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Otto von Bismarck von der Historiographie wiederentdeckt

 
     
 
Otto von Bismarck, dessen Todestag sich am 30 Juli zum einhundertsten Male jährt, gehört zu den größten Gestalten des vergangenen Jahrhunderts. Schon zu Lebzeiten wurde der "Eiserne Kanzler" geliebt und gehaßt, bewundert und gefürchtet wie nur wenige seiner Zeitgenossen. Sein Lebenswerk, die Erfüllung des deutschen Strebens nach nationaler Einheit unter preußischer Führung, hat die europäische Geschichte
nachhaltig beeinflußt. Diese Tat ist, ebenso wie seine gesamte Politik, bis heute Gegenstand historischer Erörterungen und Kontroversen. Heutzutage gilt Bismarck als "umstritten", ein Begriff, der Distanz zur Politik von "Blut und Eisen" des Fürsten signalisieren soll. Dabei wird verkannt, daß sich die damalige deutsche Politik, die sich im Wesen nicht von der anderer europäischer Staaten unterschied, nicht in unsere heutigen moralischen Kategorien einordnen läßt. Kriege zu führen, um politische Ziele zu erreichen, gilt erst seit dem verheerenden Zweiten Weltkrieg als verwerflich, und dieses Urteil hat auch erst in den vergangenen Jahrzehnten Eingang in die Werteordnung der zivilisierten Welt gefunden. Bismarcks Wirken heute daran zu messen, ist also unhistorisch und polemisch. Das Jubiläumsjahr sollte Anlaß für eine sachliche und die epochenimmanenten Maßstäbe berücksichtigende Bewertung Bismarcks sein.

An neuer Literatur über den Reichsgründer herrscht tatsächlich kein Mangel. Herausragend ist zweifellos die zweibändige Biographie des amerikanischen Historikers Otto Pflanze. Der große Wert dieses Werkes liegt in der wissenschaftlichen Zuverlässigkeit und der Genauigkeit, mit der der Autor die Geschichte der Ära Bismarck in deutscher und europäischer Perspektive, in innen- und außenpolitischer Hinsicht sowie unter wirtschafts-, sozial- und geisteswissenschaftlichen Aspekten beschreibt. Er kommt zu dem Schluß, daß Bismarcks Wirken für Deutschland und Europa unentbehrlich gewesen sei. Kritisch merkt er an, daß Bismarck nicht immer die Fähigkeit besessen habe, die inneren Angelegenheiten des Reiches zu ordnen, und daß der Kanzler immer wieder versucht habe, innenpolitische Probleme durch die Konstruktion außenpolitischer Notwendigkeiten zu beseitigen. Bei aller kritischen Wertschätzung, die Pflanze für seinen Protagonisten empfindet, verliert er jedoch nicht die Distanz zu ihm, so daß er auch die problematischen Aspekte von Bismarcks Herrschaft schildert. Pflanzes Buch zeichnet sich durch große darstellerische Kraft, inhaltliche Breite und interpretatorische Tiefe aus. Diese zweibändige Biographie wird zweifellos zu den Standardwerken über Bismarck gehören.

Doch auch Pflanzes Buch muß sich, wie jede Bismarck-Biographie, an dem Werk "Bismarck. Der weiße Revolutionär" des Historikers Lothar Gall messen lassen, das in erster Auflage bereits 1980 erschienen ist. Mit dem Wort vom "weißen Revolutionär" hatte der ehemalige amerikanische Außenminister Henry Kissinger das Diktum des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. über den "roten Reaktionär" abgewandelt. Der aus Ostdeutschland stammende Lothar Gall, ordentlicher Professor für Mittlere und Neuere Geschichte in Frankfurt am Main, geht mit seiner Biographie weit über die engen Grenzen einer reinen Lebensbeschreibung hinaus. So setzt er den historischen Rahmen für Bismarcks Handeln, indem er sich mit den Grundproblemen der deutschen und der europäischen Geschichte beschäftigt, die sich in der Behandlung von Bismarcks Person und Werk verdichten lassen. Der Autor gibt in wissenschaftlich überzeugender Weise Antworten auf die Fragen nach dem eigentlichen persönlichen Werk Bismarcks und nach den historischen Zäsuren, die er durch seine Politik herbeigeführt hat. Gall sieht in Bismarcks Naturalismus, der sich gelegentlich bis zum Zynismus gesteigert habe, einen wesentlichen Charakterzug, der das Signum des Politikers durch die Jahrzehnte seiner öffentlichen Wirksamkeit geblieben sei. Lothar Galls Werk ist eine hervorragende historiographische Leistung, die weiterhin bestimmend in der Bismarck-Forschung sein wird.

