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          Schwarzbücher haben Konjunktur. Nach dem Schwarzbuch des Kommunismus     von Stéphane Courtois und dem neu aufgelegten Schwarzbuch der Vertreibung von Heinz     Nawratil nun "Das Schwarzbuch des KGB", wie der Titel der deutschen     Übersetzung, anscheinend verkaufsfördernd, heißt. 
       Die Unruhe, die das Buch nicht nur unter ehemaligen sowjetischen Spion   en ausgelöst     haben soll, ist beträchtlich. Auch mancher westliche Nachrichtenmann ist über den Inhalt     des Buches ins Schwitzen geraten. Natürlich ist das Manuskript schon vor seiner     Veröffentlichung von allen wichtigen westlichen Geheimdiensten "abgesegnet"     worden. Das heißt, es sind Klarnamen im Buch durch Decknamen ersetzt. 
       Zunächst auf satte zwei Bände konzipiert, ist nun zeitgleich in Großbritannien,     Deutschland und den USA eine vor allem auf Druck des britischen Geheimdienstes SIS     gekürzte und entschärfte Fassung auf den Markt gekommen. Auch der     Bundesnachrichtendienst, so hört man, habe diverse Änderungen vorgenommen. 
       Das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sollen das     Buch inzwischen auf unentdeckte deutsche Agenten überprüft haben. 
       Einige vom Autor Wassili Mitrochin, einem vormaligen KGB-Agenten, veröffentlichte     Dossiers betreffen die Moskauer Kontakte zu bekannten deutschen Politikern. Ebenfalls soll     die Identität mehrerer Spitzel in Staat und Wirtschaft geklärt werden. Es heißt, daß     29 Spione bei Siemens, Bayer, Dynamit Nobel und Thyssen plaziert worden sind. 
       Der frühere Bundeskanzler Willy Brandt soll, so Mitrochin, kein Agent des KGB gewesen     sein. Zwar habe er nach Beginn des Krieges zwischen Deutschland und der Sowjetunion den     Russen die Zusammenarbeit angeboten, doch als Inhaber einer kleinen     "Nachrichtenagentur" lieferte er Informationen auch an die Briten und     Amerikaner. Moskau etwa informierte er, daß die "Tirpitz" den Hafen Trondheim     verließ, um Schiffskonvois in der Arktis anzugreifen. Dafür habe er einmal, so     Mitrochin, von den Sowjets einen Betrag von 500 schwedischen Kronen erhalten. Mit dieser     inzwischen längst vernichteten Quittung habe das KGB später Brandt zu einer     Zusammenarbeit drängen und ihn zwingen wollen, einem Treffen mit Chruschtschow in Berlin     zuzustimmen. Brandt habe abgelehnt. 
       Auch bei ideologischen Fellow-travellers wie dem Korrespondenten der angesehenen     Nachrichtenagentur Reuters, John Peet, wurde versucht, sie für den KGB einzuspannen. In     Deutschland wurde er bekannt als Nazi-Jäger. Als sein Aufenthalt in Ost-Berlin publik     wurde, war er für die Sowjets unbrauchbar geworden. 
       Karl Wienand, wichtiger Vertrauter der Troika um Brandt, Schmidt und Wehner, sei auf     Drängen des Chefs der DDR Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), Markus Wolf, vom KGB     "abgegeben" worden und von der Stasi allein weiter- "betreut" worden.     Ebenfalls im KGB-Visier stand der erfolglose SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine, der die     Sowjets dadurch auf sich aufmerksam machte, daß er in den 80er Jahren sich als wütender     Gegner des Nato-Doppelbeschlusses profiliert hatte. Doch es bleiben Fragen. Wer ist der     altgediente KGB-Agent "Sergejew", der ein angesehener Bürgermeister in     Norddeutschland gewesen sein soll? Wie heißen die beiden Maulwürfe im westdeutschen     Geheimdienst, die für ihren Verrat mit hohen Sowjet-Auszeichnungen bedacht worden sind?     Wer ist der KGB-Agent "Mawr", ein "westdeutscher Filmemacher"? Wer war     der Agent "Kardinal", der von diesem Filmemacher an den KGB vermittelt wurde?     "Kardinal" soll zumindest in den 70er Jahren ein ausgesprochen einflußreiches     Mitglied in der SPD-Führung gewesen sein. Wer waren die zwei Agenten, die 1972 zur     Infiltration der CDU angeworben wurden? Einer der beiden, mit Decknamen     "Radist", war ein Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Der andere, der     Agent "Stolpen", sei ein "Berater der Partei" gewesen. Identifiziert     wurde angeblich laut "Focus" ein "führendes FDP-Mitglied" namens     "Mark". Hierbei soll es sich um Wolfgang Mischnick handeln, der wegen     angeblicher "kompromittierender Umstände", die mit seinem Kriegsdienst in der     Wehrmacht in Zusammenhang standen, 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone vom KGB     angeworben worden sein soll. In einer vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)     herbeigeführten Unterredung mit Mischnick habe der damalige BfV-Präsident Geiger um den     heißen Brei herumgeredet und sei nicht direkt auf die Vorwürfe zu sprechen gekommen.     Kontakte zum sowjetischen Geheimdienst seien erst im Jahre 1980 eingestellt worden. Laut     "Focus" weist Mischnick jede Spionagetätigkeit weit von sich.
