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Im letzten Teil dieses Beitrags, der auf einem Festvortrag zum zehnten Jahrestag der deutschen Einheit basiert, veranstaltet von der "Stimme der Mehrheit", dem "Freiheitlichen Akademikerbund" und dem "Neuen Club" in Salzburg, geht General a. D. Gerd Schultze-Rhonhof auf die unterschiedlichen Auffassungen zur Frage "Bundesstaat oder Staatenbund?" ein und kommt zu dem Schluß, daß Europa nur auf dem Fundament stabiler Nationen existieren kann.
Wollen wir Deutschland in Europa aufgehen lassen wie ein Stück Zucker im Tee? Für viele Menschen in unserem Land ist Europa die Ziel- und Wunschvorstellung einer die Nachbarnationen und uns überwölbenden Gemeinschaft in einer Union der Völker Europas. Uns Deutschen ist klar, daß wir unsere Vorstellungen von einem Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand offensichtlich nur in Gemeinsamkeit und Verbundenheit mit unseren europäischen Nachbarn verwirklichen können.
Diesem Wunsch vieler Deutscher entspricht die Präambel des EU-Vertrages von Maastricht mit ihrer allerdings sehr ungenauen Vision und Formulierung von einer "immer engeren Union der Völker Europas". Dieser Wortlaut läßt offen, ob unser gemeinsames Europa von morgen ein Bündnis souveräner Staaten sein soll oder eine Föderation, ein Bundesstaat oder ein Zentralstaat.
"Immer engere Union" das drückt einen fortschreitenden Prozeß aus. "Immer" bedeutet nie endend, und "enger" heißt sich weiter zusammenschließend.
Nach diesem Wortlaut im Maastricht-Vertrag kann man vermuten, daß der Einigungsprozeß zum Schluß in die engste mögliche Verbindung der europäischen Staaten einmündet in einen gemeinsamen Staat. Wollen wir das? Ich muß das Wort "wir" in dieser Frage erläutern. Wer sind wir? In diesem Falle sind "wir" alle Beteiligten am Vereinigungsprozeß; also alle Völker, die sich hier zusammenschließen wollen. Dies ist wichtig festzuhalten. Was wir wollen, bestimmt sich in Europa nicht aus deutscher Sicht allein; auch wenn Alt-Bundeskanzler Dr. Kohl offensichtlich geglaubt hat, die anderen Völker würden sich irgendwann aus späterer Einsicht der deutschen Perspektive vom gemeinsamen Europa anschließen.
Doch die Konferenz von Amsterdam 1997 und die europaweite Reaktion auf den Vortrag unseres Außenministers Fischer zur "Europäischen Finalität" in diesem Jahr zeigen sehr deutlich, daß die Ziel- und Wunschvorstellungen nicht harmonisch zueinander passen.
Wenn man auf die Verschiedenartigkeit der Verfassungstraditionen und Geschichtserfahrungen allein der Briten, der Franzosen und der Deutschen schaut, wird die Unterschiedlichkeit der Wunschvorstellungen vielleicht verständlich. Unsere Auffassungen über Föderation, Nation, Nationalstaat und Souveränität passen kaum zusammen.
England und Frankreich haben sich früh zu zentralistisch regierten Staaten entwickelt. Sie kennen keinen föderalen Aufbau ihrer Staatsstrukturen und deshalb in ihren Parlamenten auch keine Länderkammern. Beide Länder verfügen daher über keinerlei Erfahrungen mit einer föderalen Ordnung und zeigen deshalb auch keine Neigung, die Entwicklung Europas zu einer Föderation zu akzeptieren. Deutschland dagegen bestand über die längste Zeit seiner Geschichte aus Bundesfürstentümern und reichsfreien Städten. Auch in der Moderne ist die Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Sichtbarer Ausdruck unserer heutigen Föderation ist der Bundesrat als Länderkammer. Deutschland hat also eine reiche und größtenteils auch positive Erfahrung mit dieser dezentralen Aufteilung von Macht und Verantwortung, von Aufgaben und Befugnissen. Wir haben im Gegensatz zu Frankreich und Großbritannien eine sehr alte föderative Tradition.
Ein weiterer Unterschied besteht in unseren Einstellungen zu Nation und Souveränität. In Großbritannien dreht sich die Verfassungslehre um das Volk um die "Nation" und seine Souveränität. Die Souveränität der Nation nach innen und nach außen ist das leitende Prinzip. Der tiefverwurzelte Glaube der Briten an ihre unveräußerlichen Rechte, an die Freiheit und die Souveränität ihrer Nation läßt sie Distanz zu allem halten, was sie als Fremdbestimmung empfinden könnten.
Auch Frankreich besitzt eine Tradition der Nation und der nationalen Souveränität. In Frankreich stellt die Souveränität ein zentrales Element der Verfassung und des politischen Lebens dar. Schon die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 spricht von der nationalen Souveränität. Auch in der Präambel der Verfassung der V. Republik bekundet das französische Volk seine besondere Verbundenheit mit der nationalen Souveränität, die als Legitimationsgrundlage staatlicher Macht begriffen wird. Insofern besteht für die Franzosen ein Konflikt zwischen europäischer Integration und nationaler Unabhängigkeit. In Deutschland hingegen ist die Souveränität nicht einmal ein eigenes Verfassungsziel.
Der britische und der französische Glaube an die eigene Souveränität und an die eigene Nation und ihren Nationalstaat tendiert eher zu einem europäischen Staatenbund, der deutsche Glaube an den Föderalismus eher zum europäischen Bundesstaat.
Ich will diesen Vergleich der Länder mit ein paar Zitaten aus England, aus Frankreich und aus der EU illustrieren.
