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Endlich lernt man ihn kennen, den James Bond der Amerikaner "im Herzen des Reiches" während des Zweiten Weltkrieges. Er hieß Fritz Kolbe und war, wie er selbst in einem Brief schrieb, "im Widerstand eine der führenden Kräfte". Dabei war er nicht mehr als ein subalterner Mitarbeiter im Auswärtigen Amt, in das er 1925 als "Konsulatsdiätar" eingetreten war, um bis zum Kriegsende aufzusteigen zum "Kanzler".
Ein französischer Journalist hat, wie er schreibt, den in Australien liegenden Nachlaß dieses "wichtigsten Spions" auswerten können - er bestand offenbar vornehmlich aus eigenen Aufzeichnungen des Fritz Kolbe.
Nun erfährt man, daß Kolbe, der politisch gar nicht so stark interessiert gewesen sei, alles in allem links eingestellt war und daher die National sozialisten nicht leiden konnte. Er sollte diplomatische Telegramme im Auswärtigen Amt vernichten. Das tat er aber nicht, sondern sammelte sie sorgsam in seinem Panzerschrank, um sie bei Kurierfahrten in die Schweiz 1943 dem amerikanischen Geheimdienst zu übergeben. Man liest, es seien insgesamt 1.600 Telegramme gewesen, an anderer Stelle heißt es gar 2.600. Er verriet angeblich den USA so viel, daß sie den Krieg eigentlich viel früher hätten gewinnen müssen. So verriet er den Standort des Führerhauptquartiers in Ostdeutschland, die Rückzugspläne der Wehrmacht im Osten und das Verschlüsselungssystem des Auswärtigen Amtes. Damit nicht genug: Er machte bei den Amerikanern Vorschläge, welche Industrieanlagen sie in Deutschland als nächste bombardieren sollten, ließ deutsche Agenten überall in der Welt auffliegen. Kolbe wußte alles, und so konnte er den Amerikanern auch beschreiben, wo die Abschußrampen der "Geheimraketen" standen. Aber das alles reichte ihm noch nicht in seiner "Widerstandstätigkeit". 1942 verbreitete er in Berlin selbstverfaßte Flugblätter gegen das nationalsozialistische Regime und plante ein Sprengstoffattentat auf eine Eisenbahnbrücke in Werder an der Havel. Im April 1944 "füllte ihn seine Rolle als Spion nicht mehr aus", wie sein Biograph schreibt. Er bot dem Residenten des US-Geheimdienstes in der Schweiz, Allen Dulles, an, er wolle in Deutschland eine "Volksmiliz" aus ehemaligen SPD-Mitgliedern gründen, die die Reichsregierung stürzen werde. Als er endlich zusammen mit den Amerikanern das Deutsche Reich besiegt hatte, übergab er ihnen eine Liste seiner Kollegen aus dem Auswärtigen Amt mit einer jeweiligen politischen Bewertung. Dafür erhielt er in Berlin eine Wohnung, viele Care-Pakete und ein Auto. Der CIA zahlte ihm eine Pension wie auch der deutsche Staat. Seine Bemühungen, in den Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik aufgenommen zu werden, scheiterten. 1971 starb er in der Schweiz. Sein Biograph bedauert, daß er in den Gedenkstätten des deutschen Widerstandes nicht gebührend gewürdigt wird, sondern in Deutschland als Landesverräter gilt.
Der Autor breitet am Rande all die Räuberpistolen aus, die man als strammer Antifaschist im Gepäck hat, so daß Adolf Hitler in Kissen und Vorhänge gebissen hat und daß im ganzen Jahr 1945 Todeskommandos des Werwolfes in Deutschland tätig waren. Er wußte beim Verfassen des Buches genau, was Kolbe spürte, dachte, vermutete und daß Kolbes Augen "vor Freude leuchteten über alliierte Erfolge". Ob das alles stimmt, das bleibt der Gutgläubigkeit der Leser überlassen. U. Meixner
Lucas Delattre: "Fritz Kolbe. Der wichtigste Spion des Zweiten Weltkrieges", Piper Verlag, München 2004, Abb., geb., 398 Seiten, 20,90 Euro
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