       Aber auch Einflußnahmen des KGB aufgrund Überzeugung oder politischer Willfährigkeit     blieben laut Mitrochin nicht aus: So sollte Sebastian Haffner zu einem negativen Kommentar     über die Verleihung des Friedensnobelpreises an Andrej Sacharow in der Zeitschrift     "Stern" bewogen werden. Haffner hatte an Sacharow bereits kurz vorher scharfe     Kritik geübt. 
       Bereits 1998 stand Mitrochin den deutschen Behörden zur Seite, als er eine Intrige     gegen den Sicherheitschef des BND als gegenstandslos entlarven konnte. Es ist nur     natürlich, daß deutsche Leser sich zunächst auf die Kapitel des Buches stürzen, die     Deutschland und Mitteleuropa betreffen, doch auch Mitrochins Dossiers über andere     Weltgegenden sind von Interesse. Vieles davon, etwa wie die sowjetischen Geheimdienste     funktionierten, mußte der Leser bisher in teilweise entlegener Literatur nachlesen, wie     etwa in den Memoiren der Frau des langjährigen Komintern-Funktionärs Otto Kuusinen, den     Erinnerungen von Margarethe Buber-Neumann oder denen von Babette Groß, der Frau des     genialen KPD-Medienzaren Willi Münzenberg. Vieles war natürlich auch bekannt über die     Bücher von Stalins Privatsekretär oder dem Buch des NKWD-Agenten Walter Kriwitzki, das     1940 in Amsterdam erschien, kurz bevor dieser von Stalins Häschern ermordet wurde. 
       Die erste brauchbare Gesamtschau des KGB von innen bot 1974 das Buch des Amerikaners     John Barron ("KGB  The Secret Work of Soviet Secret Agents"), das auf     Informationen sowjetischer Überläufer und westlicher Nachrichtendienste beruhte. Die     Sowjetführung reagierte damals ausgesprochen empfindlich. 
       Seit den Zeiten von Glasnost und Perestrojka sind weitere lesbare Gesamtschauen der     KGB-Geschichte wie die von Oleg Gordievski ("KGB  Die Geschichte seiner     Auslandsoperationen von Lenin bis Gorbatschow", 1991) erschienen, die viel Licht in     eine damals noch weitgehend mysteriöse Geschichte bringen konnten. Das Werk Gordievskis     wurde damals ebenso wie das jetzt erschienene Buch Mitrochins in Zusammenarbeit mit     Christopher Andrew veröffentlicht, der als Experte für sowjetische     Geheimdienstgeschichte gilt.
       Ganz neu ist also das Sujet nicht, das Mitrochin bearbeitet. Es ist schade, daß er     sehr wenig über die Zeit vor 1945 berichtet, die für den Historiker besonders     interessant ist. Das Kapitel über Deutschland behandelt die Bundesrepublik Deutschland.     Es ist ein summarisches und dennoch sehr interessantes Kapitel, doch es steht nicht im     Mittelpunkt des Buches. Es ist atemberaubend, wie manchmal en passant Mitrochin mit     liebgewordenen Lügen gewisser Klientelen aufräumt. So ist es beispielsweise in     bestimmten linksliberalen Kreisen bis heute ein Kapitalverbrechen, wenn man die Spitzel,     die Stalin rund um Franklin D. Roosevelt plaziert hatte, als solche benennt. Noch vor zwei     Jahren konnte man etwa im Leitorgan der amerikanischen Ostküsten-Intelligenz, der     "New York Review of Books" lesen, daß Minister und enge Roosevelt-Berater wie     Alger Hiss oder Henry Dexter White vom US-Finanzmisterium niemals für den sowjetischen     Geheimdienst gearbeitet hätten. Mitrochin bezeichnet beide ausdrücklich als     Sowjet-Agenten. Bisher waren Bücher, die eben dies belegten, geflissentlich ignoriert     worden: Bis heute wird beispielsweise das Buch der österreichischen Ex-Kommunistin und     Ehefrau des führenden KPD-Mannes in den USA Gerhart Eisler, Hede Massing ("Die     große Täuschung  Geschichte einer Sowjetagentin", Freiburg 1967), von     interessierten Kreisen als Fälschung abgetan. 