Der britische Premier Blair sagte im Mai vorigen Jahres (1999), als er den Karlspreis der Stadt Aachen verliehen bekam, in seiner Dankesrede: "Wir sollten die grundlegende Debatte über den europäischen Superstaat zur Seite legen ... Niemand, den ich kenne, möchte so etwas wie aufgeblasene Vereinigte Staaten von Europa ... Leute, die glauben, daß Franzosen, Deutsche, Spanier und Italiener zum Beispiel kein klares Gespür für ihre nationale Geschlossenheit hätten, verstehen wenig von diesen Völkern. Wir sind stolze Nationen und wir arbeiten zusammen."
Der französische Präsident Chirac im März 1996: "Die EU ist eine Konstruktion ganz eigener Art, die weder auf einem föderalistischen Modell beruht noch eine bloße Freihandelszone ist ... Europa muß die Souveränität seiner Staaten respektieren."
Der französische Innenminister Chevènement im Mai 1998: "Die Nation ist nicht nur die zentrale Idee unserer neuzeitlichen Geschichte. Sie bestimmt auch unsere Zukunft. Der größte Dienst, den Deutschland und Frankreich Europa und der Welt leisten können, besteht darin, jeweils äußerst deutsch und äußerst französisch zu sein."
Nun eine Stimme aus dem Herzen der EU. Der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, äußerte sich im Februar vorigen Jahres (1999) zur Zukunft der Union: "Eine europäische Verfassung", so sagte er, "suggeriert, es sei ein europäischer Staat vonnöten. Ich glaube, daß ist weder möglich noch erstrebenswert. Ich möchte an eine europäische Föderation von Nationalstaaten erinnern, die ich bereits vor drei Jahren vorgeschlagen habe. Nationalstaaten, weil ich glaube, daß sie notwendig sind, um die Zukunft unserer Nationen zu sichern und um ein staatsbürgerliches Bewußtsein zu stärken."
Deutlicher und direkter als auf diese Weise können führende europäische Politiker uns Deutschen kaum noch sagen, was sie vom "deutschen Traum" von der Überwindung der Nation und des Nationalstaates halten nämlich nichts.
Dr. Kohl wollte eine politische Union Europas aus dem Nachlaß der europäischen Nationalstaaten bauen. Mitterrand und Chirac, Major und Blair sind ihm dabei auf den Konferenzen von Maastricht und Amsterdam nicht gefolgt. In Kürze werden wir den dritten Anlauf der Europäer auf der Konferenz von Nizza miterleben.
Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat bereits zwei Urteile zur Frage "Nation und Europa" gesprochen. Im Urteil vom 12. Oktober 1993 hat der Zweite Senat festgestellt: "Der Unionsvertrag begründet einen Staatenverbund zur Verwirklichung einer immer engeren Union der staatlich organisierten Völker Europas, keinen sich auf ein europäisches Staatsvolk stützenden Staat."
An späterer Stelle heißt es im gleichen Urteil: "Der Ausdehnung der Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Gemeinschaften sind vom demokratischen Prinzip her Grenzen gesetzt. Dem Deutschen Bundestag müssen Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben."
In einem zweiten Urteil in gleicher Sache hat das BVerfG am 31. Mai 1995 diese Auffassung noch einmal bestätigt. Dort heißt es, daß die EU ein "Verbund souveräner Mitgliedsstaaten" sei und daß es "kein europäisches Staatsvolk" gebe.
In den zwei zitierten Urteilen stecken mehrere für uns Deutsche bindende Feststellungen: Erstens: Wir sind und bleiben eine deutsche Nation, weil es kein europäisches Staatsvolk gibt. Zweitens: Die europäischen Staaten sind und bleiben souverän. Und drittens: Das Europäische Parlament darf den Deutschen Bundestag nicht ersetzen. Das BVerfG stellt damit im Grundsatz fest, daß sich die Demokratie nur im Rahmen durchschaubarer Gemeinschaft und Strukturen verwirklichen läßt. Nationen verkörpern in diesem Sinne in der Regel durchschaubare Gemeinschaften, in denen sich die Bevölke-rung eine quali-fizierte Mei-nung zum politischen Geschehen bilden und über Wahlen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte nehmen kann.
Hier hat das Bundesverfassungsgericht den Punkt markiert, von dem ab zwei Wertvorstellungen nicht mehr in Einklang zu halten sind. Es sind dies die Werte der Zusammengehörigkeit von Menschen in einem Staate, dem sie gemeinsam angehören möchten, und der Wert der Selbstbestimmung in der Demokratie. Bei der Reichsgründung 1871 und bei der Wiedervereinigung 1990 paßten beide Wertvorstellungen noch gut zusammen. Bei der Vereinigung der Staaten Europas zu einem Staat und sei es nur ein Bundesstaat werden Selbstbestimmung und Demokratie in einem Maße außer Kraft gesetzt, daß ich persönlich den Bundesstaat für eine Fehlentwicklung halte. Was mich dabei so ruhig schlafen läßt, ist, daß Briten und Franzosen uns andere Europäer in ihrem eigenen Interesse vor dieser Fehlentwicklung schützen werden.
Die Europäische Union ist ein Staatenbund, in dem die Bindungen mit Sicherheit noch enger werden. Doch dieser Staatenbund wird sich aus Nationen und Nationalstaaten zusammensetzen.
Der europäische Staatenbund ist ein Bund kooperierender und konkurrierender Nationen, und er wird es bleiben. Deshalb macht es auch Sinn, an die eigene Nation zu glauben und sich für ihre Zukunft einzusetzen, damit das zusammenwachsende Europa auf einem Fundament gesunder Nationen und ihrer Staaten wachsen kann.
Und darum war die Wiedervereinigung der Nation ein eigenständiges Ziel der Deutschen und nicht nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die "Vereinigten Staaten von Europa".
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