|
Traditionell lieben französische Staatsführungen Deutschland so sehr, daß sie froh sind, wenn es mehrere davon gibt, und daß sie das ihnen mögli-che tun, um dazu beizutragen. So hatte der Kaiser der Franzosen im Prager Frieden vom 23. August 1866, der den Deutschen Krieg beendete, durchgesetzt, daß Deutschland dreigeteilt wurde in den preußisch dominierten Norddeutschen Bund, der die Maingrenze im Süden nicht überschreiten durfte, in das Kaiserreich Österreich sowie in die süddeutschen Mittel- und Kleinstaaten des sogenannten Reinen oder Dritten Deutschlands, die analog zum Norddeutschen einen Süddeutschen Bund bilden sollten, der "eine international e unabhängige Existenz haben wird".
Dazu, daß es zu diesem von Frankreich protegierten Südbund nie gekommen ist, haben Bayern auf direktem und Österreich auf indirektem Wege nicht unwesentlich beigetragen. Es war nämlich der damalige österreichische Staatskanzler Klemens Wenzel Fürst v. Metternich gewesen, der auf dem Wiener Kongreß von 1814/15 dafür Sorge getragen hatte, daß Preußen und Bayern Exklaven im Rheinland besaßen. Zum einen sollten die beiden Mächte, die zuvor häufiger mit Frankreich gegen die deutsche Zentralgewalt paktiert hatten, dadurch genötigt sein, sich an der Wacht am Rhein zu beteiligen. Zum anderen hoffte Metternich zu Recht, daß Bayern und Preußen fortan versuchen würden, eine Landbrücke zwischen dem Mutterland und der Exklave im Westen zu schlagen, und daß dieses Bemühen die betroffenen Nachbarn zu natürlichen Verbündeten Österreichs machen würde. In der Tat vergiftete das bayerische Bemühen um eine Landbrücke zur Pfalz die Beziehungen der Süddeutschen untereinander derart, daß das für einen freiwilligen Zusammenschluß in einem von der Regionalmacht Bayern geführten Südbund nötige Vertrauen nicht bestand.
Die Realisierung der von Frankreich verfolgten Idee der Trias wurde auch dadurch unterlaufen, daß Preußen durch den Abschluß von geheimen Schutz- und Trutzbündnissen mit Württemberg, Baden, Bayern und Hessen - in wenn auch sehr bedingtem Umfange - der Sprung über den Main gelang. Zum Abschluß dieser für den Deutsch-Französischen Krieg nicht unerheblichen Bündnisse trug Frankreich selber - wenn auch ungewollt - bei. Für den Machtgewinn Preußens durch den Prager Frieden hatte Napoleon III. territoriale Kompensationen im deutsch-französischen Grenzraum gefordert. Dazu gehörten Saarbrücken, Landau, Luxemburg, die bayerische Pfalz sowie das linksrheinische Hessen mit Mainz. Bismarck ließ sich einen entsprechenden französischen Vertragsentwurf aushändigen und zeigte ihn den süddeutschen Regierungen, die darauf in der erwarteten Weise reagierten. Auf der Suche nach Schutz vor den französischen Expansionswünschen zeigten sie sich zu den Verteidigungsbündnissen mit Preußen bereit.
Der preußische Ministerpräsident Otto Graf v. Bismarck wagte es nicht, Napoleons Forderungen rundheraus abzulehnen, und versuchte deshalb, dessen Aufmerksamkeit von deutschem auf nichtdeutsches Territorium zu lenken, zu dem er neben dem belgischen auch das luxemburgische zählte. Die französische Regierung ließ sich darauf ein, und so wurde Bismarck nun ein Vertragsentwurf ausgehändigt, der Belgien und Luxemburg als Kompensationen vorsah.
Mit dem Großherzogtum, das in Personalunion mit den Niederlanden verbunden war, wollte die französische Regierung beginnen, getreu dem Motto ihres Botschafters in Berlin, Vincent Graf Benedetti: "Einmal in Luxemburg, sind wir auf der Straße nach Brüssel, wir werden auf diesem Weg um so schneller dort eintreffen." Bismarck war grundsätzlich einverstanden, da "hier der natürliche Machtzuwachs liege, wie er sowohl durch Nationalität und Sprache, als durch das defensive System Frankreichs vorgezeichnet werde". Bismarck betrachtete Luxemburg als einen nichtdeutschen Staat, in dem "die Stimmung namentlich unter den Reichen vielleicht mehr nach Paris gewandt sei", und signalisierte deshalb der französischen Regierung grundsätzliches Einverständnis.
