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Die Menschen kommen durch nichts den Göttern näher, als wenn sie Menschen glücklich machen", schrieb Erich Mendelsohn 1907 unter eine Skizze der sogenannten "Verlobungsquelle" im Allensteiner Stadtwald. Zweifellos hat der Architekt Mendelsohn mit seinem späteren Wirken ein gut Teil zu diesem Glück der Menschen beigetragen. Die für ihn so typischen Bauten fanden - und finden sich in Berlin und Leningrad, in Jerusalem und San Fran-cisco. Am bekanntesten mag der sogenannte "Einstein-Turm" in Potsdam sein, 1920/21 als Herberge für das Astrophysikalische Institut erbaut. In seiner östlichen Heimat, wo Erich Mendelsohn am 21. März 1887 in Allenstein das Licht der Welt erblickte, gab es allerdings nur vergleichbar wenige Beispiele aus seinem Schaffen: die jüdische Leichenhalle in Allenstein 1911/13, die Loge der Drei Erzväter in Tilsit 1925/26 (heute noch erhalten) und der jüdische Friedhof an der Steffeckstraße in Königsberg 1927/29. München und Berlin waren die ersten Stationen im Leben des jungen angehenden Architekten, der 1912 bei Theodor Fischer in München das Diplomexamen ablegte. 1910 hatte er in Königsberg die Cellistin Luise Maas kennengelernt, die er 1915 heiratete. Zwei Jahre später mußte er ins Feld und erlebte den Ersten Weltkrieg an der russischen und der französischen Front. Nach Ende des Krieges eröffnete er in Berlin ein eigenes Büro; eine bemerkenswerte Ausstellung bei Paul Cassirer erregte mit seinen Architekturskizzen im Herbst 1919 Aufsehen. Reisen führten den Ostdeutschland in den folgenden Jahren nach Holland, nach Palästina und Ägypten, in die USA und die UdSSR.
1933 emigrierte Erich Mendelsohn nach England; 1934 bis 1941 hatte er ein eigenes Büro in Jerusalem. Private und öffentliche Bauten entstanden in dieser Zeit. 1941 ging er in die USA, doch erst gegen Ende des Zweiten Weltkrieges konnte er in San Francisco ein eigenes Büro eröffnen. - Vor nunmehr 50 Jahren, am 15. September 1953, schloß er dort für immer seine Augen ...
Beim Lesen seiner Briefe, die 1961/91 herausgegeben wurden, offenbart sich still und zurückhaltend ein feinsinniger Mensch, ein Poet geradezu. Immer wieder kommt er in diesen Briefen auch auf die Probleme, die Vorstellungen eines Architekten zu sprechen. Mitreißend seine Begeisterung, wenn er im Juni 1913 schreibt: "Überall Neues, neue Taten. Wie sollte man müßig zusehen können und nicht mittun wollen mit jeder Fiber ..." Über seine Arbeitsweise schrieb Mendelsohn 1928: "Ich sehe den Bauplatz, die Fläche, den Raum: meine Fläche, meinen Raum, von denen ich erregt Besitz ergreife. Meist schon in diesem Augenblick erscheint spontan die architektonische Idee. Ich fixiere sie als Skizze ... Diese erste Skizze hüte ich. Denn als Erlebnis, als Gesicht hat sie Realität, Plan und Aufbau zum architektonischen Organismus verdichtet. Ein Einfall, eine Schöpfung. - Alles weitere ist Arbeit ... Oft führt die Arbeit zu Umwegen ... Aber letzten Endes behält die erste Skizze ihr Recht ...."
Im gleichen Jahr wurde in Berlin der Neubau des Pelzhauses Herpich in der Leipziger Straße eröffnet. Er steht für "eine der feinsten Leistungen der zeitgenössischen Architektur", so Walter Riezler damals. Beeindruckend war hier vor allem die Lösung, die Mendelsohn für die Beleuchtung der Fassade fand, eine Folge von hellen und dunklen Streifen. Ebenfalls 1928 entstand das Kaufhaus Rudolf Petersdorff in Breslau, bei dem es dem Allensteiner gelang, die Beleuchtung noch entschiedener in die Architektur zu integrieren: "wie ein leuchtender Vorhang vom Himmel herab" (Mendelsohn). In dem von Dietrich Neumann bei Prestel herausgegebenen prachtvollen Band über "Architektur der Nacht" (238 Seiten, etwa 200 Abb., davon rund die Hälfte in Farbe, geb. mit Schutzumschlag, 59 Euro) werden diese Bauten des Allensteiners - neben vielen anderen Projekten im In- und Ausland von namhaften Architekten - beispielhaft für Deutschland vorgestellt.
Zwei Jahrzehnte später sah Mendelsohn seinen eigenen Beitrag zur Entwicklung der zeitgenössischen Architektur: "Als jemand, der einen großen Teil unseres Globus kennt, seine Zivilisa- tionen, seine Völker und - nur zu gut - seine sich immer wiederholenden Leiden, verlasse ich mich nicht auf die alltäglichen Ruhmesmeldungen. Ich glaube, daß die Geschichte selbst - und nur die Geschichte - das endgültige Urteil über alles fällt, was der Mensch tut." Nun, die Geschichte hat Erich Mendelsohn aus Allenstein als einen der ganz großen Architekten und kühnen Visionär gewertet.
Wie sehr ihn die Trennung vom Vaterland getroffen hat, erahnt man aus den Zeilen an seine Frau Luise vom 6. Oktober 1938: "Ich bin nirgends mehr glücklich und ohne das Glück mit Dir unglück-lich im Dunkel, aus dem ich komme und in das ich zu gehen habe. Wir haben nur Boden unter den Füßen, wenn wir bodenständig sind. Und das ist uns genommen."
Erich Mendelsohn erlag 1953 einem Krebsleiden. Bereits 1921 war ihm, dem Augenmenschen, ein Auge entfernt worden, da sich ein Karzinom gebildet hatte. Nach einer erneuten schweren Operation 1953 sah er seinem Tod "mit Ruhe entgegen" (an seinen Jugendfreund Du Vinage). In seinem letzten Brief an seine Frau Luise schrieb Erich Mendelsohn am 19. Juli 1953: "... Und ich bin tief enttäuscht, daß alle Arbeit und Mühe für die Jahre, die vielleicht noch vor mir liegen, keine Sicherheit geschaffen haben. Jahre, die wir in Vollendung eines Ideals bis zu Ende erfüllen wollten, eines Lebens, das sich organisch aus diesem Ziel ergab ..." Peter van Lohuizen
Kaufhaus Petersdorff in Breslau: "Wie ein leuchtender Vorhang vom Himmel herab"; 1928 von Erich Mendelsohn
Errichtet Erich Mendelsohn: Von Allenstein in die Welt |
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