Liebe Leserinnen und Leser, fassen wir Mut und überwinden wir unsere Angst vor dem Grab. Denn dahinter steht Jesus, um uns zu begrüßen. Wir sind erlöste Menschen, wir brauchen uns darüber nicht mehr zu sorgen. Wenn wir in diesem Glauben unseren Lebensweg gehen, dann wird alle Sorge, alles Leid, jeder Kummer und jede Träne verwandelt in Freude. In eine Freude, die nicht wieder vergeht, in eine Freude, die ewig besteht, so wie wir und unser Leben. Diese Osterfreude, aus einem tiefen und unerschütterlichen Glauben an den Auferstandenen heraus, wünsche ich Ihnen allen.
|
|