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Und nach der Explosion winkt das Paradies

 
     
 
Anläßlich des (offenbar islamistischen) Mega-Terroranschlags in Spanien wurde eine Tatsache auf erschreckende Weise deutlich: Die westlichen Gesellschaften und Staaten, die sich auf das neoliberalistische Prinzip gründen, daß "nicht sein kann, was nicht sein darf" (Christian Morgenstern), sind weder willens noch bereit, unangenehmen Dingen ins Auge zu sehen. Die Leichenteile der zerfetzten Opfer waren noch nicht eingesammelt, da suchte die konservative spanische Regierung aus wahltaktischen Gründen das Verbrechen herunterzuspielen. Sie sagte, es sei ja "nur" die baskische ETA gewesen - als ob in diesem Falle die Opfer weniger wert wären.

Fast zur gleichen Zeit setzte sich die Maschinerie der unvermeidlichen Talk-Shows auf den westlichen Kanälen in Bewegung. Die mit wenigen Ausnahmen (eine davon ist Peter Scholl-Latour) "abgehobenen" Diskutanten hatten hauptsächlich ein Rezept parat: Man müsse die "bösen" Extremisten und Fundamentalisten
von den "guten" und "vernünftigen" Moslems trennen und mit letzteren die ersteren bekämpfen. Wer aber so argumentiert, zeigt nur, daß er die eigentliche Problematik überhaupt nicht begriffen hat.

Die massive Einmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten und Kulturen kann die Probleme nur vergrößern. Sie kann sie niemals lösen. Es ist geradezu atemberaubend, mit welcher Naivität (gepaart mit vordergründiger, nicht durchdachter Machtpolitik, hauptsächlich um Erdölinteressen) die amerikanische Bush-Administration in ihr Irak-Abenteuer hineingestolpert ist. Dabei haben die Protagonisten dieses Unternehmens nicht einmal überzogen, daß es hier nicht allein um den Irak, um den Iran, um Syrien und andere potentielle "Schurkenstaaten" geht. Mit größter Selbstverständlichkeit wird proklamiert, daß der Irak nach Sturz und Gefangennahme Saddam Husseins nun baldmöglichst der Segnungen westlicher Demokratie teilhaftig werden solle. Niemand stellt die Frage, ob der Irak oder auch andere Gebiete der islamischen Welt für diese hauptsächlich anglo-amerikanische Form der Demokratie samt "Menschenrechten" (die es in der heutigen Form sogar in Westeuropa erst seit kurzer Zeit gibt) geeignet sind oder nicht. Immer wieder kommt einem dabei die Anekdote von einem Beduinenstamm in den Sinn. Da wurde gefragt, ob man die Demokratie auch in diesem Beduinenstamm einführen könne - und die Antwort lautete: "Im Prinzip - ja. Aber dann gibt es den Beduinenstamm nicht mehr."

Mit großer Selbstverständlichkeit gehen auch sogenannte westliche (amerikanische) "Experten" davon aus, daß alle Welt - darunter auch die islamische - die Vorherrschaft und alleinige Gültigkeit westlich-abendländischer Prinzipien anzuerkennen und sich ihnen zu unterwerfen habe. Dabei wird außer acht gelassen, daß die arabisch-islamischen Staaten nicht erst seit Beginn der Neuzeit mit der für sie geradezu mörderischen Überlegenheit westlicher Technik und Kriegführung konfrontiert sind.

Der Stachel sitzt in Wirklichkeit viel tiefer. Schon seit den Zeiten, als die Mauren aus Spanien vertrieben wurden, standen die damals hochentwickelten und "sofistizierten" Araber den im Grunde weitaus primitiveren Christen und deren Armeen gegenüber. Der Sieg der Christenheit über die Mauren war also ein Sieg der "Primitiven" über eine verfeinerte Zivilisation. Daß dieser Umstand durch eine raffinierte westliche Gegenpropaganda überlagert wurde, ist vielen "Westlern" bis heute nicht bewußt. Natürlich sollte man nicht von einem Extrem ins andere fallen und nun etwa die Türkenstürme des 17. und 18. Jahrhunderts verharmlosen, die halb Europa verwüsteten. Halten wir nur soviel fest: der Islam galt (und gilt noch heute) vielen Europäern als eine im Grunde primitive Religion. Daß diese Religion auf eigenständigen Wurzeln beruht, daß sie sich auf der Grundlage einer besonderen Kultur mit deren eigenständigen Werten entwickelt hat - wird einfach nicht zur Kenntnis genommen.

Ein Beispiel mag das veranschaulichen: In der Schweiz wurden ein Vater und ein Sohn, beide Türken, angeklagt, die Tochter beziehungsweise Schwester ermordet zu haben, weil sie sich weigerte, sich nach dem Willen der Großfamilie verheiraten zu lassen, und sich selber einen Ehepartner nach eigenem Geschmack suchen wollte. Das ist gewiß ein abscheuliches Verbrechen - aber zugleich zeigt es, daß diese islamisch-orientalischen Menschen "anders denken" und vielleicht sogar anders fühlen als wir. Die Selbstmordattentäter, die sich von Israel bis Madrid mit ihren Opfern in die Luft sprengen, sind nicht in erster Linie politische Fanatiker. Sie glauben vielmehr, die Regeln und Forderungen ihrer Religion - des Islam - zu erfüllen, wenn sie ihre Untaten begehen, um so mehr, als ihnen im Jenseits das "Paradies" mit allen möglichen Vergünstigungen versprochen wird.