Aber er wußte auch, daß die Nationalbewegung in seinem Land mehrheitlich anders dachte. Luxemburg ist immerhin bis zu dessen Ende 1866 Mitglied des Deutschen Bundes gewesen, und bei der Landessprache Luxemburgisch handelt es sich um eine moselfränkische Mundart des Deutschen. Bismarcks Einverständnis mit einer Einverleibung des Großherzogtums durch das Kaiserreich konnte deshalb nur ein geheimes sein, wollte er nicht die deutsche Nationalbewegung gegen sich aufbringen. Er versuchte, dieses den Franzosen zu signalisieren, und mahnte sie, die Vorbereitungen im geheimen vorzunehmen, um dann Preußen scheinbar vor vollendete Tatsachen zu stellen.
Die französische Regierung verhielt sich entsprechend dem Rat und trat in Geheimverhandlungen mit dem luxemburgischen Großherzog ein, mit dem Ziel eines Kaufes des Landes. Der unter Geldnot leidende Wilhelm III. war hieran auch durchaus interessiert, doch wollte er in dieser Sache nichts ohne die ausdrückliche Zustimmung der Preußen machen, die aus der Zeit des Deutschen Bundes noch Truppen in der vormaligen Bundesfestung stationiert hatten. Entgegen dem wohlbegründeten Rat der Franzosen fragte er offiziell den preußischen König nach dessen Meinung. Offiziell gefragt, konnte die Antwort der preußischen Staatsführung nur negativ lauten, wollte sie nicht als Vaterlandsverräter dastehen (und jede Hoffnung auf eine deutsche Einigung unter ihrer Führung aufgeben). Wilhelm III. brach daraufhin die Beziehungen mit den Franzosen ab.
Für diese Blamage machte Napoleon Bismarck verantwortlich, der ihn hinterhältig in eine Falle gelockt habe. Das Vertrauensverhältnis war zerstört, die preußisch-französischen Beziehungen belastet bis zerrüttet, ein Einverständnis Frankreichs zur Ausdehnung des Norddeutschen Bundes über den Main undenkbar. Im britischen Außenministerium wurde die Situa-tion auf den Punkt gebracht: "Frankreich würde, wenn es inzwischen nicht weiser werde, die deutsche Einigung als casus belli betrachten". "Sehr wahr und weise", kommentierte deshalb Bismarck in einer Randglosse eine Bemerkung seines Königs, er selbst werde die Einigung Deutschlands nicht erleben, ob sein Sohn stehe dahin, vielleicht erst sein Enkel.
Doch dann brachte die spanische Thronfolgefrage eine ungeahnte Dynamik in den deutschen Einigungsprozeß. 1868 wurde in Spanien Königin Isabella II. von ihrem eigenen Militär gestürzt. Auf der Suche nach einem Nachfolger trat der Ministerrat an Erbprinz Leo-pold von Hohenzollern-Sigmaringen heran. Bismarck war klar, daß ein Hohenzollernprinz auf dem Throne Karls V. bei den Franzosen unangenehme Erinnerungen an die Zeit der habsburgischen Umklammerung wachrufen würde. Das motivierte ihn, die Kandidatur zu fördern, getreu der Devise: "In unserem Interesse liegt es, daß die spanische Frage als Friedens-Fontanelle offen bleibt, und eine für Napoleon angenehme Lösung ist schwerlich die uns nützliche." Entsprechend Bismarcks Rat stellte sich Leo-pold am 19. Juni 1870 als Kandidat zur Verfügung. Zwei Tage später wurde die Kandidatur vom Chef des Gesamthauses, dem preußischen König Wilhelm I., gebilligt.
Als jedoch die Kandidatur in Paris bekannt wurde, brauchte die französische Regierung nur entschlossen genug zu reagieren, um die Hohenzollern zum Nachgeben zu bewegen. Auf ein entsprechendes Handschreiben Wilhelms I. hin zog Leopold seine Kandidatur zurück. Was dann geschah, erfuhr die damalige Öffentlichkeit durch die von Bismarck durch Reduktion pointierte Emser Depesche: "Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern der Kaiserlich Französischen Regierung von der Königlich Spanischen amtlich mitgeteilt worden sind, hat der französische Botschafter in Ems an seine Majestät den König noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisieren, daß er nach Paris telegraphiere, daß seine Majestät der König sich für alle Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur wieder zurückkommen sollten. Seine Majestät der König hat es darauf abgelehnt, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß seine Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen habe." Keine Woche später, am 19. Juli 1870, erklärte das französische Kaiserreich dem preußischen Königreich den Krieg.
