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Aufgrund polnischer Überreaktionen beherrschte die Ausstellung "Erzwungene Wege" in Berlin von der "Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen" 2006 zeitweise die mediale Berichterstattung. "Ausgrenzung, Vertreibung, Völkermord - Genozid im 20. Jahrhundert" von Wolfgang Benz paßt thematisch dazu, doch in der Grundtendenz unterscheiden sich die Ausstellung und das Buch doch ziemlich. So geht der 1941 geborene Professor für Geschichte an der TU Berlin und Leiter des "Zentrums für Antisemitismus forschung" zwar auf verschiedene Vertreibungsverbrechen in verschiedenen Ländern ein, doch bei allem hat er einen deutlichen Deutschlandbezug, der meistens damit endet, daß eben die Deutschen überall ihre Finger mit drin hatten. Ob nun Armenier, Herero, Sinti und Roma, Volksdeutsche, Ostdeutsche und Juden; der Professor schildert kurz und bündig den Verlauf der jeweiligen Vertreibung und des häufig erfolgten Genozids und erwähnt dabei gleichzeitig, welche emotionalen Wallungen die Themen noch heute auslösen können. Leider scheint Benz ein zu kühler, von seiner Umwelt geprägter Wissenschaftler zu sein, als daß er sich weitergehend mit der Psyche der Betroffenen und der Aufgeregten auseinandersetzen würde. Für ein tieferes Verständnis der Materie wäre dies aber hilfreich gewesen.
Anhand der Judenpogrome in Rußland schildert der Autor eingangs das System der Aufhetzer und des ausführenden Pöbels nachvollziehbar. "Eine wesentliche Voraussetzung war im Russischen Reich gegeben, nämlich die Existenz unaufgeklärter Bevölkerungsschichten, die durch Gerüchte und schuldzuweisende schlichte Welterklärungen zu beeinflussen waren." Und auch auf Hitlers Methode geht er ein. "Hitlers Ansprache an die Generäle (1939) enthielt verräterische Sätze über die wahren Absichten des bevorstehenden Krieges, bei denen die Teilnahms- und Gedächtnislosigkeit der Weltöffentlichkeit bereits einkalkuliert war: ,Dschingis Chan hat Millionen Frauen und Kinder in den Tod gejagt , sagte Hitler, und: ,Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier? "
Bezüglich der Armenier kritisiert Wolfgang Benz zurecht einen Historiker, der vorschlug, diese Genoziddebatte zu beenden und Armenier und Türken das unter sich ausmachen zu lassen. Diese Idee sei, als wenn jemand vorschlüge, Holocaustleugner sollten gemeinsam mit den Opfern des Holocaust empirische Studien über den Völkermord an den Juden betreiben, so Benz.
Etwas mehr derartiges Einfühlungsvermögen wünscht sich der ostdeutsche Heimatvertriebene allerdings vergeblich. Hier zeigt Benz zwar sehr knapp die Sachlage auf, um dann jedoch im Großteil dieses Kapitels auf die vorhergegangene deutsche Schuld hinzuweisen. Aber nicht nur, daß die Vertreibung der Ostdeutschen als natürliche Strafe auf deutsche Verbrechen gedeutet wird, nein, er reduziert die Zahl der bei Flucht und Vertreibung ums Leben Gekommenen von offiziell zwei Millionen auf sage und schreibe 30000. Gerade mal ein Sechsundsechzigstel der Opfer läßt er also gelten. Würde er nur die noch lebenden Ostdeutschland nach den bei Flucht und Vertreibung ums Leben gekommenen Anverwandten und Bekannten fragen, würde er schon ein vielfaches davon belegen können, aber für den Historiker sind jene Brüder, Schwestern, Mütter, Väter, Großmütter und Großväter, die ihr Leben in den Wirren des Kriegsendes und danach verloren, offenbar nicht relevant. Damit erledigt sich jeglicher Kommentar bezüglich der wissenschaftlichen Bedeutung dieses Buches. Bel
Wolfgang Benz: "Ausgrenzung, Vertreibung, Völkermord - Genozid im 20. Jahrhundert", dtv, München 2006, broschiert, 186 Seiten, |
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