Den Leser wird verblüffen, daß sich Lothar Gall auch an der Herstellung eines Bildbandes über Bismarck beteiligt hat. Gemeinsam mit dem Fotografen Karl-Heinz Jürgens hat er jetzt das Buch "Bismarck. Lebensbilder" herausgegeben. Dieses Buch vermittelt ein sehr lebendiges und durch die zahlreichen Abbildungen mit ihrer fotografischen Dichte auch ein einzigartiges Portrait des Reichskanzlers. In einem Essay entwirft Lothar Gall ein nuanciertes Bild Bismarcks und der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Diese Bestandsaufnahme und Würdigung von Bismarcks Leben und Werk macht deutlich, daß auch liberales Gedankengut Bismarcks Handeln bestimmte, daß er auch bemüht war, Alternativen zu seinem Tun zu finden, und daß er in der Lage war, politische, soziale und wirtschaftliche Gegebenheiten und Entwicklungen richtig einzuschätzen. Galls biographische Skizze wird durch die hervorragenden Illustrationen ergänzt, die vielfach in Farbe sind. Orte, Personen und Abbildungen von historischen Ereignissen werden ergänzt durch gegenwärtige Farbaufnahmen von hoher Qualität. Dieses Buch wird eine Bereicherung für jeden sein, der sich für Bismarck und seine Zeit interessiert.

Wer nicht zu einer umfangreichen Biographie greifen will, sondern einen schnellen Zugang zu Bismarck sucht, wird die biographische Studie von Theo Schwarzmüller zu schätzen wissen. In zehn kurzen und übersichtlichen Kapiteln schildert der junge Mannheimer Historiker Bismarcks Lebensweg von der preußischen Herkunft bis zum Ende in Friedrichsruh. Mit neuen Erkenntnissen vermag Schwarzmüller zwar nicht aufzuwarten, doch vermittelt er knapp, prägnant und leicht lesbar die wichtigsten Fakten zu Bismarcks Vita und seiner Zeit. Das kleine Büchlein ist durchgehend viefarbig illustriert und verfügt über eine Zeittafel und eine Auswahlbiographie.

Auch Otto von Bismarck ist nicht nur seinen Staatsgeschäften nachgegangen, sondern er hat auch ein ausgefülltes Privatleben gehabt. Dieses ist Gegenstand des Buches von Waltraut Engelberg, die schon 1990 ein Buch mit dem Titel "Otto und Johanna von Bismarck" veröffentlicht hat, und die zu den profunden Kennern der Materie gehört. Liebevoll und zugleich mit kritischer Distanz fügt sie die verschiedenen Bilder und Facetten dieses Lebens zu einem vielgestaltigen Lebensbericht zusammen. Das Buch berichtet von den prägenden Erlebnissen der Kindheit und Jugend, von der ersten Liebe und von der langen Ehe zwischen der häuslichen Johanna von Puttkammer und dem weltoffenen Otto von Bismarck. Der Leser erfährt, wie der Fürst um die vor ihm Dahingeschiedene trauert, wie er zur Jagd und den Tieren steht und wie er seinen Lebensabend in dem von ihm geliebten Sachsenwald genießt. Waltraut Engelberg ist ein einfühlsames Portrait eines Mannes gelungen, der äußerste Unnachgiebigkeit und liebevolle Fürsorglichkeit in sich vereinte. So vermittelt sie dem Leser viele unbekannte Seiten dieses Lebens.

Auf Otto von Bismarcks Spuren" hat sich der Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in Hamburg Eckardt Opitz begeben. Ähnlich wie sein Fachkollege Lothar Gall arbeitete auch er für diesesen Band mit einem Fotografen zusammen. Opitz zeichnet in diesem Buch den Lebensweg und die Lebensstationen Bismarcks nach, von der Herkunft aus einem altmärkischen Junkergeschlecht über die Stationen in Pommern, Paris und am Zarenhof bis nach Berlin und Friedrichsruh. Der Fotograf Reinhard Scheiblich ist den Spuren Bismarcks fotografisch gefolgt und hat die Schauplätze seines Wirkens in eindrucksvollen Farbbildern festgehalten, die mit dem Text des Historikers eine gelungene Verbindung eingehen.

 

 

Otto Pflanze: Bismarck. Band 1: Der Reichsgründer, C. H. Beck, München 1997, 906 Seiten, 78,00 DM

 

Otto Pflanze: Bismarck. Teil 2: Der Reichskanzler, C. H. Beck, München 1998, 808 Seiten, 78,00 DM

 

Lothar Gall: Bismarck. Der weiße Revolutionär, Ullstein, Berlin 1997, 992 Seiten, 34,90 DM

 

Lothar Gall, Karl-Heinz Jürgens: Bismarck. Lebensbilder, Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1998, 224 Seiten, 39,80

 

Theo Schwarzmüller: Otto von Bismarck, dtv, München 1998, 159 Seiten, 14,90 DM

 

Waltraut Engelberg: Das private Leben der Bismarcks, Siedler, Berlin 1998, 208 Seiten, 34,90 DM

 

Eckardt Opitz, Reinhard Scheiblich: Auf Otto von Bismarcks Spuren, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 1997, 96 Seiten, 19,80 DM

 

 
     
     
 
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