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Mantel des Schweigens

 
     
 
Gleich vorweg, dieser Roman hat kein Happy End! Grund hierfür mag wohl sein, daß die in den USA lebende französischstämmige Autorin Catherine Texier das Leben ihrer Urgroßmutter zur Vorlage ihres Romans "Victorine" genommen hat und das Leben als Vorlage leider nur selten ein Happy End vorgibt.

Victorine, geboren 1866, wird mit 16 Jahren die jüngste Lehrerin Frankreichs. Ihr Beruf bereitet dem jungen Mädchen Freude, und er bietet ihr eine für eine Frau des 19. Jahrhunderts ungewöhnliche Freiheit. Victorine genießt ihre Freiheit, doch als sie nach einer Affäre mit dem Kollegen Armand schwanger
wird, zwingen sie die damaligen Konventionen zu einer Ehe mit dem für seine vielen Liebschaften bekannten Lebemann. Die junge Frau fügt sich, fühlt sich aber als Mutter und Hausfrau unterfordert und wagt nach Jahren, gegen den Willen ihres Mannes, aber mit der Unterstützung ihres Vaters den Schritt zurück ins Berufsleben.

Nach außen hin scheint es sich bei den Texiers um eine glückliche Familie zu handeln, und auch wenn Armand bekanntermaßen immer mal wieder auf die "Jagd" geht, gilt er als treusorgender, wenn auch eben nicht als treuer Ehemann. Doch eines Tages verschwindet Victorine und taucht erst eineinhalb Jahre später wieder auf.

Was in diesen eineinhalb Jahren geschehen ist, versucht die Urenkelin nun zu rekonstruieren, wobei sie sich hierbei weitgehend auf ihre Phantasie verlassen muß, denn über die "Sünde" Victorines wurde in der Familie stets ein Mantel des Schweigens gehüllt. Einem Gerücht nach, sei sie aber mit einem Zollbeamten nach Indochina gegangen.

Dieses Gerücht nimmt Catherine Texier als Ausgangsbasis und entspinnt hieraus eine faszinierende Liebesgeschichte, die die Zerrissenheit einer für damalige Verhältnisse ungewöhnlich emanzipierten Frau zwischen großer Liebe, Abenteurertum, Pflicht und Mutterliebe aufzeigt. Eindringlich schildert die Autorin das Leben in Frankreich, gefangen in einer unbefriedigenden Ehe, aber auch das Leben in Indochina.

Schwer lastet die schwüle Hitze Hanois und Saigons über dem von Schuldgefühlen geplagten Gemüt Victorines. Mit ihren Augen sieht der Leser wie sich die aus der französischen Ferne schillernde Kolonie immer mehr entzaubert, die französischen Machthaber immer mehr als Schmarotzer denn als Heilsbringer entpuppen.

In den USA wurde "Victorine" mit "Madame Bovary" und Duras "Liebhaber" verglichen. Ein Vergleich, den Catherine Texier nicht zu scheuen braucht. Fritz Hegelmann

Catherine Texier: "Victorine", Luchterhand, München 2005, broschiert, 431 Seiten, 22,90 Euro
 
     
     
 
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