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Frankfurt-Oder Wenn Ziehkinder aus der Art schlagen

 
     
 
An der Europa-Universität Viadrina verweigern polnische Studenten den Gehorsam

Manchmal muß auch ein routinierter Berufsdiplomat sich auf seine erlernten Fähigkeiten besinnen und diplomatisch auftreten. Diese Erfahrungen mußte jetzt der US-amerikanische Botschafter John C. Kornblum
bei seinem Besuch an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder machen. Denn nach seinem Vortrag zum Thema "Die Vollendung Europas" vor Studenten und Wissenschaftlern, wurde der Amerikaner in scharfer Form von einigen polnischen Studenten angegangen.

Sie warfen dem Botschafter vor, daß das katholische Polen unter die Knute des gottlosen, von den USA geführten und weltweit dominierenden "Mammons gezwungen" werden solle. Einer der Hauptsprecher war ein junger Pole, der den Botschafter mit der Aussage empfing, daß mit Nato- und EU-Osterweiterung die polnische Landwirtschaft, die polnische Industrie und der polnische Boden an ausländisches Kapital verkauft werden würde. Dann wäre Polen nicht mehr in polnischer Hand, dann würde das gottlose amerikanische System in Polen Einzug halten, so der Student. Der amerikanische Botschafter sah sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert: Amerika sei nicht nur das Land der Millionäre, das Land von McDonalds und Mickey Mouse, es sei auch das Land der sexuellen Zügellosigkeit und des Verfalls. John Kornblum ließ zunächst einmal als erfahrener Diplomat die erste Welle des Unmuts über sich ergehen, bevor er höflich, aber bestimmt antwortete: Es gehe in den transatlantischen Beziehungen um die bewährten Werte von Freiheit, Demokratie und freien Märkten als Fundament offener, freier Gesellschaften. Dieser Wertekodex sei bislang der Garant für die Bewältigung der Herausforderungen in Europa gewesen, und er werde es auch in Zukunft sein, so John Kornblum. Mit der Osterweiterung werden diese liberalen amerikanischen Grundsätze auch in Polen gelten, kündigte Kornblum an und versicherte, womit er über die Sorgen der jungen Polen einfach hinwegging, daß die Nato-Osterweiterung 1999 ohne Wenn und Aber vollzogen werden wird.

Die in Europa verbreitete Einschätzung, daß sich die Amerikaner in absehbarer Zeit aus Europa zurückziehen wollen, bezeichnete Kornblum als völlig abwegig. Im Gegenteil, Kornblum versicherte: "Wir haben ein starkes Interesse an Europa. Unser Problem ist, zu wenig Europa, zu wenig Selbstbewußtsein in Europa." Die USA wünschten sich durchaus eine Stärkung der europäischen Institutionen, damit ein gemeinsames Handeln der USA und Europas möglich werde. Zuhörer bemängelten, daß Kornblum nicht von der Stärkung der europäischen Einigung sprach, sondern daß nur die Institutionen, mit denen die USA kooperieren wollen, gestärkt werden sollen.

Der junge Pole, der übrigens ein T-Shirt des polnischen Senders Radio Maria trug, der gegen die amerikanische Lebensweise in Europa massiv angeht, ist römisch-katholisch, aber wohl uneins mit dem Vatikan. Deutlich mehr zufrieden als der jener Pole war Kornblum (der ostdeutsche Vorfahren hat). Der Amerikaner, diplomatisch versiert, scherzte anschließend, daß er durch die Debatte etwas über die Stimmungen gelernt habe, denn die polnischen Studenten hätten Fragen gestellt, die so nie von Deutschen gekommen wären.

Aber auch deutsche Professoren haben etwas gelernt: wie stark das polnische Eigenständigkeitsgefühl ausgeprägt ist und unter polnischen Studenten an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder die prägende politische Hauptströmung darstellt. "Es ist schon erstaunlich, daß unsere gesamte europapolitische Orientierung an dieser Universität offenbar weitgehend erfolglos an den jungen Polen abgeprallt ist", bilanzierte ein wissenschaftlicher Mitarbeiter.

 

 
     
     
 
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