Im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 gelang es Preußen mit seinen Verbündeten, Frankreich zu besiegen und damit das letzte externe Hindernis auf dem Weg zu einem kleindeutschen Nationalstaat unter seiner Führung aus dem Weg zu räumen. Ebenso wie bei der Frage des Kriegseintrittes konnten sich die süddeutschen Regierungen auch in jener des Beitritts zum Norddeutschen Bund dem Sog der Nationalbewegung kaum entziehen. Und wo das nicht reichte, kam Bismarck den Regierungen mit der Gewährung von Sonderrechten entgegen. Nachdem der Norddeutsche Bund durch den Beitritt der Süddeutschen zum Deutschen Reich geworden war und der Herrscher des zweitgrößten Mitgliedsstaates, Ludwig II. für eine jährliche Pension von 100.000 Talern dem bisherigen sogenannten Präsidium, sprich Wilhelm I., die Kaiserkrone angeboten hatte, konnte am 18. Januar 1871 der König von Preußen zum Deutschen Kaiser proklamiert werden. Dieser Akt im Spiegelsaal von Versailles versinnbildlichte wie kein anderer für das Gros der (Reichs-)Deutschen die Erfüllung des nationalen Traums von der Deutschen Einheit. D. Beutler
Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles: Erst die Niederlage des napoleonischen Zweiten Kaiserreiches machte diese tiefe Zäsur in der preußischen wie deutschen Geschichte möglich. /p>
Was für den Kriegsausgang von Bedeutung war
Frankreichs Niederlage hat zweifellos auch militärische Gründe. Wie schon 1866 verlief auch diesmal die preußische Mobilisierung - ganz im Gegensatz zur französischen - schnell und reibungslos, so daß die Preußen schnell das Heft des Handelns in die Hand bekamen. Trotz diverser Disziplinlosigkeiten auf preußischer Seite kam doch in diesem Einigungskrieg die Genialität des Generalstabschefs Helmuth v. Moltke in einer Weise zur Geltung wie in keinem der vorausgegangenen. Hier konnte er in den Schlachten von Sedan und Metz sein Konzept der Umfassungs- und Vernichtungsschlacht anders als bei Königgrätz, wo den Österreichern das Entweichen aus der Umklammerung gelungen war, vollständig umsetzen. Hinzu kam eine hohe Motivation bei den deutschen Truppen, und damit kommen wir zu den politischen Gründen für den Kriegsausgang.
Zu seiner Überraschung mußte das Empire feststellen, daß es nicht nur Preußen und dem Norddeutschen Bund, sondern der geballten Kraft des späteren Deutschen Reiches - mit Ausnahme des damals noch zu Frankreich gehörenden Elsaß-Lothringen - gegenüberstand. Eine ungeahnte nationale Begeisterung und Solidarität hatte das Land erfaßt, die es den süddeutschen Regierungen unmöglich machte, den Bündnisfall nicht als gegeben anzusehen.
Dazu hatte das Kaiserreich das Seinige beigetragen. Es hatte Preußen den Krieg erklärt, und nicht nur in Deutschland wurden eher die Forderungen des französischen Botschafters Benedetti als die Reaktion des preußischen Königs Wilhelm I. hierauf als Zumutung und Provokation betrachtet.
Neben diesen generellen gab es für die einzelnen Großmächte noch spezielle Gründe, Frankreich nicht beizuspringen. Einige seien hier genannt. Das Königreich Italien wünschte sich den vom katholischen Empire geschützten Kirchenstaat einzuverleiben. Für die Habsburgermonarchie bot der Deutsch-Französische Krieg zwar zumindest theoretisch die Chance einer Revanche für 1866, doch hatte der antifranzösische Zorn der deutschen Nationalbewegung nicht an den Grenzen Bayerns, Sachsens und Preußens haltgemacht, sondern auch große Teile der deutschen Volksgruppe in der Habsburger Doppelmonarchie erfaßt. Auch unter den Ungarn stieß die Idee eines Kampfes gegen Preußen auf Widerstand, denn immerhin hatte deren Sieg über Österreich den Magyaren erst mit dem sogenannten Ausgleich von 1867, der in der neuen Bezeichnung Österreich-Ungarn signifikant zum Ausdruck kam, die Gleichberechtigung mit den Deutschen in der Donaumonarchie gebracht. Ihnen war die deutsche Frage ziemlich egal. Sie sorgten nun dafür, daß sich das Habsburgerreich vermehrt ihrem Interessengebiet, nämlich dem Balkan, zuwandt. Das wiederum trieb Rußland in die Arme Preußens. Davon abgesehen war das Zarenreich während des Deutsch-Französischen Krieges weitgehend damit beschäftigt, in dessen weltpolitischem Windschatten und mit Preußens Unterstützung den Ausgang des verlorenen Krimkriegs zu revidieren und die Souveränität über das Schwarze Meer wiederherzustellen. Großbritannien schließlich wurde von einem Eingreifen auf seiten Frankreichs nicht zuletzt dadurch abgehalten, daß Bismarck in der Woche nach der französischen Kriegserklärung in der Londoner Times den oben erwähnten französischen Vertragsentwurf bezüglich einer Kompensation durch Luxemburg und Belgien veröffentlichte. Daß die seefahrende Großmacht Frankreich versucht hatte, in den Besitz der der Themsemündung gegenüberliegenden Kanalküste zu gelangen, kostete Napoleon viele Sympathien auf der Insel. Auch in diesem Detail zeigt sich Bismarcks außenpolitische Größe, an deren Fehlen sein Land seit 1890 so sehr leidet.
|
|