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Das Volk der Dichter und Denker

 
     
 
Der Film, dessen Vorführung in diesem einen konkreten Fall, in einem Essener Kino-Center, verhindert wurde, heißt "Hannibal". Seit seinem Start in den Lichtspielhäusern macht der Horrorstreifen Furore; wegen seiner äußerst brutalen Szenen ist er in Deutschland erst ab 18 Jahren freigegeben. Gut gemeinter Jugendschutz, der aber eher den Effekt einer kostenlosen Werbung hat.

Der aus Essen berichtete "Aufstand" richtete sich allerdings nicht generell gegen dieses unsägliche Machwerk und die dahinter stehende Brutalisierung des öffentlichen Lebens in unserem Lande. Er wurde ausgelöst durch eine Panne des Kino-Betreiber
s: Eigentlich sollten hier Disneys "102 Dalmatiner" über die Leinwand laufen, doch leider sei "der falsche Film eingelegt worden", wie der Marketingchef zerknirscht einräumte.

So etwas kann passieren, zumal an einem Wochenende, an dem wegen mehrerer neuer (und von den Medien hochgeputschter) Filme ein bislang einmaliger Publikumsandrang auf die Kinos einstürmte. Aber es geht hier nicht um eine Panne in einem Kino, sondern um Grundsätzliches.

Zum Beispiel um die Frage, was mit Filmen wie "Hannibal" überhaupt bezweckt werden soll. Die einzige Erkenntnis, die der Zuschauer gewinnen kann: Angesichts der hier gezeigten, bislang noch nie gesehenen Horror-Sequenzen kann die alltägliche Gewalt im "wirklichen Leben" so schlimm ja eigentlich nicht sein. Durch solche Filme wird das Publikum an Brutalität gewöhnt; was gestern noch als makaber galt, wird heute als gelungener Regie-Gag gefeiert – und vielleicht morgen schon als Handlungsanleitung verstanden.

Wohlgemerkt, wir reden hier nicht über mehr oder weniger "perverse" Minderheiten. Am ersten Wochenende sahen sich bereits eine Million erwachsene Deutsche "Hannibals" Brutalitäten an. Sie taten das ganz ohne Zwang, freiwillig, zahlten sogar noch dafür.

Am selben Wochenende lief in ZDF und 3sat Peter Steins spektakuläre und gewiß nicht unumstrittene Faust-Inszenierung mit Bruno Ganz in der Titelrolle. Bei Gretchen und Mephisto konnte man es sich zu Hause bequem machen, brauchte keinen Eintritt zu zahlen – am Ende feierte ZFD-Programmdirektor Markus Schächter seine durchschnittlich 110 000 Zuschauer als "erfreuliche Resonanz" , mit der er "sehr zufrieden" sei.

110 000 Faust-Fans, das sind weniger als 1,4 Prozent der gesamten Bevölkerung Deutschlands. Horror-Hannibals Gewaltausbrüche wollten schon am ersten Kino-Wochenende zehnmal so viele Deutsche "genießen"; hinzu kommen mehrere Millionen, die einen Teil jenes Wochenendes mit dem sonstigen Porno- und Horror-Angebot in Film und Fernsehen gestalteten. Was ist bloß aus dem "Volk der Dichter und Denker" geworden? Ein "Volk der Sadisten und Sexomanen"?

Zumindest sind wir auf dem Weg dahin schon weit geschritten; "fortgeschritten" kann man da ja wohl nicht sagen. Blanker Egoismus, Rücksichtslosigkeit, Spaß haben wollen um jeden Preis und meist auf Kosten anderer, maßloses Anspruchsdenken, Verantwortungslosigkeit, nur noch Rechte und keine Pflichten – diese Denkweise wird in den Massenmedien, zu denen auch der Film gehört, als Normalität dargestellt. Mit dem traurigen Ergebnis, daß immer mehr Menschen nach der Devise leben: Was (oder wen) ich will, nehme ich mir, wenn’s nicht anders geht, dann eben mit Gewalt!

Insofern geht auch die derzeitige "Kampagne gegen rechte Gewalt" an der Realität vorbei, zumal sie vorzugsweise von Leuten betrieben wird, die sich gegen nicht-rechte Gewalt nur höchst dezent zu engagieren pflegen. Verrohung und Brutalisierung können aber nur gestoppt werden, wenn man endlich damit aufhört, den Menschen immer neue Vorwände, Motive und Pseudorechtfertigungen für Gewaltanwendung zu präsentieren – nach dem Muster: Rechte Gewalt ist böse, Gewalt zur Durchsetzung "edler" und "politisch korrekter" Ziele ist zulässig, da sie ja dem gutem Zwecke dient, der angeblich alle Mittel heiligt, und Gewalt als Mittel privater Selbstverwirklichung gehört dank steter Fernseh-Berieselung ohnehin längst zum Alltag.

Dagegen helfen aber keine "Moralpredigten". Besser wären positive Vorbilder, zum Beispiel in der Politik. Aber da sieht es derzeit ja ganz düster aus, nicht erst, seit prügelnde Steinewerfer als ministrabel gelten; schließlich begann der Siegeszug der 68er durch die Institutionen bereits vor über drei Jahrzehnten. In den wichtigsten Institutionen – den Medien, der Justiz sowie Schule und Universitäten – sind sie längst am Ziel angekommen. Und inzwischen offensichtlich auch in der Politik!

 
     
     
 
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