|
Er selbst nennt sich einen Besessenen. "Ich sehe meine Arbeit als Werkzeug, den Spiegel der Zeit zu dokumentieren", so Otto Schli-winski einmal in einem Gespräch zum . "Indem ich die Wirklichkeit übertreibe, deute ich auf die Zukunft hin." Immer wieder ist es der Mensch, der im Mittelpunkt dieses Schaffens steht. Der Mensch nicht als unverwechselbares Individuum , als Porträt dargestellt - auch die gibt es vereinzelt im Werk des Künstlers. Otto Schliwinski zeigt vielmehr die Masse der Menschen in ihrem Miteinander, sei dieses Miteinander nun freiwillig, sei es erzwungen. In engen Straßenschluchten bewegen sich die Massen, Ameisen gleich. Die Gesichter, wenn überhaupt dargestellt, gleichen Masken. Manche haben die Münder wie zum Schrei geöffnet. Die Augen sind weit aufgerissen. Anonyme Massen drängen sich durch enge Straßen. Austauschbar und seelenlos. Ebenso die Straßenzüge, die in die Unendlichkeit zu führen scheinen und umsäumt sind von in den Himmel ragenden Häusern. In diesen Häusern, in den Slums oder Hochhäusern ahnt man die Menschen nur.
Otto Schliwinski will mit diesen Bildern keine Sozialkritik üben; er will nicht anklagen. Die Arbeiten zum Thema "Menschen und Straßen" zeigen kein Abbild der Wirklichkeit. Der Künstler bleibt neutraler Beobachter, schildert mit Pinsel und Feder seine Wirklichkeit und öffnet so den Blick für das Wesentliche. Er bedient sich dabei der Darstellung spannungsreicher Gegensätze - hier der Mensch, da die Technik, hier die Masse als positive Kraft, da die Masse der Menschen als bedrohliche Gefahr. So entstanden Bilder und Zeichnungen, die einerseits einen ästhetischen Genuß vermitteln, andererseits aber auch zum Nachdenken anregen.
Die Bilder in Mischtechnik oder Acrylfarben und die graphischen Blätter sind gleichermaßen geprägt von einer sofort erkennbaren Handschrift. Feinfühlig tastet Schliwinski die Formen ab, gibt hier einer Linie mehr Schwung und Druck, da weniger. Farbe dient ihm als Übermittler seiner Aussage. Während frühe Arbeiten düster und dunkel anmuteten, sind jüngere Werke voller Leben. Erste Eindrücke auf seinen Reisen durch die Länder dieser Welt hat er zunächst mit den Augen "notiert", sie dann auf dem Papier festgehalten und später in der jeweiligen Technik - meist im Atelier - ausgeführt.
"Ich bin nicht reich", hat Otto Schliwinski einmal dem Ostpreu-ßenblatt gesagt, "aber manchmal meine ich, man kann es nicht besser haben als ich. Ich habe das große Geschenk erhalten, das, was ich fühle, auszudrücken. Nie im Leben habe ich davon geträumt, daß ich einmal so viele Menschen in so vielen Ländern mit meiner Kunst erfreuen könnte. Man denke auch an den großen Gegensatz - der Junge aus dem kleinen Ort Mulden in Ostdeutschland kann später als Mann die größten Städte der Welt, Tokio und Djakarta etwa, besuchen und dort seine Arbeiten ausstellen!" Ein besonderes Glück war es für den Ostdeutschland, als er 2001 gebeten wurde, als einziger deutscher Künstler im Kulturzentrum Lyck (Elk) auszustellen. Es war nicht das erste Mal, daß er in Ostdeutschland seine Bilder zeigen konnte - von Allenstein über Königsberg bis hinauf nach Memel waren seine Bilder schon zu sehen -, aber es war das erste Mal in seiner engeren Heimat.
Das Licht der Welt erblickte Otto Schliwinski vor 75 Jahren am 5. März 1928 in Mulden, Kreis Lyck. Dort besaß der Vater einen Hof und betrieb eine Pferdezucht. In dieser landschaftlichen Idylle wuchs der Junge auf, durchstreifte die Natur und liebte die Einsamkeit der Wälder. Schon früh fühlte er sich zur Segelfliegerei hingezogen und war gewiß begeistert, als er - nur sechzehnjährig - zur Luftwaffe eingezogen wurde. Als Junge in Uniform aber erlebte er maßloses Elend. Die Mutter starb auf der Flucht in den Westen. In Westfalen fand sich der Rest der Familie nach dem Krieg wieder. Vieles erlebte Elend hat sich in den frühen Bildern Otto Schliwinskis niedergeschlagen. Künstlerisches Arbeiten half ihm, sich von seinen Depressionen zu befreien. Nach ersten künstlerischen Stu-dien 1946 in Gelsenkirchen be-suchte er die Folkwangschule in Essen. Zunächst war er als Planungsingenieur tätig, bis er sich 1979 endgültig als freischaffender Maler und Graphiker in Essen und Garmisch-Partenkirchen niederließ. Eine erste Einzelausstellung erfolgte 1961 im Ruhrlandmuseum Essen. Seit dieser Zeit hat Otto Schliwin-ski unermüdlich gemalt und gezeichnet. Ihm gelingt es, in seinem Schaffen ein Thema in vielen Variationen darzustellen. Ein Thema, das er vielfältig abwandelt und so stets aufs neue die Betrachter seiner Bilder in Erstaunen versetzt.
1987 besuchte er zum ersten Mal nach der Flucht seine Heimat. Dort hielt er seine Impressionen fest, skizzierte und malte, was er sah. Es sollte nicht bei dem einen Mal bleiben. In Ostdeutschland entstanden neben den typischen "Schliwinski-Motiven" wie Hochhäuser in Allenstein, eine menschenleere Straße in Rastenburg oder Men-schengewimmel auf dem Markt von Bischofsburg auch Bilder von stillen Dorfstraßen, von Fischerkaten und weit sich dehnenden Feldern. Viele Motive wirken schwermütig, andere wieder sind voller Lebenskraft. Schliwinski schuf Bilder, die diesem Land entsprechen und seinen Menschen. In der Farbigkeit wurden diese Arbeiten mit Werken anderer ostdeutscher Künstler wie Arthur Degner, Alexander Kolde oder Robert Hoffmann-Salpia verglichen. Otto Schliwinski aber hat mit diesen Bildern zu seinen Wurzeln zurückgefunden, denn der weltoffene Künstler, der wie kaum ein anderer seine Kunst den Völkern in über 70 Ländern der Erde hat präsentieren können, ist immer ein begeisterter Ostpreuße geblieben, ein Mann, der seiner Heimat tief verbunden ist. 1997 verlieh ihm die Freundeskreis Ostdeutschland den Kulturpreis für bildende Kunst und ehrte mit ihm nicht zuletzt auch einen Mann, der als Botschafter Ostdeutschlands in aller Welt gewirkt hat. Peter van Lohuizen
Otto Schliwinski: 1997 von der Freundeskreis Ostdeutschland mit dem Kulturpreis für bildende Kunst ausgezeichnet |
|