       Ähnlich empfindlich reagieren heute manche etablierte bundesdeutschen Medien, wenn es     um die mögliche Demontierung von Polit-Denkmalen der Nachkriegszeit geht: "Man ahnt     die Absicht und ist verstimmt", meint etwa der linksliberale Berliner     "Tagesspiegel". Denn es kann ja bekanntlich nicht sein, was nicht sein darf. 
       Die Geschichte der geheimdienstlichen Einflußnahme Sowjetrußlands und der Sowjetunion     auf die deutsche Politik seit der Oktoberrevolution ist noch nicht geschrieben worden:     Vermutet wird bislang eine Tätigkeit des früheren Reichskanzlers Joseph Wirth oder des     SA-Chefs Ernst Röhm für den sowjetischen Geheimdienst. Auch einige führende Mitglieder     der USPD Anfang der 20er Jahre sollen für eine Zusammenarbeit mit den Sowjets mehr als     empfänglich gewesen sein. Die Sowjetbotschaft in Berlin war über die ganzen 20er Jahre     die Geheimdienstzentrale für Mitteleuropa. Viele bekannte Persönlichkeiten des deutschen     und europäischen öffentlichen Lebens gingen hier ein und aus. Wer von ihnen arbeitete     für die Sowjets? Mitrochins neues Buch bringt hier leider ebenfalls keine neuen     Erkenntnisse. 
       Auch für die beiden anderen Geheimdienste, den militärischen Dienst GRU und den     Spionagedienst der Kommunistischen Internationale, sind Enthüllungen über die     Beeinflussung deutscher Politik bislang nur sehr am Rande erwähnt. Besonders     aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang für die Zeit unmittelbar nach der     Oktoberrevolution etwa die Memoiren des USPD-Mannes Curt Geyer ("Die revolutionäre     Illusion", Stuttgart 1976). Das Archiv Mitrochins streift solche Themengebiete leider     kaum, wohl auch, weil Komintern-Sachen oft nicht in den Aufgabenbereich des     KGB-Vorgängers NKWD fielen. 
       Man kann jedoch sicher sein, daß, wenn eines Tages die genaue Geschichte über die     sowjetischen Spione und Einflußagenten in der Zeit zwischen 1917 und 1945 geschrieben     werden sollte, einiges auch in der allgemeinen deutschen Geschichtsschreibung wird     umgeschrieben werden müssen. 
       Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Zusammenhänge langsam und mit     jeder weiteren Veröffentlichung zunehmend klarer, auch wenn einstweilen die Nennung von     Klarnamen  aus welchen Gründen auch immer  unterbleibt. 
       Schließlich ist noch auf eine Besonderheit der Arbeit des KGB in Westdeutschland     hinzuweisen. Hier ergab sich nämlich eine für andere Länder untypische Zusammenarbeit     zwischen der Stasi und dem KGB. Die Bundesrepublik war der einzige westliche Staat, über     den Moskau von einem verbündeten Dienst  nämlich der Hauptverwaltung Aufklärung     (HVA) des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi)  sogar höherrangige     Geheiminformationen erhielt als vom KGB. 
       Zwar war die HVA des Markus Wolf in der Regel für die Auskundschaftung und     Anwerbungsversuche westdeutscher Politiker "zuständig", doch behielt sich der     KGB in der Regel vor, allerhöchste politische Chargen der Bundesrepublik selbst zu     übernehmen. Für die bislang wenig beachtete Arbeit der Stasi in Westdeutschland wird     hoffentlich die Arbeit von Hubertus Knabe ("Die unterwanderte Republik  Stasi     im Westen", Propyläen Verlag), die in wenigen Tagen erscheinen wird, etwas Licht ins     Dunkel bringen. 
       Das Buch Mitrochins enthält eine Fülle von bislang unbekannten Details. Es stellt     vieles klar, worüber man bisher im Zweifel war. Ein Ende der Forschung über dieses     Themengebiet ist allerdings noch lange nicht erreicht. Hier könnte nur der weitgehende     Einblick in das KGB-Archiv, das Archiv des Politbüros und der Komintern letzte Klarheit     über Sachverhalte schaffen, die die Historiker bis heute brennend interessieren würden. 
       Christopher Andrew / Wassili Mitrochin: Das Schwarzbuch des KGB. Moskaus Kampf gegen     den Westen, Propyläen Verlag, Berlin 1999, 848 Seiten, geb., 58 Mark
 
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