Hinzu kommt, daß der Islam eine patriarchalische Religion (und Lebensweise) verkörpert, die sich auf direktem Konfrontationskurs mit der femininen Lebensweise des heutigen Westens befindet. Im Westen - in Europa ebenso wie in den USA - kümmert man sich mehr um den Täter als um die Opfer von Verbrechen, man läßt vieles gewähren, man ist bereit (oder spielt zumindest mit dem Gedanken), Homosexuelle als Ehepartner zu trauen. Das weckt bei gläubigen Moslems eher Befremdung. So schwankt die Haltung der islamischen Welt gegen-über den Europäern zwischen Neid, Bewunderung (wegen der technischen Effizienz) und Verachtung.

Wenn der Westen oder die Amerikaner die islamische Welt dazu zwingen, auch den "abendländischen" Feminismus zu übernehmen, dann kann das nur noch einen weiteren Konflikt auslösen. Für das Verhältnis zwischen Islam und westlicher Welt gilt die alte Erkenntnis: Der Satte kann den Hungrigen nicht verstehen. Daher ist auch die Behauptung, die überwiegende Mehrzahl der Moslems sei friedliebend und wolle mit dem Terrorismus nichts zu tun haben, zwar auf den ersten Blick zutreffend, aber dennoch nicht stichhaltig. Natürlich hat der türkische oder arabische Gemüsehändler nichts mit Terror im Sinn: Er will Geld verdienen und seine Familie ernähren. Aber das gesamte Milieu, in dem er und ungezählte andere "gemäßigte" Moslems leben, schafft erst die Voraussetzungen für die "Täter", die sich darin wie Fische im Wasser bewegen. Außerdem: Wenn wir von den (guten) gemäßigten Moslems sprechen - wer definiert, wo das "Gemäßigte" aufhört und das "Extremistische" beginnt? Sind protestierende palästinensische Jugendliche, die bei einer Demonstration ein Bild von Osama bin Laden mit sich tragen, Extremisten - auch dann, wenn sie keiner terroristischen Gruppe angehören?

In der arabischen Welt gibt es viele, die angesichts der Anschläge von New York bis Madrid zwar die Methoden verurteilen und sogar Mitleid mit den Opfern empfinden mögen - die aber gleichzeitig "klammheimliche Freude" darüber empfinden, daß man es diesem arroganten Westen einmal gezeigt und ihn das Fürchten gelehrt habe. Der Terrorismus ist die Waffe des Schwächeren - und solange dieser vor dem Tode keine Angst hat, wird er immer in der stärkeren Position sein.

Der Westen hat gegenüber dem Islam immer eine ambivalente Haltung eingenommen. Während des Bosnien-Krieges hieß es immer wieder, die bosnischen Moslems seien ja "gemäßigt", sie verzehrten Schweinefleisch und seien auch anderen westlichen Genüssen nicht abhold. Heute ist Bosnien vollgepflastert mit Moscheen, die von den Saudis finanziert wurden - und die moslemischen Frauen und Mädchen laufen in Sarajevo verschleiert oder mit Kopftuch herum. Außerdem: Auch die Mudschaheddin und andere militante Islamisten sind im Lande gut vertreten - teils unter den Augen der US-Besatzungstruppen.

Wo ist ein Ausweg? Der Westen sollte sich darauf verstehen, den Islam nach dessen eigenen Regeln gelten zu lassen. Er sollte aufhören, die Moslems bewußt oder unbewußt zu demütigen. Er sollte akzeptieren, daß es vielleicht auch andere politische Philosophien gibt als die klassische parlamentarische Demokratie und daß auch andere For- men des Wirtschaftens gelten können als ungezügelter Kapitalismus. Gerade die Engländer haben in ihren besten Zeiten über 300 Jahre Indien beherrscht - aber in die inneren Angelegenheiten des Subkontinents, in Fragen des Eigentums und des Zivilrechts haben sie sich nicht eingemischt. Das war weise: denn auf diese Art konnten sie das indische "Kaiserreich" über Generationen hinweg kontrollieren. Heute fehlt es uns an der damaligen Sensibilität. Aber nur sie allein könnte die Spirale der Gewalt wenn schon nicht stoppen, dann wenigstens verlangsamen. Es wäre höchste Zeit zum Umdenken.

Fassungslose Irakerin nach der Explosion einer Autobombe: Eigentlich galt der Irak als ein gemäßigt islamisches Land, doch die Anzahl der Attentate spricht eine andere Sprache. Vor allem die unsensible Haltung der US-Amerikaner fordert die Fanatiker heraus, die bei ihrem "Heiligen Krieg" auch keine Rücksicht auf ihre eigenen Landsleute nehmen.

 
     
     
 
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