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Was ist konservativ? Diese Frage beschäftigt zur Zeit vor allem die deutschen Feuilletons. Doch die Antworten sind oft enttäuschend. Einem Juristen hätte man nicht zugetraut, einen packenden und zugespitzten Beitrag zu diesem Thema zu leisten. Denn während manche Leitartikel mit Leerbegriffen gespickt sind, redet der Bundesverfassungsrichter Udo die Fabio nicht um den heißen Brei herum. Seine Streitschrift, die den schönen Titel "Die Kultur der Freiheit" trägt, fällt aus dem üblichen Rahmen und ist gut geschrieben, gelehrt, provokativ und nie langweilig.
Schon die Vita des Autors ist spannend und "riecht" so gar nicht nach einem Konservativen. Als Enkel italienischer Einwanderer im Ruhrgebiet machte er sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg. Nebenbei arbeitete er als Beamte r im Mittleren Dienst der Stadt Dinslaken. Und nach seinem Jurastudium machte er sehr rasch Karriere und gilt mittlerweile als einer der effektivsten und bekanntesten Richter am Bundesverfassungsgericht. Seine Optik weist ihn nicht als einen Konservativen aus. "Er hat eine Vorliebe für den Drei-Tage-Bart und trägt eine randlose Brille. Auch das läßt ihn fortschrittlich erscheinen, fast wie einen Alt-68er": So beschrieb ihn der Kölner Stadt-Anzeiger und saß dem Irrtum auf, als seien die Nachfahren von 1968 besonders fortschrittlich.
Di Fabios Programm besticht durch Originalität. Er läßt sich nicht als Etatist, Nationalkonservativer oder Neoliberaler abstempeln. Heri-bert Prantls Kommentar in der Süddeutschen Zeitung, man habe dem Buch besser den Titel "Die Kultur der Jungen Freiheit" geben sollen, ist nicht nur ein schlechter Wortwitz, sondern zeigt die Reflexe einer linksliberalen Haltung der Arroganz und Selbstgewißheit, die allergisch reagiert, wenn sich irgendwo bürgerliche Gesinnung regt. Und genau dies ist das Programm von die Fabios neuem Werk, das zum Aufbruch in eine neue bürgerliche Epoche aufruft. Der Autor spricht von der "vitalen Bonner Republik des Wirtschaftswunders", die durch und durch bürgerlich gewesen sei, "groß- und vor allem kleinbürgerlich". Dem stürmischen Wertewandel von 1968 sind die positiven Merkmale dieser Zeit zum Opfer gefallen.
Unsere heutige Gesellschaft ist - pauschal gesprochen - alles andere als vital. In weiten Teilen der Medien und mittlerweile auch im Alltagsleben herrscht völlige Beliebigkeit. Die Fabio macht deutlich, daß eine solche Haltung, die in Holland mustergültig durchgehalten wurde bis zum Mord an Theo van Gogh, auf Einwanderer aus den arabischen Ländern oder der Türkei nicht anziehend wirkt. Sie verweigern ihr den Respekt.
Damit Deutschland und auch andere westliche Staaten wieder auf die Beine kommen, müssen die Institutionen wieder gestärkt werden. Die Privatautonomie und der Markt, die Demokratie und der Verfassungsstaat, der Schutz der Privatsphäre und die Familie, das Leistungsprinzip und die Bildungsidee, das Wertesystem und die Leitideen vom Lebensglück: Auf all diese Dinge, die den westlichen Kulturkreis groß gemacht haben, dürfen wir stolz sein. Sie müssen revitalisiert werden. Es läuft etwas schief, wenn eine Gesellschaft nur noch die Prominenz aus Film, Sport und Showbiz anbetet, und die "normalen" Leute, den begnadeten Wissenschaftler, die Erfinder, den verantwortungsvollen und risikobereiten Unternehmer, die Mütter und Väter, die sich um die Erziehung ihrer Kinder kümmern, nicht mehr achten. Sie alle sind wichtiger für diese Gesellschaft als ein Dieter Bohlen, Michael Schumacher oder Boris Becker.
Di Fabio hat den Traum vom "tätigen Menschen", der sein Leben selbst in die Hand nimmt. Der völlig überzogene Wohlfahrtsstaat nach kontinentaleuropäischem Muster hat ihm die Freiheit genommen, über sein Leben selbst zu bestimmen. In den Vereinigten Staaten ist noch mehr übrig geblieben von den alten bürgerlichen Tugenden. Doch warum sollte man immer den Blick in die Ferne richten? Die 50er Jahre waren voll echter Lebensfreude, die Menschen hingen nicht an der Vergangenheit, die ihnen nur Schrecken gebracht hatte, sondern blickten optimistisch in die Zukunft. Die 68er aber attackierten mit blinder Wut all die Dinge, die den Aufschwung nach dem Krieg wieder möglich gemacht hatten. Sie rückten alles ins Zwielicht, die bürgerlichen Lebensformen, die Ehe, die Familie, den Karrierewillen, aber auch Kirchen, Parteien, Staat, Unternehmen und bürgerliche Kulturformen.
Di Fabios Buch liest sich gerade deshalb so spannend, weil seine Botschaft liberale und konservative Gedanken verbindet. Er spricht ungezwungen aus, was vielleicht eine schweigende Mehrheit denkt, aber öffentlich nicht zu sagen wagt. Es wäre schön, wenn seine aufrüttelnde Botschaft bei einigen Lesern ankommen und eine neue "Kultur der Freiheit" möglich machen würde.
Udo die Fabio: "Die Kultur der Freiheit", Beck Verlag, München 2005, 295 Seiten, 19,90 Euro |
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