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Mit Fleisch allein ist schulischer Erfolg nicht automatisch zu erzielen. Weil Britney Spears und andere Pop-Ikonen mit Ausläufern ihrer Stringtangas Furore machen, die gewollt über den Rand der tief auf den Hüften sitzenden Hosen sichtbar werden, glauben pubertierende Schülerinnen vermehrt, in den Schulen auf sich aufmerksam machen zu müssen. Daß aufreizende Körperlichkeit nicht nur bei den Popstars, Kleinjunkies und Discogängern anzutreffen ist, quittieren Erwachsene in zunehmendem Maße mit Kopf- schütteln und Sorge.
Seine Unterwäsche, Tätowierungen, Piercings demonstrativ zur Schau zu stellen zählt zu den dekadenten Errungenschaften einer sich fortschrittlich gebärdenden Zivilisation. Deshalb hat der mutige Vorstoß der Schulleiterin Helga Akkermann im niedersächsischen Sehnde gegen Nabelpiercing und bauchfreie Leibchen ihrer Schülerinnen einen Sturm der Entrüstung bei Spätpubertierenden und Hyperindividualisten ausgelöst, der an Dummheit und Selbstentlarvung nur schwer zu überbieten war.
Ohne damit gleich das englische System einer Uniformierung der Schüler übernehmen zu wollen, hat die Zivilcourage von Akkermann nicht nur den vielen satten und schweigenden Kollegen gezeigt, daß das sich nur hinter vorgehaltener Hand Mokieren und die ausufernde Toleranz in der Schule nicht von allen Pädagogen geteilt werden. Auch wenn durchaus ernstzunehmende Argumente für eine lockere Schuluniform an weiterführenden Schulen in unserem Land sprechen und "Bikinis" in Schulen unangebracht sind, wird bereits jeder ernsthafte diesbezügliche Diskussionsansatz mit schöner Regelmäßigkeit durch den bloßen Hinweis auf HJ und BDM schnell zum Scheitern gebracht. Da die Kleidung von den besonders fortschrittlichen Eltern und selbsternannten Medienzaren als Ausdruck gewachsener Individualität beschrieben wird, bedürfen Lösungen jenseits des gegenwärtigen Modezwangs eines ungebrochenen Selbstwertgefühls. Die Widersprüchlichkeit in der Argumentation der Claqueure wird besonders deutlich, wenn Schülerinnen bestimmter Schulformen quasi kollektiv bauchfrei ihren Idolen nacheifern.
Als vereinzelte Lehrer oder der zum Bildungsminister mutierte einstige Manager des Fußballclubs Werder Bremen, Willi Lemke, weniger Fleisch, statt dessen mehr Anstrengungsbereitschaft, Höflichkeit, Pünktlichkeit, Fleiß von den heutigen Schülern einforderten, konterte Franz Josef Wagner in "Bild" mit der einlullenden Metapher "Kleidung ist Freiheit". Der in seinem Beitrag stümperhaft unternommene Versuch, eine Beziehung zwischen freiem Nabel, blankem Bauch und leistungsfähigem Hirn herzustellen, ist - wie zu erwarten - bei dem dort üblichen Niveau vollends mißlungen.
Allen Besserwissern zum Trotz scheint es nach den Erfahrungen bei unseren europäischen Nachbarn keineswegs abwegig, durchaus eine Beziehung zwischen Leistungsbereitschaft, Elitebewußtsein, Vorbildfunktion und zumutbarer Kleiderordnung festzustellen. Der gammelige Lehrer zählt nicht. Von jedem Bankangestellten, einer Verkäuferin oder Krankenschwester erwarten wir eine das Auge ansprechende Berufskleidung, ohne daß die Betroffenen an Persönlichkeit verlieren.
Da Schule normalerweise keine Strandparty mit hohem Spaßfaktor darstellt, dort andere Spielregeln herrschen, Bildung nicht durch einen schönen beziehungsweise aufgemotzten Körper zu erreichen ist, ist das Überdenken mancher Auswüchse überfällig. Offenbar mangelt es Teilen dieser Gesellschaft aber an der Fähigkeit, zwischen Schule und Disko zu unterscheiden. Ob das durch schuleigene Vorgaben an Schüler und Lehrer nach außen sichtbare andere Profil Innovationen auslöst, auf Schulen und Schülerinnen ansteckend wirkt, wäre den Versuch, das Umdenken, wert.
"Uniformierte" Internatsschülerinnen aus Salem am Bodensee oder deutsche Schülerinnen, die beispielsweise in England in die für sie ungewohnte Schuluniform schlüpfen mußten, liefern überzeugende Argumente gegen zu viel Bauchfreiheit, ohne daß ihre Persönlichkeit darunter leidet. Das beispielsweise mit einer verbindlichen Schulkleidung erreichte Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt den Gemeischaftsgeist, fördert die soziale Kompetenz, bekämpft Markenzwang und enthebt die Schülerinnen der Anonymität.
Auch wenn Schule heute weitgehend ihren einstigen Erziehungscharakter aufgegeben hat, in bestimmten Bundesländern dieser durch ministeriellen Erlaß sogar aufgehoben wurde, und man leider die Vorbildfunktion so manchen Lehrers hinterfragen muß, bleibt der Anspruch an die verantwortlichen Lehrkräfte erhalten, bei offensichtlichen Fehlentwicklungen nicht wegzugucken oder zu schweigen. Die erschreckenden Erfahrungen aus der wenig schmeichelhaften Pisa-Studie, deren Auswirkungen der Wirtschaftsstandort Deutschland vermehrt spüren wird, finden in übertriebener Körperlichkeit ihre optische Ergänzung. |
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