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Ist es Größenwahn, ausgeprägter Ehrgeiz, der Hunger nach Einfluß, oder sind es Visionen, die diesen Mann treiben? Der Mann, von dem die Rede ist, ist der französische Weltstar Gérard Depardieu. Er ist Mitproduzent des Vierteilers "Napoleon", der am 6., 8., 11. und 13. Januar im ZDF zu sehen ist. Aber um das Leben dieses einstigen Bezwingers halb Europas ansprechend zu erzählen, muß man vermutlich wie der erste Kaiser der Franzosen einen Hang zum Gigantismus haben, und den hat Depardieu zweifelsohne. Nach der "Graf von Monte Christo", "Balzac" und "Les Misérables" ist "Napoleon" nun die vierte große Fernsehproduktion, bei der Depardieu mitspielt und auch hinter den Kulissen die Fäden zieht.
Aber warum Napoleon? Die Aussicht, ein wichtiges Stück europäischer Geschichte professionell auf für alle zugängliche Fernsehbildschirme zu bannen, war ausschlaggebend. An Kosten und Aufwand schlägt dieses Projekt zweifellos alles in Europa bisher dagewesene. Aber ist das nicht angemessen hinsichtlich der Hauptfigur, um die es geht? Übertraf Napoleon nicht auch alles bisher in Europa dagewesene?
"Sein Leben war das Schreiten eines Halbgottes von Schlacht zu Schlacht und von Sieg zu Sieg", würdigte Goethe Napoleon noch Jahrzehnte nach seinem Ableben. Aus welchem Grund schrieb aber ein so gebildeter Mensch wie Goethe, nach all den Kriegen, die Napoleon über Europa gebracht hatte, so voller Hochachtung über den Kaiser? Im Namen Napoleons starben Hunderttausende von Soldaten. Er verleibte sich ganze Fürstentümer ein, setzte seine Familienmitglieder als Regenten ein und drückte den besetzten Regionen seine Vorstellungen vom Staatswesen auf. Durch Napoleons Feldzüge verloren Hundertausende von Familien ihre Väter und Söhne, und plündernde Soldaten zogen durch die Dörfer und Städte.
Trotz alledem bewunderte Goethe und mit ihm unzählige andere deutsche Intellektuelle Napoleons Leistungen. Die Soldaten Frankreichs folgten dem Korsen überall hin, egal ob in italienische Fürstentümer, deutsche Territorien, das rebellierende Spanien, in die Wüste Ägyptens, die eisigen Weiten Rußlands oder auf das Meer gegen Großbritannien, stets hatte Bonaparte seine Soldaten hinter sich. Und nicht nur sein Volk, sondern auch Bewohner anderer Länder schlugen sich auf die Seite des Usurpators.
Aber warum ließen sich diese Menschen von Napoleon letzt-endlich in den Untergang führen und warum wird er bis heute häufiger als großer Herrscher und Feldherr denn als Tyrann und Diktator gesehen?
"Napoleon gilt als eine der faszinierendsten Persönlichkeiten Europas, die zahllose Generationen in ihren Bann zog. Er war Soldat, Intellektueller und Visionär. Seine Vision hieß ein vereinigtes, freiheitliches und friedliches Europa. Und somit war er seiner Zeit voraus." Mit diesen Worten wirbt das ZDF für seine Verfilmung des Lebens von Napoleon und beantwortet damit die wichtigsten Fragen, warum es den Kult um diesen verhältnismäßig kleingewachsenen Mann gab und auch heute noch gibt.
Napoleon war unbestreitbar eine große Persönlichkeit. Freunde hatte er keine, wirklich nahe kam ihm niemand, aber vielleicht erhob ihn gerade diese Distanz zu einem "Halbgott". Seine Visionen verfolgte er ehrgeizig und überzeugte andere Menschen von seinen Ideen. Mit Napoleon verbanden viele "Freiheit". Und auch wenn er die Macht im Staate spätestens mit seiner Selbstkrönung zum Kaiser 1804 auf seine Person vereinte, so nahm ihm kaum jemand diese doch ziemlich absolutistisch anmutende Tat übel. Er war für Millionen von Menschen in Europa das Symbol für eine bessere Zukunft.
Und tatsächlich! Der von ihm erlassene Code civil sicherte die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz durch die Abschaffung der Standesvorrechte, durch die Garantie des Eigentums und durch Einschränkung obrigkeitlicher Willkür, und seine Reformen brachten Bewegung in die festgefahrenen, nicht mehr zeitgemäßen Abläufe. Er strukturierte Frankreich neu, die von ihm gegründete Bank von Frankreich verbesserte das Investitionsklima, und die Wirtschaft begann so zu florieren. Die mit Napoleon Sympathisierenden erhofften ähnliche Entwicklungen für sich nach einem Anschluß an Napoleons Einflußbereich.
Hier endete allerdings Napoleons Vorstellung vom einheitlichen Europa, denn nur französische Waren hatten es auf den ausländischen Märkten einfach, ausländische Waren jedoch wurden hoch verzollt. Seine Familie wurde auf ausländische Herrscherthrone gesetzt und regierte ähnlich raffgierig wie ihre Vorgänger. Demnach hatte auch Napoleons Freiheitsbegriff Grenzen.
Schon kurz nach Napoleons einsamem Tod auf St. Helena rankten sich die Legenden um ihn. Briefe von ihm wurden gesammelt, in Bücher zusammengefaßt und der durchaus interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Nachfrage war so groß, daß geschäftstüchtige Unternehmer ganze Service aus Porzellan oder für die einfache Bevölkerung aus Steingut mit Szenen aus dem Leben Napoleons entwarfen. Auch Kalender, Korkenzieher, Schuhlöffel, Tabakdosen, Taschenmesser, Tintenfässer und Uhren wurden mit dem Konterfei des großen Helden von Preußisch Eylau und Verlierer von Belle Alliance verziert. Es gab "Napoleon-Schokolade" und "Napoleon-Camembert". Noch heute ist das Angebot auf dem Buchmarkt an Werken zu dem berühmtesten aller Korsen sagenhaft groß und unüberschaubar. Die Liebschaften die ihm angedichtet werden, seine heldenhaften Taten und seine freiheitlichen Pläne werden hoch bejubelt.
Wer sich mit dem Kaiser, Feldherrn, Politiker und Privatmann Napoleon näher beschäftigen will, dem sei das handliche Taschenbuch von dtv zu empfehlen. Der Autor Eckhart Kleßmann befaßt sich im ersten Teil des Buches mit dem Lebenslauf und im zweiten kritisch mit der Person Napoleons. Auch merkt er an, daß es um die Liebschaften des Kaisers nicht so leidenschaftlich bestellt gewesen sein könne, wie ihm gerne nachgesagt wird. Napoleon sei viel zu verschlossen gewesen, um sich der Liebe ganz hinzugeben. Häufig zitiert der Autor aus überlieferten Quellen, wodurch er die Lektüre erfreulich auflockert. Auch das Hörbuch "Wer war Napoleon" lockert mit seinen vielen Zitaten von Napoleon und seinen Zeitgenossen die historische Materie auf. In 79 Minuten werden auf der CD das Leben des Eroberers geschildert und seine Errungenschaften für seine Epoche und die Nachwelt differenziert aufgeführt. Ein äußerst lebendig gestaltetes Hörbuch, was den Kaiser der Franzosen nachdenklich behandelt.
Ob der hochdekorierte Held des französischen Films der Gegenwart, Depardieu, sein ehrgeizig gestecktes Ziel erreicht hat, wird die gesamte europäische Fernsehnation demnächst entscheiden können. Die Kosten für opulente Kostüme, Dreharbeiten in Frankreich, Österreich, Tschechien, Ungarn, Kanada, Marokko, auf St. Helena und erstmals in dem Schlafgemach von Marie Antoinettes in Versailles sowie für die vielen international anerkannten Schauspieler verheißen Besonderes. Christian Clavier, Isabella Rossellini, John Malkovich, Heino Ferch, Mavie Hörbiger, Anouk Aimée und Claudio Amendola und die vielen anderen Schauspieler können aber nur Gutes leisten, wenn das Drehbuch von Didier Decoin und der kanadische Regisseur Yves Simoneau ihnen die richtigen Vorlagen bieten. Man sollte allerdings stets bedenken, daß der Film hauptsächlich von Franzosen umgesetzt wurde, für die Bonaparte einen ganz anderen Stellenwert hat als für Deutsche. Immerhin: der Darsteller des Napoleon, Christian Clavier, will dem Publikum einen "facettenreichen Herrscher" zeigen, womit ein erster Schritt für eine realitätsnahe Verfilmung schon getan ist, denn nur wer erkennt, daß Napoleon nicht nur glorreicher Eroberer, großer Visionär und Intellektueller, sondern eben auch ein macht- besessener Tyrann war, kann ihn ansprechend darstellen.
Napoleon, Vierteiler, 1. Teil: Montag, 6. Januar; 2. Teil: Mittwoch, 8. Januar; 3. Teil: Sonnabend, 11. Januar; 4. Teil: Montag, 13. Januar, jeweils 20.15 Uhr im ZDF.
Eckart Kleßmann: "Napoleon", dtv, München 2002, 162 Seiten, Taschenbuch, 9 Euro
"Wer war ... Napoleon", Hörbuch, Hörarchiv 2002, 79 Minuten, 12,50 Euro
"Napoleon Bonaparte - Zar Alexander I.", Ausstellung bis zum 2. März 2003 im Roemer- und Pelizaseus-Museum in Hildesheim
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